Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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später geholfen. Zuerst hatte ich finstere Absichten und wollte deinen Tod.“

      Reinold richtete sich auf und sah dem jungen Mann direkt in die Augen.

      „Ich weiß alles. Und gerade deshalb gilt mein Dank dir ganz besonders. Was du getan hast ist mehr wert und viel schwerer zu tun. In deinem jugendlichen Hass hast du dich von Zwentepolch einlullen lassen. Du warst bereit zu töten. Doch dann, als du den Irrsinn gesehen hattest, hast du dich eines Besseren besinnt, und wolltest aussteigen. Dazu gehört viel Mut, und vor allem der Mut, es den ausgewachsenen Männern zu sagen. Dir war ja bewusst, dass sie dich dafür verachten würden. Und anschließend hast du die Qual auf dich genommen, mich fast bis zum Werder zu schleppen, obwohl du wusstest, dass ich bald hätte tot sein können.“

      „Das hätte jeder getan.“

      „Sei nicht so bescheiden. Das sehe ich anders.“

      „Aber als dann der Ritter mit seinen Mannen auftauchte und mich für vier Tage in das Haus einsperrte, dachte ich daran, sterben zu müssen Was war geschehen?“

      „Ha“, der Gedanke daran schien Reinold zu belustigen. „Du bist an den Ritter Detlef geraten. Er war seit Tagen hier, um am Mulne Rast einzulegen, als Konrad mit seinem verwundeten Pferd zurückkam. Schnell verbreitete sich die Nachricht, dass Polaben ihn und seinen Trupp überfallen hatten. Wie es um mich stand, wusste der Lokator nicht zu berichten. Er dankte Gott, dass er auf den Ritter Detlef gestoßen war, und bat ihn, sich meiner anzunehmen und die Polaben zu bestrafen. Sie waren noch nicht weit gekommen, als du ihnen in die Hände fielst. Natürlich dachten sie, dass du für meinen Tod verantwortlich wärst und wollten dich der Gerichtsbarkeit übergeben. Hängen wäre die Folge gewesen. Klugerweise warteten sie jedoch zuerst meine Genesung ab. Als ich wieder zu mir kam, klärte sich die Angelegenheit soweit auf, dass du mich hierher bringen wolltest, um mich zu retten, weil du noch Leben in mir gespürt hattest. Ist es so gewesen?“

      Prabislav nickte.

      „Es war für mich schrecklich dich tot zu sehen. Erst wollte ich dir ein Begräbnis zukommen lassen, damit du nicht von Wölfen und anderem Getier gefressen wirst. Doch dann erkannte ich, dass noch Leben in dir war und wollte dich retten. Aber plötzlich stand dieser Ritter vor mir. Ein beeindruckender Mann. Erzähle mir von ihm. War er auch auf einem von diesen Kreuzzügen von denen ich hörte, dass dies die Ritter tun?“

      „Oh ja. Detlef ist ein edler Ritter, der einen Kreuzzug mitgemacht hat.“

      Reinold schmunzelte selbst angesichts seiner Worte.

      „Was ist denn Detlef für ein Mensch?“

      „Weißt du, von einem edlen Ritter werden viele Eigenschaften erwartet: ein maßvolles Leben, ritterliches Ansehen und Würde, Treue, Demut, Freigiebigkeit, Würde, Freundlichkeit und Tapferkeit. All diese Eigenschaften vereinbart Detlev in sich. Durch solche Ritter wie ihn ist der Ritterstand zu dem geworden, den er heute darstellt.“

      „Ich möchte auch ein Ritter sein. Ritter Prabislav, hört sich doch gut an, oder nicht?“

      Prabislavs Naivität belustigte Reinold.

      „Dein Wunsch ehrt dich. Erlerne du erst einmal unsere Sprache, damit du fähig bist hier dein Brot verdienen zu können. Das ist erst einmal das Wichtigste. Dann kannst du dir immer noch die Sporen als Knappe eines Ritters verdienen. Aber bis dahin solltest du einem Handwerk nachgehen, welches dir dein tägliches Brot gibt.“

      „Warum kann ich jetzt nicht ein Schildknappe Detlefs sein? Eure seltsame Sprache lerne ich schon dabei.“

      „Ganz so einfach wie du denkst ist es nicht, ein Schildknappe zu werden. Normalerweise beginnen sie ihre Lehrzeit schon mit dem siebten Lebensjahr als Page. Mit vierzehn Jahren gar werden sie unter feierlichem Zeremoniell und Überreichung eines geweihten Kurz­schwertes durch einen Priester vor dem Altar zum Knappen ernannt. Über dieses Alter bist du schon hinweg, und ein getaufter Christ bist du auch nicht. Der Knappe muss seinem Herrn beim Anlegen der Rüstung behilflich sein, die Waffen instand halten und die Pferde pflegen. Auf Kriegszügen und zu Turnieren hat er ihn zu begleiten, ihm die Waffen zu reichen und in jeder Beziehung für ihn zu sorgen. Wenn ein Schildknappe mit einundzwanzig Jahren sich durch Mut und Treue ausgezeichnet hat, empfängt er die Schwertleite oder den Ritterschlag. Aber selbst das ist nicht gewiss, da ein Ritter aus gutem Hause, wenn nicht sogar adelig, sein muss. Doch ein Ritter muss auch die Rüstung, Pferde, Waffen und jegliches aus eigenem Beutel bezahlen. Viele Gold- und Silberstücke sind daher vonnöten. Und ich glaube nicht, dass du eine Truhe voll Goldstücke dein Eigen nennst.“

      Die Enttäuschung erfasste Prabislav. Ein soeben erwachter Traum zerplatzte.

      „Meinst du nicht, dass Detlef mit sich reden lässt?“

      Reinold schüttelte den Kopf. „Erstens hat Ritter Detlev schon einen Knappen. Und zum anderen reist er bald wieder ab.“

      „Wie, er reist ab? Wohin? Wieder auf einen Kreuzzug?“

      „Diesmal hast du richtig geraten. Detlef hat vernommen, dass der Kaiser Heinrich VI, Sohn des legendären Barbarossa aus der Familie der Staufer, einen Kreuzzug plant. Er selbst befindet sich schon auf dem Weg nach Sizilien, wo die Ritter sich sammeln, um gemeinsam nach Jerusalem zu ziehen. Ritter Detlef wird baldigst nach Messina aufbrechen.“

      Der gesenkte Kopf Prabislavs sprach Bände.

      „Kopf hoch, mein Junge. Du wirst schon deinen Weg auch ohne Schwertleite und Ritterschlag gehen. Helfe uns hier in Mulne. Hier ist dein Zuhause.“

      „Das heißt, dass ich hier bleiben kann?“

      „Der Lokator und ich hatten in eurem Dorf doch verkündet, dass bei uns Platz für euch ist. Das war nicht gelogen. Willkommen im neuen Mulne.

      Das Klopfen an der Tür klang eilig. Da sein Bruder Taomir sich nicht im großen Haus befand, ging Prabislaw selbst zur Tür und öffnete sie.

      „Hallo Johannes. Ich bin bereit.“

      Prabislaw verschloss seine Haustür in der Seestrate und ging mit seinem Freund von dannen. Der Abend war kühl, deshalb hatte er seinen Heuke, einen aus Wolle bestehenden mantel­artigen Umhang ohne Ärmel, übergehängt. Sie hatten beschlossen, den Abend im Krug in der Pinnowerstrate zu verbringen.

      Als sie am Haus des Bäckers Gottfried vorbeigingen, verlangsamte Prabislaw für einen Moment seinen Schritt. Fast unbemerkt warf er einen Blick auf das Haus des Bäckers Gottfried, an dessen brauner Tür sie gerade vorbeigingen. Aber nur fast unbemerkt. Johannes war Prabislavs bester Freund und kannte ihn daher genau. Deshalb war ihm der verstohlene Blick zum Haus des Bäckers nicht entgangen.

      „Wann willst du deine Angebetete denn nun heiraten?“

      „Wenn ihr Vater, der geldgierige Strolch, nicht solche hohen Forderungen als Morgengabe verlangen würde, wären wir schon längst verheiratet. Er rückt keinen Witten7 von seiner horrenden Forderung ab. Was er verlangt, kann nur ein reicher Edelmann aufbringen. Mir sind deshalb die Hände gebunden.“

      Als Prabislav daran erinnert wurde, wie der Bäcker um seine Tochter schacherte, verfinsterte sich sogleich sein Gesicht, und seine Faust ballte sich. Die Morgengabe, die der pistor, wie der Bäcker genannt wurde, von dem Freier seiner Tochter forderte, war das Geschenk des Mannes an die Ehefrau am Morgen nach der Hochzeitsnacht. Sie wurde vor der Toslach, der Verlobung, die vor hohen Zeugen wie Ratsmitgliedern eingegangen wurde, wie ein Kauf­manns­geschäft ausgehandelt. Die Morgengabe war eigentlich dazu gedacht, zur freien Verfügung der Frau zu stehen, sollte der Ehemann vorzeitig verscheiden, und somit ihrer Versorgung als Witwe dienen.

      Prabislavs Verdienst war nicht gering. Dennoch würde er noch Jahre brauchen, um die siebenhundert Mark zusammenzubekommen, die Gottfried, der pistor, von ihm verlangte.

      Ja, eigentlich ging es Prabislav nicht schlecht. Er war Schreiber des Lokators Konrad Wackerbart und der führenden Patriarchen des Ortes Mulne geworden. Stadträte konnten sich die hohen Bürger noch nicht nennen, weil Mulne keine Stadtrechte besaß,