Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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alles geraubt, was sie benötigten. Für Lebensmittel und Futter plünderten sie also ihr eigenes Volk aus. Die unbefestigten Orte waren den bewaffneten Männern schutzlos ausgeliefert. Aber das hat sich jetzt geändert.“ Sie erreichten das Gehege, wo die Pferde und die Ochsen eingesperrt waren.

      „Wie ihr seht, haben wir hier Pferde und Ochsen. Beide haben ihre Berechtigung. Aber wir sind vor allem Fußtruppen. Wenn das Wetter gut ist, kann ein Tross Fußtruppen schon einiges schaffen. Berittene kommen dreimal so weit.“

      „Was ist mit den Ochsen?“ Henrik zeigte auf die Tiere, die im Winter kein Gras fanden.

      „Die Ochsen transportieren unsere Ausrüstung, Lebensmittel und das Futter der Tiere. Ihr seht zweirädrige Karren, die von ihnen gezogen werden können. Auf die vierrädrigen kann um einiges mehr geladen werden. Ochsen schaffen zwar nur wenig am Tag, aber sie sind widerstandsfähiger und leichter zu füttern, denn sie brauchen nur Gras. Dafür sind Karren, die durch Pferde gezogen werden, viel schneller, und ein Heer kommt schneller an sein Ziel.“

      „Oder das Heer zieht voran, und die langsameren Ochsen folgen.“ Walter verstand.

      „Das ist richtig. Dadurch wird aber die Schlagkraft des Heeres geschwächt, weil bei dem Nachschub auch Bewachung bleiben muss.“

      „Wie lange reicht denn ein mit Getreide vollbeladener Karren?“ Walters Neugierde stieg.

      „Wenn man einen Karren mit zwei Pferden bespannt und belädt, dann brauchen die Pferde zusammen zehnmal so viel wie der Karrenführer. Das heißt also, dass mit einer Wagenladung das Gespann mit Führer für fünfzig Tage versorgt ist.“

      „Dann braucht ihr ja Unmengen an Karren?“

      Gram lachte laut auf. Diesmal erinnerte es Walter an ein donnerndes Grollen.

      „Ein schlaues Kerlchen bist du. Alleine für tausend Reiter benötigt man fünfhundert Pferdekarren für zwanzig Tage. Für das Fußvolk wird natürlich weniger Getreide benötigt. Alle Karren passten dennoch nicht auf den Werder. Einige stehen außerhalb, und andere sind schon wieder zurück, um neues Getreide zu holen. Außerdem weiß ja niemand, wie lange der Feldzug dauert.

      Wenn jetzt Sommer wäre, würde alles viel einfacher sein. Die Pferde und Ochsen könnten hier vor Ort Gras fressen. So bräuchte es nicht unter erschwerten Bedingungen alles hierher transportiert zu werden. Aber die Herren Fürsten sind ja der Meinung, dass wir uns ausge­rechnet im kalten Winter schlagen müssen. Hätten sie damit nicht bis zum Frühjahr warten können?“

      Gram grinste. Die beiden Jungen dagegen wussten nicht, was sie darauf antworten sollten. Sie wandten sich von den Tieren ab und gingen durch die Reihen des Fußvolkes. Sie sahen verschiedene Waffen. Auf eine, die er noch nicht kannte, zeigte Walter.

      „Was ist denn das für eine Waffe? Die habe ich noch nie gesehen.“

      „Das ist eine Armbrust, eine ganz neue Waffe. Der Pfeil hat eine höhere Durchschlagskraft als bei einem gespannten Bogen. Eine durchaus gefährliche Waffe. Sie schießt auch noch präziser, als der Bogen.“

      „Und was ist das da? Die kenne ich auch noch nicht.“

      Walter zeigte auf einen langen Speer. Dieser endete zwar in einer Spitze. Aber das Gefährliche an dieser Waffe war die kurz vor dem Ende aufgesetzte Streitaxt.

      „Das, mein Junge, ist eine Hellebarte. Sie reißt auch große Wunden.“

      Gram zeigte den Jungen auch noch die anderen verschiedenen Waffen, womit das Herr ausgerüstet war. Darunter befanden sich der Langbogen, die Streitaxt, der Streithammer und der Turnierkolben, mit denen die Ritter auf die Angreifer vom hohen Ross herab schlugen.

      Die Jungen waren so fasziniert, dass ihre Fragen endlos schienen.

      „Habt ihr keine Belagerungsmaschinen?“

      Gram hatte sich an die vielen neugierigen Fragen gewöhnt, sodass er nicht mehr laut auflachte. Dennoch konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er zeigt auf das nahe gelegene Mulne, welches schutzlos dalag. Unter der kalten diesigen Januarluft sahen die Häuser klein, trostlos und erbärmlich aus.

      „Siehst du hier etwa eine uneinnehmbare Festung? Wir benötigen die Wurfmaschinen, den Rammbock, die Steinschleuder oder die Mange doch nur, wenn wir gegen eine Feste ziehen. Hier ist dies alles unnütz. Dies hier – das wussten wir von Anfang an – wird eine Feldschlacht werden. Morgen wird es auf die Reiterei ankommen.“

      Die Frage war Walter draufhin peinlich gewesen, doch Gram winkte ab.

      Die Jungen hatten Kriegsluft gewittert. Das Gesehene sollte die beiden nicht wieder loslassen. Erschrocken stellten sie fest, dass dieser Januartag sich dem Ende neigte und das trübe Tageslicht an diesem diesigem Tag bald vollends verschwinden würde.

      Sie bedankten sich bei Gram für die Führung durch das Lager.

      „Ich wünsche dir viel Glück morgen.“

      „Danke, mein Junge. Wir werden uns wiedersehen, das weiß ich. Aber jetzt lauft zurück.“

      Walter und Henrik kehrten zurück. Henriks Eltern hatten ihren Sohn noch nicht vermisst.

      Als Walter sein Elternhaus betrat, tat er so unbefangen, als wenn nichts Besonderes gewesen wäre. Des Vaters Freunde saßen immer noch da und bliesen Trübsal. Walter verstand die Erwachsenen nicht. Seit die Schlacht bevorstand, hatten sie sich alle vor Furcht in ihren Häusern verkrochen. Waren Erwachsene denn alle so feige? Sie sollten froh sein, dass endlich mal in Mulne etwas Aufregendes geschah. Für ihn war es ein riesiges Abenteuer. Er freute sich schon auf den nächsten Tag des Krieges. Er würde Ritter gegen Ritter kämpfen sehen. Schwerter würden stundenlang erbarmungslos auf andere Schwerter einschlagen. Er hörte jetzt schon das Kampfgetümmel in seinen Ohren branden. Mit Gedanken an Gram und die Vorfreude auf die Schlacht wurde er müde.

      Doch dieser Krieg würde nicht ohne ihn stattfinden. Das nahm er sich vor.

      Das größte Abenteuer seines Lebens wartete auf ihn.

      Die Dunkelheit hatte noch alles eingehüllt, und die Bürger der Stadt schliefen noch, als die Dänen ihr Lager verließen und aufbrachen. Leichter Nebel hatte weithin das Land überzogen. Er lag bedrückend auf dem trüben Wasser. Neuschnee war keiner gefallen. Eine dünne festgefrorene Schneekruste lag allenthalben. Die Kulisse der bevorstehenden Schlacht wirkte kahl, ungemütlich und nasskalt. Dieser trübe Tag war wie zum Sterben geschaffen.

      Die Dänen und Lüneburger stiegen den Hügel südlich des Werders herauf und nahmen Aufstellung. Langsam trat die Dämmerung ein, sodass die Gefechtsaufstellung auf diesem Gelände geordnet ausgeführt werden konnte.

      Auf der linken Seite stellte sich Otto von Lüneburg mit seinem Kontingent von tausend Mann auf. Fünfhundert Panzerreiter davon standen hinter ihm. Diese Kontingente wurden Banner genannt. Der Befehlshaber des in Abteilungen von jeweils fünfundzwanzig Panzerreitern unterteilten Banners führte selber eine Fahne gleichen Namens, welche hochrechteckig war. Der Befehlshaber selbst wurde Bannerherr gerufen und war direkt dem Herzog Otto unterstellt. Dazu gab es noch einige adelige Panzerreiter, die sich keinem Banner und somit keinem Bannerherrn unterwerfen wollten. Dies ließ ihre Ehre und ihr Ego nicht zu. Sie waren direkt dem Herzog unterstellt. Somit führten sie an ihrer Lanze ein eigenes dreieckiges Feldzeichen, auf dem ihr adeliges Wappen abgebildet war. Hinter den Reitern hatten sich wenige Bogenschützen positioniert. Zum Schluss stand das Fußvolk bereit. Auch dieses wurde von einer Fahne angeführt. Der Fahnenträger, der signifer genannt wurde, war gleich­zeitig auch der Befehlshaber des Fußvolkes. Auch er nahm seine Befehle direkt vom Herzog Otto entgegen.

      Rechts daneben standen die dänischen Truppen unter Graf Albrecht bereit. Sie waren taktisch genauso wie das Lüneburger Herr aufgestellt. Er hatte aber mehr Panzerreiter und Fußvolk zur Verfügung, sodass die lüneburgisch-dänische Seite über insgesamt viertausend­sieben­hundert kampferfahrene Männer verfügte, die bereit waren, ihr Leben für ihren Grafen und König zu geben. Unter den Fußtruppen stand Gram bereit. Ruhig wartete er darauf, dass die Schlacht eröffnet wurde und er zeigen konnte, welche