Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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Da war es euch doch sicherlich vergönnt, Geld zu sammeln. Nun, wo euer Ende naht, so solltet ihr euch um euren Nachlass Gedanken machen. Bereut nun eure Sünden und gebt euer Geld einem zuverlässigen Mann wie mir. Ich werde wissen es zu Ehren Gottes einzusetzen. Ich werde euer mein Lebtag gedenken, und für euch Totengebete und Seelenmessen lesen.“

      Dyl war erschöpft. Sein Körper war von der Krankheit gezeichnet, seine Kraft erloschen, und er war dem Tode nahe. Trotzdem funktionierte sein Gehirn noch ohne Einschränkungen.

      Er war zwar todkrank, aber nicht dumm. Deshalb arbeitete er fieberhaft schnell einen Plan aus, mit dessen Hilfe er dem Vikar eine Lehre für seine offensichtlich zur Schau gestellte Gier verabreichen konnte. Er wusste sogleich, diese Gier des Vikars nach dem schnöden Mammon für einen Schabernack auszunutzen. Gerissen warf er seinen Köder aus.

      „Eure Worte sind Balsam für meine geschundene Seele. Deshalb will ich an euch denken. Auch ihr sollt etwas von mir erhalten. Doch dafür müsst ihr aber am Nachmittag wiederkommen. Dann werde ich euch selbst ein Stück Gold in die Hand geben. Dessen könnt ihr gewiss sein. Glaubt mir, ihr werdet wegen meiner Freigebigkeit überrascht sein.“

      Glücklich und voller Erwartung an den Nachmittag stolzierte Vikar Albert gleich davon. Die Abnahme der Beichte war ihm mit einem Mal nicht mehr so wichtig. Das musste Zeit haben.

      Im Verlauf des Vormittags meldete sich Dyls Darm. In eine leere Kanne entleerte er sich. Zur Täuschung legte er einige Münzen oben drauf. Allein diese Vorbereitung kostete die letzten Kräfte, doch war dieser Schabernack es ihm wert. Erschöpft sank er auf sein Lager zurück.

      Vor dem Hospital traf Vikar Albert zur angegebenen Stunde die beiden Freunde. Unfreundlich herrschte er sie an.

      „Wo wollt ihr hin?“

      „Zu unserem Freund Dyl. Wir wollen nach seinem Befinden sehen.“

      „Jetzt nicht. Kommt später wieder. Ich nehme ihm die letzte Beichte ab. Ihr versteht es doch sicher, dass wir dabei allein sein müssen.“

      „Ja, sicher verstehen wir das“, bestätigte Arnulf. „Geht es ihm denn wirklich so schlecht, dass er schon die letzte Wegzehrung benötigt?“

      Vikar Albert deutete mit einem mitleidvollen Blick ein Nicken des Kopfes an.

      „Oh ja, seine letzten Tage sind angebrochen. Geht nach Hause, und lasst mich mit ihm allein.“

      Mit hängenden Köpfen trotteten die Knaben von dannen.

      Vikar Albert dagegen betrat voller freudiger Erwartung das Hospital. Er sah den Goldklumpen schon vor seinem geistigem Auge. Ein Klumpen wartete zwar wohl auf ihn, doch sollte er nicht aus Gold sein.

      „Hier bin ich. Ihr hattet mir etwas versprochen. Wollt ihr nun so gütig sein, und mir davon geben. Ich bin bereit, es zu empfangen.“

      „Das freut mich. Doch möchte ich an eure Bescheidenheit appellieren. Seid doch nicht allzu gierig, um tief hineinzugreifen. Andere möchten auch noch davon haben.“

      Dyl machte den Deckel der Kanne auf, und ließ den Vikar hineinsehen.

      „Seht hier. Die Kanne ist voller Geld. Doch greift bescheiden zu. Ich bitte euch, nicht zu tief zu schürfen.“ Ihm war wohl klar, wie gierig Vikar Albert war.

      „Macht euch keine Sorgen. Ich weiß mich zu beherrschen. So tief werde ich schon nicht greifen. Es wird noch was für andere übrigbleiben.“

      Feierlich sprach der Vikar, und schon kreiste seine rechte Hand wie ein Geier über der erspähten Beute, die keine Chance hatte zu entkommen. Schnell glitt seinen Hand in die Kanne, um eine Handvoll des begehrten Metalls zu umschließen. Doch plötzlich stutze er. Etwas Nasses und Weiches hatte er ergriffen. Wie Geldmünzen fühlte es sich wahrlich nicht an. Sein Schrecken war riesengroß, als er die Hand zurückzog und auf dieser eine braune und stinkende Substanz erblickte. Wütend schmiss er die Kanne auf den Boden. Die wenigen Münzen rollten heraus, und die braune Substanz schüttelte er energisch von seiner Hand. Überall hin spritzten Teile davon. Dann schrie er seine Wut heraus.

      „Was seid ihr nur für ein hinterhältiger Schalk. Jetzt, wo du dem Tode nahe bist betrügst du mich noch. Was hast du dann erst mit den Menschen gemacht, als du noch jung warst?“

      Ganz ruhig antwortete der Gescholtene.

      „Seid ruhig. Ich habe euch mehrfach gewarnt. Erinnert euch. Mehrfach sagte ich, dass ihr nicht so gierig zugreifen sollt. Das ist nun die verdiente Strafe dafür. Also beschwert euch nicht. Wenn ihr nicht auf mich hörtet, so ist es allein eure Schuld.“

      „Wollt ihr mir etwa Gier unterstellen? Eine der sieben Todsünden? Das ist nicht wahr. Wahr aber ist, dass ihr selbst jetzt, kurz bevor ihr vor dem Herrn stehen werdet, eure schalkhaften Spiele spielen wollt. Schämt euch dafür.“

      Wütend verließ der Vikar ohne eine einzige Münze, dafür aber mit besudelter Hand, den Raum des Heilig-Geist-Hospitals. Er hörte auch nicht mehr, wie Dyl hinter ihm herrief:

      „Kommt zurück, lieber Vikar. Ihr habt eure Münzen vergessen, die ich euch versprochen habe. So nehmt sie. Sie mögen euer sein.“

      Ungehört verklangen die Worte. Dennoch sank Dyls Kopf zufrieden zurück auf sein Lager. So, wie er immer gelebt hatte, so wollt er auch sterben. Ob es nun gierige Pfarrer, oder herrschsüchtige Bürger in allerlei Städten waren. Stets hatte er sich einen Scherz daraus gemacht, die Unzulänglichkeiten der Menschen schonungslos offenzulegen.

      Und dies gedachte er auch noch mit seinem letzten Atemzug zu tun. Und der sollte bald kommen. Das spürte er. Deshalb ließ er nach seinen Freunden, einem Notar, dem Bürgermeister Johann Dannemann und dem Pfarrer Burkhard von der St. Nicolai-Kirche schicken. Vikar Albert wäre sicherlich auch nach einer Einladung nicht erschienen.

      Als alle um ihn versammelt waren, versuchte er den Kopf zu heben, doch fiel ihm das ersichtlich schwer. So ließ er es bleiben, und sah die Umherstehenden an. Nach einer Pause sprach er mit schwacher Stimme:

      „Es erfüllt mich mit Freude, euch alle zu sehen. Ich spüre, das das heute mein letzter Tag sein wird. Deshalb will ich mein Testament machen. Unter meinem Bettlager ist eine Kiste. Dazu gehören die Schlüssel. Mit dieser Kiste will ich euch steinreich machen. Aber ich möchte, dass alles zu drei Teilen aufgeteilt wird. Einen Teil erhalten meine treuen Freunde Rudolf und Arnulf. Der zweite Teil soll an den Rat der Stadt gehen. Bürgermeister Dannemann wird dafür sorgen. Und der dritte Teil des Erbes soll dem Klerus vermacht werden.

      Doch möchte ich eine Bedingung stellen. Wenn der Herr mich heimgerufen hat, so soll mein Leichnam in geweihter Erde begraben werden. Und für meine Seele soll vier Wochen lang in Totengebeten und Seelenmessen nach christlicher Ordnung und Gewohnheit gebetet werden. Nach diesen vier Wochen soll die Truhe geöffnet werden, sodass sie euch alle wohlhabend machen kann. Teilt sie so auf, wie ich gewünscht habe. Einigt euch gütlich.“

      Dyls Augen fielen zu, und das Sprechen fiel ihm schwer. Die umherstehenden Erben bestätigten seinen Wunsch. Dann konnte Dyl nicht mehr sprechen, und Pfarrer Burkhard spendete die letzte Ölung.

      So starb Dyl aus Cletlinge, und sein Atem stand still.

      Rudolf und Arnulf standen Tränen in den Augen. Sie hatten ihren Freund sehr gemocht. Seine Geschichten waren unterhaltsam und lustig gewesen. Sie ahnten, dass Dyl diese Geschichten nicht alle selbst erlebt hatte. Sicherlich entsprangen sie wohl seiner Phantasie. Sie waren zu lustig und unglaubwürdig, um wahr zu sein. Aber das war ihnen egal. Dyl hatte es verstanden sie zu unterhalten, und etwas Abwechslung in den Alltag gebracht. Sie vermissten ihn.

      Die Kunde von Dyls Tod verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der gesamten Stadt. Nach nur einer Stunde wusste jeder Bescheid. Es war nicht der Tod eines Menschen, der diese Anteilnahme hervorrief. Dyl war in Molne nur kurz und zwar ausschließlich zum Sterben gewesen. Menschen starben viel, und auch in jungen Jahren. Das war nichts Ungewöhnliches. Doch der Umstand, dass durch seinen Tod der Stadt viel Geld vermacht werden würde, ließ die Trauer der Bürger ins Frenetische anschwellen.

      Es war seltsam, welche Anziehung