Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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dem Herzen des Kampfes heraus. Graf Albrecht blieb damit also auf der westlichen rechten Flanke isoliert.

      Durch die aber insgesamt immer mehr im Zentrum konzentrierten Kämpfe angelockt, robbten und schlichen sich die Jungen immer dichter an das Kampfgeschehen heran.

      Walter meinte eine bekannte Gestalt erkannt zu haben. Auf dem Bauch liegend stupste er seinen Freund an.

      „Sieh mal dort ,Henrik. Ist das nicht Gram?“

      „Welchen meinst du?“

      „Den rechts neben dem Banner. Er hat sein Schwert erhoben. Sieh, jetzt sticht er zu.“

      Henrik sah genauer hin. Jetzt meinte auch er ihn erkannt zu haben.

      „Ja, du hast recht. Das ist Gram. Sieh, wie er mit seinen Feinden umspringt. Er macht sie alle nieder. Mann, ist der stark.“

      In ihren Stimmen klang größte Bewunderung für den nordischen Hünen mit. Sie waren von seiner Kraft und seiner offensichtlichen Stärke wahrlich fasziniert. Er hatte eine Ausstrahlung auf sie bewirkt, die es für sie schwer machte, sich ihr zu entziehen. Mit einem Mal wollten sie so groß und stark sein wie er.

      Von ihrem sicheren Platz aus sahen sie die Schlacht weiter toben. Sie sahen die Menschen fallen und sterben. Sie hörten stundenlang die Todesschreie und das Wimmern der Verletzten auf dem Schlachtfeld. Sie sahen, wie das Blut aus den klaffenden Wunden lief und im Erdreich versickerte. Die Freunde beobachteten, wie sich die Reihen auf beiden Seiten lichteten. Bald standen nur noch wenige Kämpfer aufrecht. Einer darunter war Gram. Es war seltsam, aber Walter und Henrik empfanden für ihn wahren Stolz.

      Gram focht nun mit einem Mann aus dem Heer des Borwin. Dieser war sogar noch einen halben Kopf größer als Gram, aber nicht so korpulent. Seine Bewegungen waren geschmeidig und schnell. Deshalb hatte Gram Mühe, diesen Gegner schnell zu bezwingen. Dieser hier war von einem anderen Kaliber als die Vorherigen, die meist leichte Beute für ihn dargestellt hatten.

      Gram holte aus. Mit enormen Schwung sauste sein Schwert auf den Mann Borwins nieder. Dieser versuchte der gewaltigen Kraft auszuweichen, indem er einen Schritt nach hinten tat. Dabei übersah er, dass die Leichen und Verwundeten überall herumlagen. So stolperte er über ein Bein und fiel hin. Neben der Leiche blieb er liegen. Gram trat vor und holte zum entscheidenden Schlag aus. Sein Schwert sauste nieder.

      Mit einer Beweglichkeit, die er dem Mann Borwins nicht zugetraut hatte, riss dieser sein Schwert hervor und stieß es so schnell senkrecht empor, dass Gram mit seiner Schwerfälligkeit nicht mehr ausweichen konnte. Das Schwert drang in seinen Bauch. Aber auch Grams Schwert fand sein Ziel in der Brust des Mannes.

      Zuerst fiel er auf ihn herab, dann rollte er vom Körper herunter, sodass er bewegungslos neben dem Feind auf dem Rücken liegen blieb.

      „Nein.“

      Walter hatte den Kampf verfolgt. Mit Schrecken hatte er wahrgenommen, dass Gram leblos liegen blieb. Jede Vorsicht außer Acht lassend und entgegen jeder Vernunft schnellte Walter aus seinem sicheren Versteck hervor und lief zu seinem großem Freund.

      „Bleib hier.“ Henrik war verwirrt. Er roch die Gefahr und wagte nicht, selber loszulaufen. Aber seine Aufforderung blieb ungehört. Verwirrt blieb Henrik allein zurück und sah seinen Freund laufen.

      Walter hüpfte über die Leichen und Verwundeten hinweg und musste einmal einem geschwungenen Schwertstreich gebückt ausweichen. Dann kniete er sich neben Gram hin. Es war noch Leben in ihm, Aber nicht mehr fiel. Es lief Blut aus der Wunde.

      „Siehst du Walter, jetzt haben wir uns doch noch einmal gesehen. Ich wusste es.“

      „Du sollst nicht sprechen. Es wird alles wieder gut.“

      Gram schüttelte leicht den Kopf.

      „Nein, mit mir geht es zu Ende. Ich erleide das gleiche Schicksal wie mein Namensgeber. Vielleicht hätten mir meine Eltern doch einen anderen Namen geben sollen.“

      Gram versuchte zu lächeln, doch es gelang nur krampfhaft Dann musste er einmal röcheln, und jedwedes Leben in seinen Augen erlosch für immer.

      Walter war verstört. Er wusste nicht, was er tun sollte und kniete hilflos neben den Leichen. So bekam er nicht mit, dass um ihn herum die Schlacht unverdrossen weiter tobte. Er bekam nicht mit, wie ein dänischer Bogenschütze seinen Bogen hob und als Ziel einen Knienden anvisierte, welchen er nicht als dänischen Landsmann erkannte. Also musste der kniende Jüngling ein Feind sein. Der Bogenschütze lud seine tödliche Fracht ab. Sie bohrte sich in den Rücken des Jungen, der sich kurz aufrichtete und dann zur Seite kippte. Walter rollte auf das Schwert des Gram mit dem goldenen Griff.

      Henrik sah aus der Entfernung seinen Freund zu Boden sinken. Mit geöffnetem Mund und großen Augen lag er regungslos da, unfähig auch nur einen Finger zu bewegen.

      Nach einer Minute hatte er nur noch einen Gedanken – weg, einfach nur weg von diesem schaurigen Ort.

      Der Junge stand auf und lief so schnell er konnte den Hügel hinunter, und durch die abgestellten Karren hindurch. Angst erfüllte ihn. Plötzlich hatte für ihn der Krieg seine abenteuerliche Fassade verloren. Er sah mit einemmal den Tod, den nackten wahren Tod. Er wollte noch nicht sterben. Sein bester Freund Walter hingegen war tot.

      Gebhard II. von Bremen hatte seine geflohenen Mannen am nördlichen Waldesrand nah beim Lager gesammelt. Niedergeschlagen und teilweise erschöpft standen sie da. Gebhard war als Führer gefordert. Als Mann der Kirche verstand er es wie kein Zweiter, die Menschen durch das Wort zu beeinflussen. Er hielt eine flammende Rede und appellierte an ihr Ehrgefühl und ihre Pflicht. Er erinnerte sie, dass sie den Dank für ihren Mut im späteren Leben erhalten würden. Mit seiner flammenden Ansprache hatte er ihren Nerv getroffen. Aus dem vorher demoralisierten Haufen wurde eine enthusiastische Gruppe. Sie waren bereit, ihr Debakel vom Morgen auszugleichen. Gebhard verstand es, eine neue Kampfformation zu bilden. So führte er sie wieder in die Schlacht zurück.

      Gebhard erfasste sofort mit seinem geübten Auge die Lage. Er erkannte, dass Albrecht mit seinen Panzerreitern in ein Scharmützel mit den zahlenmäßig überlegenen Panzerreitern von Heinrich, Borwin und Adolf verwickelt war. Hoch zu Ross tobte der Kampf. Die Pferde stocherten mit ihren Hufen zwischen und auf den Leichen so herum, sodass die meisten Toten durch die Hufe der Pferde bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurden. Die Hufe trafen Köpfe, Gliedmaßen und Körper. Oft blieb nur ein matschiger Haufen zurück. Unter ihrem tänzelnden Schritt war es einerlei, auf was ihre Hufen traten.

      Gebhard von Bremen schätzte die Lage richtig ein. Er sah auch, dass der Fahnenwagen des Grafen Albrecht von Orlamünde mit nur einer geringen Bewachung am Rande des Schlachtfeldes stand. Sofort reifte in ihm eine Idee, die er sofort ausführen ließ. Mit seinem Fußvolk stürmte er den leichten Hügel hinab und traf mit seinen Mann auf die verdutzte Bewachung. Im Handstreich hatte er die Fahne des Grafen Albrecht erobert. Somit war die Schmach vom Morgen ausgemerzt. Stolz führte er seine Mannen an den Platz heran, wo die Panzerreiter unerbittlich kämpften. Gebhard II. offenbarte, welche große Beute ihm gelungen war. Graf Albrecht erkannte dies bald mit großem Zorn. Seine Fahne war in Feindeshand. Am liebsten hätte er seine Fahne zurückerobert. Welche Schmach.

      Er wollte auch schon auf das Bremer Fußvolk losstürmen, als ihn seine Vernunft zurück hielt. Er sah sich um. Was er registrierte, war eine große Niederlage. Sein Fußvolk war aufgerieben. Seine Panzerreiter konnten gegen die zahlenmäßige Übermacht nichts mehr ausrichten. Die Gegenwehr erlosch immer mehr. Sein Fazit konnte daher nur eins sein: Flucht.

      Albrecht wusste nur zu genau, was dies für seine Ehre bedeuten würde. Adelige, die vom Schlachtfeld flohen, verloren nicht nur ihre Ehre, ihnen drohten außerdem Schande und großer Spott. Es würde zwar keine gerichtlichen Folgen haben, wie bei den Ritterorden üblich. Er könnte sich dann selbst nicht mehr achten. Dennoch, er musste sich in Sicherheit bringen. Er war in einem großen Gewissenskonflikt, der ihn innerlich fast zerriss. Das Schlimmste was ihm geschehen könnte war, in die Gefangenschaft des Feindes zu geraten. Dann wäre das dänische Reich für immer zerstört.

      Mit einem Seufzer entschied er sich. Er war zur Entscheidung zugunsten der Flucht gekommen,