Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


Скачать книгу

tauchten daraufhin ihre Schwerter in den am Boden liegenden Körper hinein.

      Währenddessen schossen die vier Bogenschützen ihre Pfeile auf die durch die Furt flüchtenden zwei Männer ab. Teilweise trafen sie ihr Ziel.

      Reinold stürzte an der Schulter getroffen vom Pferd. Der alte Mann fiel augenblicklich ins Wasser. Konrad dagegen hatte mehr Glück. Das Pferd des Lokators wurde im hinteren Teil getroffen, was es nicht sonderlich in der Bewegung hinderte. Die übrigen Pfeile schwirrten an seinem Kopf vorbei. Ohne zurückzusehen, trieb der Lokator sein Pferd durch die Delbende, um das Ufer schnell zu erklimmen. Bald war er zwischen den vielen Bäumen und Sträuchern verschwunden und setzte alleine seinen Ritt zum Werder eilig fort.

      Mit keinem Blick sah der Lokator zurück.

      Prabislav gewahrte, am Wasser stehend, dass doch noch Leben in Reinold war. Dieser richtete sich triefend mit dem Pfeil in der Schulter auf und stolperte durch den Fluss, bis er am anderen Ufer erschöpft liegen blieb.

      Sein Pferd stand wartend in der Mitte des Flusses. Eilig holte Prabislav das Pferd und brachte es Zwentepolch, der stolz über den Erfolg seines ersten von ihm geführten Angriffes war. Seine Männer sammelten sich um ihn.

      „Das war sehr gut, wie ihr euch verhalten habt. Wir haben die Westfalen getötet, haben ihre Pferde und ihre Waffen. Schade nur, dass einer entkommen konnte.

      „Wollen wir ihm nach?“ Slaomir dürstete nach mehr.

      „Nein, wir werden ihn nicht mehr einholen können, dafür ist der Weg zum Werder von hier aus zu kurz. Aber wir müssen dennoch fort von hier. Bald geht die Sonne unter, und wir brauchen noch einen sicheren Unterschlupf für die Nacht. Morgen werden wir ebenfalls über die Furt gehen und den Frachtweg überfallen. Die Beute wartet da auf uns. Also vorwärts.“

      Strahlend ergriffen die Männer die Zügel der erbeuteten Pferde und wollten losgehen, als sie die Stimme eines jungen Mannes vernahmen.

      „Ich komme nicht mit.“

      Zwentepolch drehte sich mit einem verächtlichem Lächeln herum und musterte Prabislav von oben bis unten.

      „Was ist mit dir? Ist dir das bisschen Blut auf den Magen geschlagen?“

      „Nein, aber ich habe gesehen, dass es unrecht ist, was wir hier tun. Ich will meine Hände nicht mit unschuldigem Blut beschmutzen und dafür gehängt werden.“

      „Unrecht sagst du? Was uns geschieht, ist wahres Unrecht. Wir verteidigen uns nur. Also reiß dich zusammen und folge uns.“

      „Das werde ich nicht. Mein Vater hat Recht. Wenn wir zu den Waffen greifen, werden wir alle sterben. Wir fordern unseren Untergang heraus.“

      „Dein Vater ist ein elender Feigling. Er hat den Mut eines Weibes.“

      „Das ist nicht wahr. Nimm das sofort zurück. Mein Vater ist ein schlauer und mutiger Mann. Er hat mehr Verstand als ihr alle zusammen, denn ihr wisst nicht was ihr tut.“

      Lachend drehte Zwentepolch sich zu seinen Männern um, deren Verachtung für Prabislav ebenfalls in ihren Gesichtern geschrieben stand.

      „Du bist genauso ein lelek wie dein Vater. Ich hätte es wissen müssen, dass du nichts taugst. Beim ersten Anzeichen von Blut fängst du an zu heulen wie ein kleines Mädchen. Komm, verschwinde schon und weine dich am Rock deiner Mutter aus. Ach nein, ich habe vergessen, dass du keine mehr hast. Dann gehe zu einem anderen Weib und heule dich aus. Das hier ist was für Männer, und nicht für Feiglinge.“

      Lachend drehten sich die Männer erneut um und gingen gutgelaunt fort. Zwentepolch hatte sich seiner Stellung entsprechend auf ein Pferd gesetzt und ritt hochtrabend voran. Die Polaben folgten ihm.

      Als sie sich entfernten, durchschritt Prabislav die Furt des Flusses und ging zu der regungslos daliegenden Gestalt von Reinold. Er wollte den alten Mann hier nicht liegen lassen. Wenigstens beerdigen konnte er ihn. Das war er ihm schuldig.

      Um ihn besser ins Waldesinnere schleifen zu können, zog er den Pfeil mit einem Ruck heraus. Ein paar kleine Fleischfetzen blieben an der Spitze hängen, aber das war nicht das, was Prabislav plötzlich zurückweichen ließ. Es war das Zucken des Körpers in Begleitung eines schmerzhaften Stöhnens, welches Reinold entfuhr. Damit hatte Prabislav gar nicht mehr gerechnet. Anscheinend war Reinold doch noch nicht tot.

      Mühsam schleifte er Reinolds Körper zum Werder. Der Schweiß lief ihm in die Augen. Mit dem Arm wischte er ihn ab, aber wenige Minuten später musste er erneut anhalten.

      Die Sonne hatte inzwischen den Horizont berührt, und das dämmrige Licht übertünchte alles. Bald würde es ganz dunkel sein. Nur ein fahles Mondlicht würde dafür sorgen, dass man die Umrisse der Hand noch vor Augen erkennen konnte. Alle rechtschaffenen Bürger würden dann in ihren Häusern bei Kerzenlicht verweilen. Doch Reinolds Schicksal ließ Prabislav nicht aufgeben. Immer weiter zog er den schweren Mann.

      „Halte an, oder du bist des Todes.“

      Prabislav verstand nicht die Worte, aber deren Sinn. Er verharrte. Aus der um sich greifenden Dunkelheit schälte sich ein imposanter Reiter auf einem braunen Hengst hervor. Der Reiter war nicht alleine. Kriegsleute folgten ihm in gebührendem Abstand. Prabislav verstand gleich, dass sein Leben in Gefahr war. Ein falsches Zucken, und er würde mit den Pfeilen durchbohrt werden, welche die Helme auf ihn gerichtet hatten.

      Da Prabislav unbewaffnet war, hoffte er, dass die Männer seine helfende Absicht erkennen würden. Aber als er in ihre finsteren Gesichter blickte, war er sich nicht mehr so sicher. Zwei Helme nahmen sich Reinolds Körper an und sprachen zu ihrem Herrn in ihrer fremden Sprache. Sein Gesicht hellte sich auf. Obwohl Prabislav noch niemals eines Ritters ansichtig geworden war, wusste er gleich, dass er einen leibhaftigen vor sich hatte. Von Rittern hatte er vernommen, dass diese in das weit entfernte Muselmanenreich geritten waren, um das heilige Land der krastajanin zu befreien. Ein wenig Ehrfurcht ergriff ihn. Aber das nützte ihm wenig, da seine Helfer ihm schleunigst mit einem Band die Arme auf dem Rücken verschnürten. Wie einen Dieb führten sie ihn zum Werder. Von dem Gerede der Rittersleute hatte er zwar kein Wort verstanden. Dennoch fühlte er sich wie ein zum Schafott geführter Mörder. Aber er war keiner. Niemand verstand seine Worte. Nur Reinold vermochte dies, und ob er überhaupt diese Nacht überleben würde, war wahrlich nicht gewiss.

      Drei Tage brachte Prabislav nun schon in dem halbfertigen Haus zu, welches in der Nähe der Holzbrücke, die nach Norden führte, lag. Drei Tage folgten, in denen er wie ein Räuber bewacht wurde. Nur ein schleimiger Brei, der in einer Holzschüssel dargebracht wurde, war die einzige Abwechslung, die er in dem dunklen Raum hatte.

      Es war der vierte Tag, als ein ihm bekanntes Gesicht in der Türöffnung stand. Zuerst vermochte er den Mann nicht zu erkennen, weil nach den Tagen der Finsternis sich seine Augen erst wieder an das grelle Licht gewöhnen mussten. Doch dann erkannte er ihn wieder. Es war Konrad Wackerbart.

      Der Lokator ließ ihn mit einer Geste wissen, er solle ihm folgen. Zuerst war er wackelig auf den Beinen, doch der Weg war nicht weit. Er wurde in ein Gebäude geführt, welches ihm sogleich als ein Haus eines mächtigen Menschen vorkam. Obwohl es noch lange nicht fertig war, dachte sich Prabislav sofort, dass es das Haus des Lokators, oder einer noch höheren Persönlichkeit sein musste. Der Lokator führte ihn in einen hinteren Raum, der nur spärlich eingerichtet war. In diesem Raum lag eine Pritsche, die mit frischem Heu ausgelegt war. Auf ihr ruhte Reinold. Seine Hände lagen gefaltet auf seinem Bauch. War er tot?

      Unbeweglich lag er da, und seine Augen waren geschlossen Dennoch machte Prabislaw in dem schummrigem Licht des Raumes so etwas wie Frieden auf dem Antlitz aus. Frieden, den er ihm gönnte. Es war ein komisches Gefühl. Immer, wenn er Reinold getroffen hatte, war es kein erfreulicher Anlass gewesen, oder sie waren im Streit auseinandergegangen. Aber dennoch hatte Prabislav ein seltsames Vertrauen zu dem alten Mann, welches nicht mit Ver­nunft zu erklären war. Deshalb hatte er ihn an der Furt nicht zum Sterben zurück gelassen.

      „Komm näher. Wie ich hörte, hast du mir das Leben gerettet. Dafür will ich dir danken.“

      Prabislav