Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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dort, niemand wusste genau wo, sollten die Geiseln die nächsten zehn Jahre verbringen.

      Die Bürger sahen dem Trupp der Geiseln wehmütig nach. Als die letzten den Berg hinauf Richtung Lubeke entschwunden waren, war ihre Aufmerksamkeit wieder auf die anderen Dänen unter Herzog Waldemar II. gerichtet.

      Aber auch dieser wollte seine Reise fortsetzen. Sogleich gab er für den Rest des Heeres den Befehl zum Abmarsch nach Süden. Wie eine unendliche Schlange zog sich der Tross der Reiter und Fußsoldaten, gefolgt von den Karren, auf der Via Regia nach Süden.

      Sie ließen weinende Frauen und zerknirschte Männer zurück. Was wohl aus ihren Kindern werden würde? Sahen sie die jemals wieder?

      Zehn Tage vergingen. Genauso verging auch die Hitze. Ein Gewitter war über die Grafschaft Racisburg gezogen. Thiedardus betrat das Haus des Lokators und ging in die Schreibstube, in der sein Freund in gewohnter Haltung über sein Pult gebeugt saß und schrieb. Prabislaw sah nicht einmal auf.

      „Salve.“

      „Du auch.“

      Thiedardus setzte sich auf die Bank und wartete, bis Prabislaw seinen Federkiel nicht mehr ins Tintenfass tauchte, sondern daneben legte, und ihm seine ganze Aufmerksamkeit schenkte.

      „Es gibt Neuigkeiten.“

      „Was denn?“ fragte zwar Prabislaw, aber es klang wenig interessiert.

      „Hanno wird sich verloben. Diesmal ist Sieglinde die Magd seine Auserwählte. Große Aus­wahl hatte er ja nicht mehr. Jetzt musste er nehmen was übrig blieb.“

      „Lange hat ja seine Trauer um Helene nicht vorgehalten. Ganze zehn Tage später will er sich schon mit der Nächsten verloben? Na, der muss es ja nötig haben.“

      Prabislavs Sarkasmus war ihm nicht zu verdenken. Anders als Hanno empfand er Trauer. Es verging keine Stunde in der er nicht an Helene dachte. Was würde sie gerade tun? Wo war sie? Wurde sie mit einem Schiff an das andere Ende des dänischen Königreiches gebracht?

      Ständig quälte ihn die Frage, ob sie für immer für ihn verloren war. Eigentlich kannte er die Antwort. Er würde sie nie wieder sehen, das war es, was ihn so zermürbte.

      „Das ist es. Wenn er sich jetzt schon mit der Nächsten verloben will, kann es mit seiner Liebe zu Helene nicht weit her gewesen sein. Ein Feigling und übler Schuft ist er. Pereat, möge er zugrunde gehen!“

      „Ja, mein Freund. Und nur um mir das zu sagen, bist du hergekommen? Da ist doch mehr.“

      Prabislaw kannte Thiedardus nur zu gut.

      „Wie wäre es, wenn wir heute Abend unsere Angeln nehmen und fischen gehen, so wie früher? Danach trinken wir noch einen Krug Bier.“

      Mit einem müden und lustlosen Blick antwortete Prabislaw seinem Freund.

      „Danke, aber ich habe zu tun. Die Verträge müssen noch fertig werden.“

      „Das glaube ich nicht. Ich glaube eher, du verkriechst dich hier in deiner Scrivekamere. Du kannst später immer noch die Arbeit fertig machen.“

      „Nein.“

      Entschieden war seine Antwort. Darauf sah Thiedardus seinen Freund enttäuscht an.

      „Wie du meinst. Aber es bringt nichts, wenn du Helene immer noch hinterhertrauerst. Vergnüge dich mit einem anderen Weib, bevor die Weide ganz abgegrast ist. Du kannst nicht bis zum Ende deiner Tage Trübsal blasen.

      Übrigens, ich komme gerade von Werdago. Er hat Nachricht von Herzog Waldemar erhalten. Angeblich hat er bei der Louwenburg alles Nötige zur weiteren Belagerung der Feste veranlasst Da die Belagerung wohl noch eine lange Zeit andauern wird, hält er sich dort für momentan entbehrlich und hat das Kommando übergeben. Deshalb ist er wieder auf dem Weg nach Dänemark. Sein Weg führt ihn wieder über Mulne. Vielleicht erhalten wir nun das Stadtrecht. Er hat es uns versprochen. Pacta sunt servanda – Verträge müssen eingehalten werden!

      Hoffnungsvoll strahlte Thiedardus. Auch Prabislaw hätte sich eigentlich freuen müssen, wenn … ja wenn nicht seine ständige Sehnsucht nach Helene gewesen wäre.

      Es kam der Tag, als Herzog Waldemar wieder durch Mölln auf dem Weg nach Dänemark ritt. Erwartungsvoll wurde er begrüßt. Doch die Hoffnung erstarb schnell, als Waldemar keine Anzeichen von sich aus gab, das Stadtrecht zu verleihen.

      Wiederum war sein Aufenthalt in Mulne nur von kurzer Dauer. Nein, für solche Kleinigkeiten wie das Stadtrecht hatte er keine Zeit. Wichtige Angelegenheiten im großen dänischem Reich riefen ihm heim und ließen die verdutzten Mulner Bürger zurück.

      Waldemar erschien aber zwei Monate später wieder in Holstein, denn die Belagerung der Segeberger Burg ließ ihm keine Ruhe. Unerbittlich sorgte er dafür, dass die Bemühungen nicht nachließen. Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Die zweite der ursprünglich drei wackeren Burgen war nun gefallen. Die Burgbesetzer gaben ihren Widerstand im Handel gegen ihre Bedingungen auf. Sie forderten die Zusage, ihre Erbgüter und Lehen behalten zu dürfen, sowie ihr persönliches Hab und Gut frei und ungehindert aus der Burg herausschaffen zu können. Waldemar kam gerne dieser Bedingung nach, und so kam es, dass er im November des Jahres 1202 die Segeberger Burg einnehmen konnte. Freudig besetzte er nach dem Abzug der vorherigen Burgherren die Feste und machte sich daraufhin bereit, wieder nach Dänemark zurückzukehren. Er war noch gar nicht weit geritten, als ihn ein Bote des Königshauses erreichte. Zuerst ahnte er nichts Böses. Aber dann erhielt er eine für ihn niederschmetternde Nachricht. Der Bote meldete ihm, dass sein Bruder, der König Knud VI., überraschend am zwölften November verstorben sei.

      Auf diese Hiobsbotschaft hin beschleunigte Waldemar seinen Ritt. Ohne in Machtkämpfe um die dänische Krone verwickelt zu werden, gelang es Waldemar nach der Beerdigung, mit allgemeiner Unterstützung in den Weihnachtstagen des Jahres 1202 zum König gekrönt zu werden.

      In dem nächsten halben Jahr hatte er keine Zeit, sich um seine südlichen Ländereien zu kümmern. Im August 1203 zog es ihn dann wieder nach Lubecke, da es galt, den Widerstand der letzten Feste Nordalbingiens, die Louwenburg, zu brechen.

      Auch diesmal führte der Weg des Heeres durch die kleine Stadt Mulne. Auch diesmal war er kurz angebunden und verzettelte sich nicht in Kleinigkeiten, die an ihn herangetragen wurden. Offen stellte er seine Zuversicht dar, endlich die widerspenstige Louwenburg zu bezwingen. Am nächsten Tag gab er den Befehl zum Aufbruch, und die Bürger sahen erneut deprimiert und gleichzeitig enttäuscht den marschierenden Fußtruppen hinterher.

      Doch sollte diesmal sein Feldzug und der ganze Aufwand nicht umsonst gewesen sein. Die Rammböcke prallten mit gewohnter Heftigkeit gegen das verstärkte hölzerne Tor. Die Pfeile flogen vehement und unablässig über die mit Zinnen gespickten Burgmauern in beiden Richtungen. Da die Verteidiger in Anbetracht dieses ständigen Druckes allmählich müde wurden und außerdem auch die Vorräte zu Ende gingen, waren sie eines Tages zu Verhandlungen bereit. Ihnen war klar geworden, dass gegen den ständigen Druck der Dänen die Burg nicht mehr lange zu halten gewesen wäre. So wollten sie vor dem bitteren Ende noch retten, was zu retten war.

      Nach anfänglich zähen Verhandlungen einigten sich die verfeindeten Parteien. König Waldemar hatte danach sein Ziel erreicht, denn ihm sollte die Burg übergeben werden. Dafür durften die Eingeschlossenen mit ihren wertvollen Truhen lebend und ungehindert abziehen. Darüber hinaus waren beide Seiten noch an weitere Verpflichtungen gebunden. Der König willigte ein, den gefangenen Grafen Adolf III. freizulassen. Dafür verlangte er jedoch zwölf wichtige Geiseln. Es handelte sich dabei unter anderem um die beiden Söhne des Grafen Adolf, einen Sohn des Grafen Ludolf von Dassel und um einen Sohn des Grafen Heinrich von Dannenberg. Diese zehn Jahre Geiselhaft konnten nur verkürzt werden, sollten entweder der König Waldemar oder der Graf Adolf vor Ablauf dieser Frist sterben. Graf Adolf selbst musste die Bedingung eingehen, auf seine Ansprüche gegenüber seiner ehemaligen Grafschaft nördlich der Elbe für immer zu verzichten. Er selbst kehrte daraufhin niedergeschlagen in seine Ländereien an der Weser zurück.

      König Waldemar II. war jetzt uneingeschränkter Herrscher nördlich