Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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sah sprachlos seinen jungen Freund an. Er würde es nicht schaffen, die Sturheit des Jünglings zu brechen. Dessen wurde er sich bewusst, aber er konnte einfach nicht aufgeben. Zu sehr lag ihm das Wohlergehen des jungen Mannes am Herzen.

      Als Reinold nach brauchbaren Argumenten suchte, um den jungen, vor Sturheit blinden Mann zu überzeugen, geschah etwas, was nicht nur auf Prabislavs Liebe Auswirkungen haben sollte. Nein, was nun geschah, sollte große Auswirkungen auf ganz Mulne haben. Aber das wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

      Unvermittelt wurde die Tür der Scrivekamere aufgerissen, und Johannes Kopf erschien. Er machte ein Gesicht, als sei ihm der Leibhaftige erschienen. Ohne ein Wort zu sagen, war es den beiden Sitzenden sofort einleuchtend, dass Johannes mit einer wichtigen und einschneidenden Botschaft schwanger ging, die von großer Reichweite für alle Menschen des Ortes war.

      „Die Dänen kommen.“

      Diese Nachricht war wahrlich überraschend. Zu wenig hatte sich in letzter Zeit ereignet, und zu spärlich waren demnach die Nachrichten gewesen, die über die herrschenden Dänen und ihren König Knud VI. nach Mulne gelangten.

      Diese drei Worte waren wie ein Startsignal. Vergessen war der kleine Zwist zwischen Reinold und Prabislaw. So schnell es ging erhoben sie sich und stürmten aus dem kühlen Hause des Lokators in die Hitze des Tages heraus. Prabislaw eilte voraus, wie es ihm die Jugend gestattete, doch Reinold versuchte so schnell wie möglich zu folgen. Er keuchte vor Anstrengung, und der Schweiß tropfte wieder herab. Ihr Ziel war die hölzerne Brücke im Norden des Werders.

      Die Nachricht vom Eintreffen der Dänen hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Alle Einwohner der Ortes waren versammelt. Von allen Seiten waren die Menschen herbei­gelaufen. Der Bauer ließ die Kühe alleine und war aus dem Stall getreten. Der Bäcker ließ das Mehl liegen, und der Schuster legte den Hammer nieder. Die Kinder ließen vom Spielen ab, und die Frauen von der Nähnadel. Keiner konnte mehr seiner Beschäftigung nachgehen.

      Keine Burg, keine Feste, keine Gräben, keine Wälle und uneinnehmbaren Mauern verwehrten dem dänischen Heer den Zutritt in den Ort. Keine Soldaten konnten mit Pfeil und Bogen, Lanzen und Schwertern für die Verteidigung sorgen. Wehrlos lag Mulne da und musste jedem fremden Heer Einlass gewähren.

      In Spalier standen die Bürger entlang der Hauptstraße und gafften den unendlich scheinenden Strom der dänischen Helme an, der sich vom nördlichen Berg kommend hernieder über die hölzerne Brücke erstreckte. Die Holzbrücke knirschte und knarrte unter dem Gewicht und der stetigen Erschütterungen durch Pferde, Wagen und Fußsoldaten. Die Soldaten und ihr Ver­pfle­gungstross jedoch zogen mit Hunderten von wehenden Wimpeln an den Häusern vorbei, und bezogen auf der südlichen schon gerodeten Fläche des Werders Quartier.

      Zwei stattliche Männer hoben sich aus der uniformen Einheitlichkeit des Heeres ab. Eingerahmt von Reitern, welche die Banner des dänischen Königshauses trugen, zogen König Knud VI. und sein Bruder Herzog Waldemar II. hoch zu Ross durch das Spalier der beein­druckten einfachen Bürger ein. Noch niemals zuvor hatten sie einen leibhaftigen König gesehen, geschweige denn den dänischen, von welchem waghalsige Geschichten im Umlauf waren. Denen zufolge haftete den Dänen der Ruf der Brutalität und Härte an. Der Ruf unbarmherziger Krieger, welcher den Dänen als Nachfahren der Wikinger anhaftete, war ihnen immer voraus. Und ihre derzeitigen Eroberungszüge, auf denen Nordalbingien gänzlich in ihre Hände geraten war, waren nicht dazu geeignet den schlechten Ruf zu mildern.

      Der König und sein Bruder stiegen von den Pferden. Die Nachricht vom Erscheinen der Dänen hatte auch den Lokator auf den Plan gerufen. Er war gerade angekommen, als der König seinen Blick über die Häuser Mulnes streifen ließ. Knud hatte schon von dem Ort am trüben Wasser vernommen. Mulne war ihm als aufstrebender Marktplatz und wichtiger Ver­kehrs­punkt auf der Via Regia geschildert worden. Er war sich der strategischen Wichtigkeit des Ortes bewusst. So hing er seinen Betrachtungen, in denen es um Machterhalt und Ein­fluss­vergrößerungen ging, nach, als er aus seinen Gedanken gerissen wurde.

      Zwei Männer traten auf ihn und seinen Bruder zu. Es waren Konrad Wackerbart und Werdago de Mulne. Werdago war ein großer Mann mittleren Alters mit dunkelblondem Haar, dessen schmales Gesicht nicht zu seiner weiteren äußeren Erscheinung passte. Er war ein ziel­bewusster Mensch, der genau wusste was er wollte. Werdago wollte erster Bürgermeister der Stadt Mulne werden. Er wollte die lübischen Stadtrechte für Mulne haben. Das war sein großes Ziel. Der erste Versuch in Bredenvelde war fehlgeschlagen, doch gab er nicht auf. Mit einem untrüglichem Gespür für die Gelegenheit wollte er die Gunst der Stunde nutzen, wenn sich schon einmal ein großer König im Ort befand.

      Mit einer untertänigen Verbeugung, der sich Konrad Wackerbart an seiner rechten Seite anschloss, zeigte er für alle sichtbar seine Unterwürfigkeit vor der dänischen Krone.

      Was blieb ihm auch anderes übrig.

      „Eure Hoheit, König der Dänen! Mein Name ist Werdago. Wir heißen euch in Mulne willkommen. Möge euer Aufenthalt so angenehm wie möglich sein.“

      Misstrauisch beäugte Knud die Szenerie. Er sah, dass sich auch die Mulner Bevölkerung in ehrerbietiger Haltung vor ihm verbeugt hatte. Alle waren dem Beispiel Werdagos gefolgt. König Knud VI. sah die Ergebenheit. Er sah genau, wie sie sich vor ihm in den Staub des Sommers knieten. Aber er war nicht dumm. Diese Ehrerbietung war nicht von Herzen gekommen. Die Menschen fühlten sich eher durch das große Heer dazu gedrängt. Das mut­maßte er. Sie war nicht so herzlich und enthusiastisch gewesen, wie in Lubeke, von wo sie gerade herkamen. Die fehlende Wehrhaftigkeit Mulnes war ihm nicht verborgen geblieben.

      Sein Misstrauen schwand nicht.

      „Wo ist meine Unterkunft?“

      Das war alles, was der König entgegnete. Da die Mulner nicht auf einen so großen Besuch eingerichtet waren, so fehlte ihnen eine für einen König würdige Unter­kunft. Aber Konrad wusste zu improvisieren. Es gab zu der Zeit in Mulne noch keine Burg, kein Schloss oder irgendein Herrenhaus, welches einem königlichem Besuch gerecht geworden wäre. Das beste und größte Haus war zu der Zeit das Haus des Lokators, in welchem Prabislaw seiner Arbeit nachging. Es befand sich unweit der Brücke.

      Natürlich war für ihn an diesem Tag seine Schreibarbeit beendet. Schnell räumte er seine Sachen in der Scrivekamere zusammen. Der Lokator führte derweil den König und seinen Anhang in sein Haus. Dort angekommen, zeigte er ihm die Schlafgelegenheiten. Danach liefen herbeigeeilte Dienerinnen umher, um das Nachtlager zu richten.

      Werdago nutzte die Gunst der Stunde, um sein großes Ziel erreichen zu können.

      „Mein König, ich möchte Euch ein mir wichtiges Anliegen …“

      Werdago wollte weitersprechen, doch schroff schnitt der König ihm das Wort ab.

      „Heute nicht mehr. Ihr könnt mich morgen vor unserer Abreise damit belästigen. Jetzt habe ich noch andere Dinge zu erledigen. Und nun lasst mich alleine.“

      Für alle Bürger war in dieser Nacht an Schlaf nicht mehr zu denken. Es war nicht nur das ständig vorhandene Gefühl, dass sich ein mächtiger Mensch in der Nähe befand, der über ihr Wohl und Wehe mit einem Fingerschnippen bestimmen konnte, sondern auch das Gegröle zu nachtschlafender Zeit, welches von den Soldaten auf der anderen Seite des Werders herüber­drang. Sie feierten ausgelassen, denn vielleicht war es das letzte Mal in ihrem Leben, dass sie dazu Gelegenheit hatten. Schließlich stand ihnen eine Schlacht bei der Louwenburg bevor. Diese Gelegenheit zum Saufen konnte man doch nicht ungenutzt verstreichen lassen. Dafür hatte sicherlich jeder vernünftige Mensch Verständnis.

      Auch der nächste Tag war glühend heiß. Werdago trat mit Konrad Wackerbart zusammen zum König. Hinter den Häusern im Süden konnten sie schon wahrnehmen, dass die Soldaten antraten. Denen war eine durchzechte Nacht nicht anzumerken. Sie waren diese Saufgelage gewohnt. Pflichtbewusst stellten sie sich abmarschbereit in Reih und Glied.

      Der König wartete schon auf seine Männer. Er machte den Eindruck, als wenn das zu erwartende Gespräch nur eine lästige Störung sei. Es war ihm anzusehen, dass er am liebsten schon auf dem Rücken seines Pferdes