Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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des dänischen Reiches dazu gezwungen.

      Albrecht drehte sein Pferd um und ließ es über das Meer der Leichen galoppieren. Wer ihm folgen konnte, folgte ihm.

      Der Fluchtversuch des Dänen war nicht unbemerkt geblieben. Heinrich war mit seinen Panzerreitern am dichtesten heran. Sofort nahm er mit einer großen Eskorte die Verfolgung auf. Die Pferde galoppierten auf der Wiese hinterher.

      Es war, als ob seit der Gefangennahme König Waldemars und seines Sohnes ein Fluch auf den dänischen Herrschern lasten würde. Sie hatten einfach kein Glück. So geschah es Graf Albrecht, dass sein Pferd in ein Loch trat und zu Fall kam. Albrecht stürzte mit seiner kompletten metallenen Rüstung vom Pferd und kam mit einem scheppernden Klang auf dem Rücken zu liegen. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Seine Männer versuchten ihm zu helfen und ihn zu beschützen, doch war es zu spät. Sie waren von den Deutschen umstellt.

      Herzog Heinrich war bald zur Stelle, und mit einem verschmitztem Lächeln verkündete er seinem Widersacher:

      „Graf Albrecht, es ist mir eine Ehre, euch meinen Gefangenen nennen zu dürfen.“

      Der Tag ging bald zu Ende. Anstatt die gegnerischen dänischen Panzerreiter zu töten, wurden sie gefangengenommen. Die dänischen Panzerreiter ergaben sich. Sie wussten, dass sie so weiter leben könnten. Denn als die Schlacht zu Ende war, waren die Reiter lebend mehr wert, als tot. Es konnte bares Lösegeld für jeden Einzelnen eingefordert werden. So ließ sich die Kriegskasse nach den Ausgaben wieder redlich auffüllen.

      Das Schlachtfeld war mit Leichen übersät. Das Fußvolk begann mit der Leichenfledderei. Jeder nahm von den Toten, was er noch gebrauchen konnte. Dem Sieger gehörte die Beute.

      Als die Nacht hereingebrochen war, sah man zwei Männer mit einer Laterne von der Stadt aus zum Schlachtfeld gehen. Sie wurden von einem zwölfjährigem Jungen zum westlichen Rand des Feldes geführt. Henrik hatte sich wieder gefangen und sich bereit erklärt, dem Vater seines Freundes die Leiche zu zeigen. Johannes wollte beim Tragen helfen. Sie betraten das Schlachtfeld, und ihr Entsetzen über den blutigen Anblick, der sich im Schein iher Kerze bot, war groß. Der hüpfende Schatten, den die Kerze warf, ließ alles noch viel unheimlicher und gruseliger erscheinen. Sie konnten ihren Ekel kaum unterdrücken. Doch musste Prabislaw die Leiche seines Sohnes bergen.

      Henrik fand den Ort bald wieder, und Prabislav kniete sich neben seinen Sohn. Zum Weinen hatte er keine Tränen. Behutsam nahm er Walters Körper hoch. Er brach den Schaft des Pfeils ab und drehte den Jungen um. Er sah nicht, wie die Leichenfledderer um ihn herum ihrem pietätlosen Handwerk nachgingen. Gute Schuhe, Waffen, Helme. Sie nahmen alles mit, was sie noch selbst gebrauchen, oder zu Geld machen konnten. Die Toten würden es ja doch nicht mehr benötigen.

      Tränen wollten ihm immer noch nicht kommen, als er seinem Sohn zärtlich durch das Haar strich. Die Augen des Jungen waren geschlossen. Johannes und Henrik standen stumm daneben.

      Prabislaw hob den Körper hoch, um ihn in die Stadt zurückzutragen. Da vernahm er ein Röcheln. Zuerst registrierte sein Verstand es nicht, doch dann hörte er es wieder. Er führte die Lampe mit der Kerze dichter an das Gesicht Walters heran, und entdeckte, dass doch noch Leben in seinem Sohn war. Bisher war der Pfeil noch nicht tödlich gewesen. Bewusstlos war er nur gewesen. Hoffnung keimte im Vater auf.

      „Schnell, Johannes. Er lebt noch. Wir müssen ihn sofort zum Bader bringen.“

      Eilig trugen sie den Jungen zum Bader. Sie fanden ihn im seinem Haus. Auch er hatte das Ende der Schlacht abgewartet. Der Bader operierte die Pfeilspitze heraus und versicherte dem Vater, sein Bestes getan zu haben. Alles weitere, so sagte er, liege in Gottes Hand.

      Am nächsten Tag erwachten die Mulner Bürger mit Unbehagen. Jeder wusste inzwischen, dass mit dem eindeutigen Ausgang der Schlacht die dänische Zeit der Unterdrückung zu Ende gegangen war. Aber was würde folgen? Würden die deutschen Fürsten die Lage ausnützen, um die einst dänische Stadt für ihre „dänische“ Treue zu bestrafen? Brandschatzungen, Plünderungen und Vergewaltigungen wären die Folgen. Alles legitime Rechte der Sieger.

      Die Bürger warteten in ihren Häusern. Keiner ging seiner Arbeit nach. Die Stunden vergingen. Bald war der Tag zu Ende, und niemand hatte sich in der Stadt sehen lassen. Die Befürch­tungen waren unnötig gewesen. Doch in diesen unruhigen Zeiten wusste man ja nie.

      Vielleicht kamen sie erst am nächsten Tag.

      Die deutschen Fürsten hatten mehrere Massengräber ausheben lassen. Viele waren durch die Spuren der Pferdehufe und die des Beutezuges der Leichenfledderer nicht mehr an ihren Wappenröcken zu erkennen gewesen. So wurden Freund und Feind gemeinsam beerdigt.

      Die deutschen Truppen zogen ab.

      Sie ließen Mulner Borger zurück, die vor Erleichterung aufatmeten.

      Walter hatte noch einmal Glück gehabt. Er überlebte die Verletzung. Seine ungezügelte Natur wäre ihm beinahe zum Verhängnis geworden.

      In den nächsten Monaten setzte wieder Normalität ein. Es gab sogar einen Grund zum Feiern. Johannes war der erste Mulner Bürger, dem das Privileg zuteil wurde, Ratsherr in Lubecke zu werden. Sein Titel war der eines Consuls. Als Johannes de Mulne gründete er das Möllner Ratsherrengeschlecht, welches in Lubeke hohes Ansehen erlangen sollte, und einen erheb­lichen Bedeutungsanstieg der Stadt begründete. Damit wuchs die Stimme Mulnes.

      Albrecht von Orlamünde blieb in der Gefangenschaft Heinrichs von Schwerin. Die Druck­mittel gegenüber König Waldemar waren nun zu groß, sodass Waldemar keinen anderen Ausweg mehr sah, als nachzugeben. Er willigte schließlich in die Forderungen Heinrichs ein. Es war im November des gleichen Jahres, als in Bardowik ein Vertrag geschlossen wurde. Waldemar und sein Sohn kamen gegen eine Zahlung von 45 000 Silberstücken am 21. Dezember frei. Aber das war noch lange nicht alles. Er musste die Ländereien von Schwerin und Holstein abtreten. Er verzichtete insgesamt auf alle deutschen Lehengebiete bis auf das Fürstentum Rügen. Er musste allen deutschen Städten die Handelsfreiheit gewähren. Er musste sich außerdem dazu verpflichten, auf Rache zu verzichten. Am meisten schmerzte ihn jedoch die Forderung, auf die er eingehen musste. Drei seiner Söhne waren als Geiseln zu stellen.

      Aber Waldemar gab nicht auf. Er ließ es auf eine Schlacht ankommen. Diesmal lag das Schlachtfeld bei Bornhöved. Es war der 22. Juli 1227. Das dänische Heer verlor diesmal, weil die Panzerreiter zu große Lücken in ihren Bannern aufwiesen.

      Waldemar war gezwungen, den Vertrag von Bardowick zu erneuern. Erst im Jahre 1230 wurden seine drei Söhne, die in Schwerin festgehalten wurden, gegen weiter 7000 Mark Silber freigelassen.

      Albrecht von Orlamünde blieb bis nach der Schlacht von Bornhöved in Schwerin gefangen. Die Schlacht bei Bornhöved war nämlich der letzte Versuch Waldemars und Albrechts gewesen, ihre südlichen Ländereien behalten zu können. Die Niederlage begrub alle Hoffnungen. Erst nachdem er seinen Verzicht auf die Grafschaft Racisburg bekundete, wurde Albrecht freigelassen. Er lebte fortan auf einem Gut seines Onkels, des Königs, auf der dänischen Insel Alsen.

      Das dänische Reich hatte durch die zwei verlorenen Schlachten in Mulne und Bornhöved einen herben Schlag erhalten, und seine Großmachtstellung im Ostseeraum wurde gebrochen. Die Mulner Zeit unter dänischer Herrschaft war somit nach dreiundzwanzig Jahren beendet.

      Kapitel 3

       Stadtleben

       1254 – 1291

      „Sei leise, sonst hört uns noch jemand. Mach nicht so einen Krach mit dem Eisen. Wenn die Nachtwache kommt, ist es mit uns vorbei.“

      „Sei selber still, und quatsch nicht so viel.“

      Die beiden Männer tauschten zwar giftige Blicke aus, doch erkannten sie anhand der Dunkel­heit wenig im Gesicht des anderen. Ihre Nerven waren bis zum Äußersten angespannt. Das was sie gerade taten, gehörte nicht zu ihrem sonstigen alltäglichen Tun, und das war es, was