Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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Trossende mit.

      Herzog Waldemar ließ eiligst ein Zelt aufbauen. Er ist ein pragmatischer Mensch, der auf vielerlei Firlefanz verzichtet, die dem Bruder des Königs sicherlich zustehen würden. Sein lockiges Haar war prächtig und wehte wie eine Fahne über seiner imposanten kräftigen Gestalt, als er an uns vorbeiritt.

      Es dauerte nicht lange, bis er seine Audienz abhielt. Wie ich schon vorhin erwähnte, demütigten sich die Lubecker selbst. Aber anscheinend gefiel es Waldemar. So etwas sieht er wohl gern. Das Ergebnis ist bekannt. Unsere Abordnung wartete währenddessen brav abseits. Als die Lubecker gegangen waren, dachten wir, das nun unsere Zeit gekommen sei. Wir richteten unsere Kleider und warteten auf den Aufruf, dem Herold zu folgen.

      Doch Herzog Waldemar dachte offensichtlich gar nicht daran uns zu empfangen. Als wir uns nach zwei Stunden des langweiligen Herumstehens bemerkbar machten, hieß es lapidar von seinen Mannen, dass der Herzog niemand mehr empfangen würde. Wir sollten uns von dannen schleichen, da der Herzog seine Ruhe bräuchte. Was sollten wir tun? Ein Aufbegehren wäre sofort mit den Speeren unterdrückt worden. Also trotten wir nach Mulne zurück. Hier sind wir und fühlen uns übergangen. Das meinte ich damit, das die Welt betrogen sein will.“

      „Und was tun wir nun? Was wird Werdago als nNächstes unternehmen?“

      Prabislav sah erwartungsvoll zu Johannes. Dieser wartete einen Moment, bis er mit einer leicht resignierten Stimme antwortete.

      „Abwarten, was sonst. Einfach abwarten.“

      Das Warten dauerte den ganzen langen harten Winter. Immer wieder gelangten aufregende Nachrichten aus den entfernten Hansestädten nach Mulne. In diesen unruhigen Zeiten wurden sie von allen begierig aufgesogen. So blieb es nicht verborgen, dass der verhasste Graf Adolf III. von Schauenburg nicht aufgab. Am 30. November war er mit seinem letzten Aufgebot an kriegerischem Gefolge vor den Toren Hamburgs erschienen und nahm die Stadt ohne Gegenwehr ein. Der erste Schritt zur Wiedererlangung seiner ehemaligen Ländereien war demnach gelungen, weil der von den Dänen eingesetzte Vogt Radulf feige floh. Adolf III. rechnete damit, dass die Dänen erst im nächsten Jahr versuchen würden, Hamburg zurück­zuerobern, denn schließlich stand das Weihnachtsfest vor der Tür.

      Seine Augen sahen jedoch verwundert am Weihnachtsabend 1201 die Dänen heran­marschieren. Dies überraschte ihn vollends.

      Sogleich erkannte er die Überlegenheit des dänischen Heeres. Der strenge Winter hatte die Alster und die Elbe gefrieren lassen, sodass die Stadt mühelos von allen Seiten eingeschlossen werden konnte. Graf Adolf III. war sich seiner misslichen Lage durchaus bewusst. Eine Flucht, wie es vorher dem Vogt Radulf gelungen war, entzog sich seinen Möglichkeiten. Er war zu Verhandlungen gezwungen. Am zweiten Weihnachtstag wurde Adolf III. der freie Abzug zugesichert, wenn er im Gegenzug die Louwenburg an der Elbe übergeben würde.

      Im Lager Gunzelins von Schwerin, der Adolf zur Louwenburg geleiten sollte, verlor Adolf III. fast sein Leben. Denn als die aufgebrachten Dithmarscher erfuhren, dass ihr verhasster ehemaliger Graf sich bei Gunzelin befand, scherten sie sich einen Teufel um den Vertrag und wurden durch ihre Wut dazu gebracht, den Frieden zu brechen.

      Gunzelins Männer hielten die Dithmarscher so lange auf, bis die Dänen zu Hilfe kamen, um ihren eigentlichen Feind Adolf aus der lebensbedrohlichen Lage zu retten. Graf Adolf entging also nur knapp dem Attentat.

      Aber dann sollte sich das Schicksal Graf Adolfs III. doch erfüllen. Er konnte seinen Teil des Vertrages nicht erfüllen. Die Besatzung der Louwenburg weigerte sich nämlich hartnäckig, die Burg dem dänischem Feinde zu übergeben. Angesichts dieses Vertragsbruches wurde Graf Adolf III. mit Ketten gefesselt und als Gefangener nach Dänemark deportiert.

      Das war die Situation Anfang des Jahres 1202. Der Krieg schien demnach erst einmal zugunsten der Dänen gelaufen zu sein. Aber König Knud VI. hatte sich noch nicht persönlich um den Ort Mulne gekümmert. Solange die Lage des Ortes ungewiss war, herrschte bei den Bürgern und Händlern eine unsichere Stimmung. Niemand wusste genau, wie es weitergehen sollte.

      Warten, einfach nur warten – wie es Thiedardus lapidar ausgedrückt hatte – war anscheinend die einzige Wahl, die den Einwohnern Mulnes blieb.

      Der Winter war kälter und strenger als die vergangenen gewesen. Lange Eiszapfen hingen von den Rändern der Dächer herab. Die Sonne strahlte und der Schnee glitzerte romantisch, wenn sich das Licht darin reflektierte. In dieser eigentlich schönen winterlichen Atmosphäre stand Prabislaw, leicht vor Kälte zitternd, vor der Tür des Bäckers Gottfried. Er hatte geklopft und wartete darauf, dass der Bäcker seine Tür öffnete.

      Schließlich wurde sie, von einem Quietschen begleitet, auch geöffnet, doch nicht der Bäcker selber, sondern seine schöne Tochter Helene öffnete. Ein freudiges Lächeln des Erkennens zeichnete sich auf beiden Gesichtern ab. Noch bevor Prabislav das Wort ergreifen konnte, sah Helene über ihre Schulter zurück. Als sie erkannte, dass ihre Mutter sie nicht beobachtete sondern in der Küche verweilte, warf sie sich gleich ihrem Geliebten an den Hals. Innige Küsse folgten. In einem Moment des Luftholens sahen sich die beiden verliebt an. Trotz des Glanzes in ihren Augen erkannte Prabislav dennoch, dass etwas Helene bedrückte.

      „Ich wollte noch einmal mit deinem Vater wegen der Morgengabe sprechen. Wo ist er?“

      Helene druckste herum und sah ein wenig verlegen drein.

      „Was ist los? Ich wollte deinen Vater sprechen. Wenn er mir ein wenig entgegenkommt, habe ich die Morgengabe bald zusammen. Ist das nicht eine gute Nachricht?“

      „Er ist … er … ich weiß … ich weiß nicht wie …“

      „Jetzt stammle nicht herum. Was ist geschehen?“

      „Mein Vater ist bei Hanno.“

      „Ja, und? Was hat das mit uns zu tun?“

      Prabislav wusste sofort, dass seine Frage eigentlich dumm und unnütz war. Johannes hatte ihn oft genug vor diesem Ereignis gewarnt. Dennoch wollte er es nicht wahrhaben, was jetzt in seine Ohren drang. Wie von einem weit entfernten Rufer verkündet, waren die Worte Helenes in seinem Kopf zu vernehmen.

      „Sie verhandeln über meine Morgengabe. Es wird auch ein Termin für meine Toslach und die anschließende Heirat ausgehandelt. Hanno kann nämlich die verlangte Morgengabe zahlen.“

      „Aber wir lieben uns doch? Das kann dein Vater nicht machen.“

      „Du siehst ja, dass er es kann. Er ist mein Munt, mein Schutzherr, wie du weißt, und kann mich mit jedem vermählen, der bereit ist das geforderte Geld zu entrichten. So sind nun einmal die Sitten. Damit müssen wir uns abfinden.“

      Prabislav nickte traurig. Er hatte die Sitten hier genügend kennen gelernt, seit er aus dem Dorf seines Vaters in die für ihn große Stadt übergewechselt war.

      „Was wird dann zwischen uns sein? Du weißt, wie sehr ich dich liebe.“

      „Wir haben keine andere Wahl.“ Ihre Stimme klang bedrückt.

      „Ist deines Vaters Entschluss unumkehrbar?“

      „Ja, er sagt, du hättest ausreichend Zeit gehabt. Ich bitte dich trotzdem eins zu bedenken. Ich werde zwar sein Weib sein, aber mein Herz gehört ewig dir. Das weißt du.“

      Dessen war sich Prabislav sicher. Zur Bestätigung nickte er.

      Was sollte er weiter sagen? Helene war ein aufrechtes und wohlerzogenes Mädchen, welches ihrem Vater ohne Widerspruch gehorchte, und die Lügerei lag ihr fern. Nickend drehte er sich um und verließ den Eingangsbereich des Bäckerhauses. Seine Enttäuschung war nicht zu beschreiben, aber dennoch versuchte er diesen Schicksalsschlag wie ein Mann zu ertragen.

      Einem geschlagenem Hund gleich, trottete er mit gesenktem Kopf von dannen.

      Währenddessen ging Helene als pflichtbewusste Tochter in die Küche zurück, wo ihre Mutter Wasser in den Grapen, einen bronzenen Kessel, gefüllt hatte. Das Feuer, welches mit Sprick genanntem Reisig und getrockneten Tannenzapfen angezündet worden war, brannte nun und verzehrte die darüber gelegten Holzscheite.