Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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aufschnappen würde. Doch auch diese Hoffnung erwies sich als zerplatzte Seifenblase.

      Nun, schon verunsichert, führte er den letzten Schlüssel zum Schloss. Doch siehe da, auch dieser ließ sich nicht drehen.

      „Sie lässt sich nicht öffnen“, verkündete Dannemann an die Umstehenden. Ihm war es sichtlich peinlich.

      „Hm“, sprach Burkhard. „Lasst mich mal versuchen.“ Der Pfarrer trat hervor und versuchte sich am Schloss, doch gleichfalls ohne Glück.

      „Es ist nutzlos“, verkündete er. Die Schlüssel passen alle nicht. Sind wir wieder einem seiner Späße aufgesessen?“

      Ratmann Hermann Dusekop ergriff kopfschüttelnd das Wort.

      „Das glaube ich weniger. Ich glaube vielmehr, dass dies von ihm nur zum Schutz getan wurde. Bedenkt doch, wie viele Reisen Dyl unternommen hat. Ständig verkehrte er in fremden Herbergen. Sicherlich hatte er Angst davor, bestohlen zu werden. Ist es da nicht verständlich, dass er solche Vorsichtsmaßnahmen wie falsche Schlüssel getroffen hat? Ich selbst hätte ebenso getan.“ Einstimmig erntete Hermann dafür Zuspruch. Ratsherr Bruno Grothe gar lobte die Umsicht des Verstorbenen über alle Maßen.

      „Seine Weisheit und Umsicht ist sehr lobenswert. Er war sehr vorausschauend. Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, dass die Truhe in den letzten vier Wochen nicht ausgeraubt wurde? Wer weiß. Dafür müssen wir Dyl noch zusätzlich dankbar sein. Ansonsten würden wir jetzt ohne Schatz hier stehen.“

      Der junge Bruno Grothe erntete viel Lob. So einigte man sich darauf, einen Schlosser herbeizurufen, der die Truhe zu öffnen verstand. Den besten Schlosser nahm man dafür. Denn es galt vorsichtig vorzugehen. Die kunstvolle Truhe sollte auf keinen Fall bei der Anwendung von Gewalt beschädigt werden. Schließlich wollte man die so kunstvoll in Eisen gearbeitete Truhe zum Andenken an den Verstorbenen aufbewahren. Das war man dem Wohltäter der Stadt für sein hinterlassenes Erbe ja wohl mindestens schuldig.

      Endlich fand sich ein fähiger Schlosser. Aber er war nicht leicht zu haben und wollte seine Arbeit gut entlohnt wissen. Ihm waren die gierigen Blicke auf die Truhe nicht entgangen. So ließ er sich v o r Beginn der Arbeit dreißig Mark lübsch auszahlen.

      Gerne zahlten die erwartungsvollen Erben großmütig das verlangte Honorar.

      Der Schlosser war sein Geld wert. Endlich ließ sich die Truhe öffnen. Das Schloss war ohne größere Schäden geknackt, und mit einem quietschenden Geräusch hob Johann Dannemann den Deckel empor. Alle Blicke waren sehnsüchtigst auf das Innere der Truhe gerichtet.

      Was folgte, war ein kräftiger Schock.

      Das konnte nicht wahr sein. Nein, nein, und nochmals nein.

      Steine, Steine und nochmals Steine. Die Truhe war bis obenhin mit Steinen gefüllt.

      Die meisten sahen sich um ihr Erbe betrogen. Da niemand gleich wusste, warum die Steine in der Truhe lagen, bildete sich gleich Misstrauen den anderen gegenüber. Plötzlich hatte jeder den anderen in Verdacht, sich diesen Betrug ausgedacht zu haben. Jeder sah den anderen mit Zorn und Misstrauen an und beschuldigte ihn der offensichtlichen Tücke.

      Burkhard fand als erster die Worte wieder. Und sogleich begangen die offen ausgesprochenen Beschuldigungen.

      „Es ist ja nur zu offensichtlich, wo sich der Inhalt der Truhe befindet.“

      „Was soll das heißen?“, entgegnete Johann Dannemann, der den versteckten Verdacht gegen sich selbst nicht überhört hatte.

      „Wer hatte denn die letzten vier Wochen die Truhe in seiner Obhut? Na, wer denn? Wer hatte vier Wochen Zeit, in aller Ruhe die Münzen herauszunehmen und die Truhe mit Steinen zu füllen? Wer hat zu Beginn der Truhenöffnung denn gesagt, die Truhe ließe sich nicht öffnen? Ja wohl nur derjenige, der daran Interesse hatte, dass sich sein Betrug nicht zeigen würde. Jedenfalls ist es ganz offensichtlich, dass der Rat das Geld hat.“

      Sofort wüteten die Ratsmitglieder und der Bürgermeister gegen diese infame Beschuldigung. Heftige Wortgefechte entstanden. Bruno Grothe wiederum versuchte die Schuld weiterzu­geben und seinerseits die Freunde des Verstorbenen zu beschuldigen.

      „Wir waren es nicht. So einen Betrug haben wir nicht nötig. Aber überlegen wir doch einmal genauer. Wer war noch stundenlang neben der Truhe und hätte die Möglichkeit des Tausches gehabt?“ Mit ausgestrecktem Arm zeigte er auf die Freunde Dyls.

      „Sie waren es“, schrie er voller Überzeugung.

      Arnulf und Rudolf wussten gar nicht, wie ihnen geschah. Sie waren einfach nur sprachlos. Ohne ein Wort des Widerspruchs ließen sie die Beschuldigungen über sich ergehen. Nicht so aber Gerald, der als Freund Dyls ebenfalls als Erbe berücksichtigt worden war. Er hatte überhaupt kein Interesse daran, dass die Schuld auf seine Schultern geladen wurde. Wie in einem Spiel gab er die Schuld weiter. Diesmal waren die Pfarrer dran.

      „Ihr beschuldigt uns? Das ist eine bodenlose Frechheit. Aber nicht nur ihr hattet lange Zeit zum Austausch. Was ist mit dem Pfarrer Burkhard? Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass er, als er dem Verblichenen die Beichte abnahm, uns alle hinausgeschickt hat. Da hätte auch er genug Zeit gefunden, die Steine hineinzutun.

      Mir ist jedenfalls aufgefallen, als die Truhe geöffnet wurde, dass Pfarrer Burkhard sofort einen anderen beschuldigte. Dies tun Betrüger immer, um von sich abzulenken.“

      Das Gesicht Burkhards wurde knallrot. Seine Stellung verbot ihm, handgreiflich zu werden. Doch hätte er den Gernot für diese Beschuldigung am liebsten körperlich gezüchtigt.

      Der Streit ging weiter. Sie schrien sich an. Jeder beschuldigte den anderen.

      Dann erkannte Dannemann in der hitzigen Atmosphäre, dass der Schlosser sein Werkzeug einsammelte und gehen wollte. Er hielt ihn zurück. Darauf verstummte der Streit, und alle Blicke wandten sich dem Bürgermeister und dem Schlosser zu.

      „Wo wollt ihr hin?“

      „Meine Arbeit ist hier getan. Und wer von euch das Geld in seinem Sack hat, ist mir einerlei. Ich jedoch habe meinen Lohn und werde nun zu meinem Weib heimgehen.“

      „Werdet ihr davon berichten, was sich hier zugetragen hat?“

      „Ha“, lachte der Schlosser auf. „Warum nicht? Es ist doch eine gar lustige Geschichte.“ So wandte sich der Schlosser der Türe zu.

      „Wartet.“ Es war dem Bürgermeister peinlich. Deshalb zog er schnell seinen Beutel unter seinem Rock hervor und zählte zehn Mark lübsch ab.

      „Hier habt ihr Geld, sodass niemand davon erfahrt. Nehmt außerdem die Truhe mit und zerschlagt sie. Das Holz wird euch im Winter wärmen. Wir wollen sie nicht mehr sehen, da sie uns an diesen unglückseligen Tag erinnert.“

      Der Schlosser nahm das Geld, die Truhe und verschwand. Doch sobald er verschwunden war, gingen die gegenseitigen Beschuldigungen weiter.

      Als Nächste gingen Rudolf und Arnulf nach Hause. Sie waren es leid, sich ständig die gegenseitigen Beschuldigungen anhören zu müssen

      Am nächsten Tag versammelten sich alle wieder. Auch Rudolf und Arnulf waren dabei. Die gegenseitigen Beschuldigungen hatten aufgehört. Nachdem die Männer nämlich eine Nacht darüber geschlafen hatten, hatte Burkhard die Lösung parat.

      „Hören wir doch mit den albernen Schuldzuweisungen auf. Ich glaube inzwischen viel mehr, dass wir einem Scherz des Dyl aufgesessen sind. Er hat sicherlich nie Geld besessen. Erinnert ihr euch, dass er davon sprach, uns steinreich zu machen, als er uns sein Testament verkündete? Das mit dem ,steinreich‘ hat er wohl wörtlich genommen. So war es gemeint.

      Er hat uns getäuscht. Es gab wohl nie Geld zu erben. Und wir waren so töricht, uns gegenseitig die Schuld zu geben und uns fast die Schädel einzuhauen.“

      „Da ist etwas dran“, sprach Dannemann. „Er war zu Lebzeiten schon ein wunderlicher Gesell. Es hat ihm Spaß gemacht, uns gegeneinander auszuspielen. Doch was sollen wir nun tun?“

      „Wir graben ihn aus. So eine ehrenvolle