Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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eine große Bürde und schwere Last sein. Wenn ihr wieder bei Kräften seid, so lasst uns weiter gehen. Ich sehne mich nach der Kunst des Apothekers.“

      „Gleich, mein Herr. Die Kräfte kommen bald wieder. Doch sagt uns inzwischen, wenn es kein Geheimnis ist, was euch nach Molne trieb.“

      Da war er wieder, dieser schelmische Blick des Fremden, den Rudolf schon vor dem Steintor aufgefallen war. Doch der Fremde antwortete nicht schelmisch, sondern ernsthaft.

      „Mir wurde Molne empfohlen. Ich suchte einen ruhigen und friedlichen Platz. Wenn ich mich hier umsehe, so meine ich ihn gefunden zu haben.“

      „Sicherlich“, schnell redete Arnulf dazwischen, weil er den Grund dafür zu wissen meinte, „braucht ihr einen ruhigen Ort zum Ausruhen, nach eurer langen Reise.“

      Der Blick des Fremden klärte sich auf, doch die Worte die nun folgten waren nicht diejenigen, welche die Knaben erwartet hatten.

      „Wisst ihr, ich habe schon viel gesehen. Ihrer zahlreich sind die Städte, durch die ich gekommen bin. Es sind Namen von Städten und Ländereien darunter, von denen ihr sicherlich noch niemals gehört habt. Doch das allein ist es nicht. Sicherlich bedarf es der Ruhe für mich nach den langen Reisen. Doch ich benötige Ruhe für lange Zeit. Und dies ist der eigentliche Grund meiner Reise. Ich suche eine ruhige und friedliche Stadt zum Sterben. Und wenn ich mir diese wohlhabende Stadt hier genauer ansehe, die großen Häuser mit ihren reich verzierten Türen und Giebeln, so meine ich den Ort gefunden zu haben, welcher mir ewigen Frieden für alle Zeit geben kann.“

      Verdutzt sahen sich die Freunde an. Dies hatten sie nicht erwartet.

      „Aber“, stammelte Rudolf, „ist nicht jeder Ort gleich gut zum Sterben? Vorausgesetzt Gott meint, die Zeit wäre gekommen euch heimzurufen.“

      „Weit gefehlt. Ich bin durch Orte gekommen, da wollte ich schon nach wenigen Stunden wieder weg. Und schon gar nicht die Ewigkeit dort verbringen. Hier jedoch fühle ich mich heimisch. Doch jetzt lasst uns weitergehen. Nennt mir noch eure Namen.“

      Arnulf erhob stolz das Wort.

      „Dies ist Rudolf, und ich bin Arnulf. Und wie sollen wir euch rufen?“

      „Nennt mich Dyl.“

      Die Jungen hoben die Kiste an und trugen sie den Berg hinauf, bis sie den Marktplatz erreicht hatten. Auf ihm herrschte kein reges Treiben mehr. Der Markttag war zu Ende. Der Bäcker baute seinen Stand ab, ebenso der Obsthändler. An seinem Schrangen hatte der Knochenhauer seine fleischige Ware schon auf seine Handkarre geladen.

      Die Knaben trugen die Kiste zu einer Herberge. An der Tür prangte neben dem Herbergsschild noch ein weiteres, welches den Besitzer außerdem als Apotheker auswies. Die drei betraten den Raum. Sogleich trat aus dem Nebenraum, der mit einem Vorhang abgetrennt war, ein kleiner schmächtiger Mann hervor. Listige Augen lugten oberhalb der spitzen Nase hervor. Einzelne Haarsträhnen, die auf seinem fast kahlen Kopf vereinsamt wirkten, hingen wirr durcheinander.

      Der Apotheker Werinhard war für seine Schläue und seinen Hang zum Neckischen bekannt.

      „Was kann ich für euch tun?“

      Werinhards neugieriger Blick war kurz auf die verzierte Truhe gerichtet, welche mit lautem Geräusch unsanft von den Jungen abgestellt wurde. Sein geübter Blick verriet ihm sofort, dass er einen wohlhabenden Fremden vor sich hatte. Bei dem Fremden war viel zu holen. Dies konnte er für seinen Säckel ausnutzen. Aber da war noch sein uneingeschränkter Hang zur Neckerei. Für einen kurzen Moment zuckte sein linker Mundwinkel.

      „Ich brauche eine Medizin für mein Unwohlsein. Und ein Zimmer benötige ich.“ Dyl war wahrlich nicht wohl. Er sehnte sich nach einem Ruhelager.

      „Oh, ihr seht leidlich krank aus“, erkannte Werinhard mit einem Klang seiner Stimme, die voll von Mitleid war. „Ihr habt sicherlich Fieber. Euch kann durch mich geholfen werden. Ich habe ein wohliges Zimmer für euch, in dem ihr euch erholen könnt. Und die passende Arznei habe ich wohl. Seht hier in diese Büchse. Von dem pulvrigen Inhalt fülle ich diesen Becher halbvoll. Mit Wasser aufgefüllt wird es die richtige Medizin sein. Gleich morgen wird es euch wieder besser gehen.“

      Dyl nickte und folgte Werinhard, der mit dem Becher in der Hand voranschritt. Die Knaben folgten den Männern mit der schweren Truhe die Treppe hinauf. Sie stellten erschöpft die Truhe ab. Werinhard gab Dyl den Becher zu trinken, welcher den Inhalt in einem Zug hinunterstürzte. Dann bettete er den Kranken der Länge nach hin. Sofort schloss Dyl seine Augen und fiel in einen tiefen Schlaf. Werinhard warf noch einen kurzen Blick auf die Truhe, entschied sich dann aber dafür, die beiden Dreizehnjährigen zur Tür zu begleiten. Sie ließen den Apotheker wissen, dass sie gleich morgens wieder erscheinen würden, um sich nach dem Zustand des Dyl zu erkundigen.

      „Wenn es denn sein muss!“ Werinhard war darüber wenig erfreut. Er schob die Freunde unsanft auf den schon dunklen Marktplatz hinaus und schloss die Tür.

      Dyl erwachte irgendwann in der Nacht. Er hatte keine Ahnung wie spät es war; in seinem spärlich eingerichteten Zimmer herrschte absolute Dunkelheit. Sofort ergriff ihn wieder das Unwohlsein. Er fasste sich an die Stirn. Die Arznei des Apothekers hatte nicht geholfen. Aber nicht seine Schmerzen im Kopf hatten ihn geweckt. Es war etwas anderes, welches er noch nie so stark verspürt hatte.

      Da war es wieder. In seinem Unterleib rumorte es, und der unwiderstehliche Drang sich sofort zu entleeren hatte ihn ergriffen. Noch nie war der Drang so stark bei ihm gewesen. Da erinnerte er sich an die Medizin, welche der Apotheker ihm verabreicht hatte. Aber darum wollte er sich später kümmern. Zuerst war es am Wichtigsten das Haus zu verlassen, um sich der drückenden Last zu entledigen. Eilig verließ er das Zimmer und ging unsicher die Treppe herunter. Trotz der Dunkelheit, in der er die Gegenstände nur schemenhaft erkennen konnte, fand er bald die Tür. Doch sie ließ sich nicht öffnen. Sie war abgeschlossen, und der Schlüssel abgezogen. Er torkelte genervt zur Rückseite des Hauses. Dort fand er auch eine Tür. Doch auch diese war versperrt. Furcht machte sich in ihm breit. Was nun, fragte er sich? Sein zielloser Gang führte ihn in den Raum, in dem der Apotheker seine Arzneien deponiert hatte. Da sah er die Büchse, aus der Werinhard das Pulver genommen hatte. Dyl hob sie hoch, ging zum Fenster und las im fahlen hereinscheinenden Mondlicht, welches durch das Fenster herein schien: Purgatz.

      Oh, was für ein Schelm, dachte sich Dyl. Auf seinen vielen Reisen hatte er Purgatz als äußerst starkes Abführmittel kennengelernt. Und dieses hatte Werinhard ihm verabreicht, und somit Schabernack mit ihm getrieben. Dyl liebte es selbst Schabernack zu treiben. Aber es war nur allzu menschlich, dass man nicht selber gern das Opfer war. Lieber war er derjenige, der seinen Spaß hatte und trieb. Dyl lächelte verschmitzt, als er sich seiner Hose entledigte und die geöffnete Dose zwischen seine Backen hielt. Es war allerhöchste Zeit, denn es hatten sich schon Bauchschmerzen angezeigt. Als sich Dyl entleerte, tat er dies mit folgenden Worten:

      „Hier kam die Arznei heraus, hier muss sie wieder hinein. So verliert auch der Apotheker nichts, da ich ihm ja ohnehin keine Münzen geben kann.“

      Dyl legte den Deckel wieder auf die prallgefüllte dampfende schwere Büchse und stellte sie wieder an ihren Ort. Dann schritt er entspannt und entleert wieder in sein Zimmer, und konnte sogleich zufrieden wieder einschlafen.

      Als Dyl das nächste Mal erwachte, war es schon heller Tag. Er war dennoch nicht von alleine wach geworden. Fakt war, dass ein zornesroter Werinhard schäumend vor Wut in der Tür stand und ihn erbost anschrie.

      „Du nichtsnutziger Landstreicher. Verschwinde von hier. Ich will dich nicht mehr sehen. Was fällt dir ein, meine Arznei zu ruinieren. Sofort hinaus!“

      Dyl dagegen konnte sich nur schwerlich ein Lachen verkneifen und antwortete dem aufge­regten Mann in vollster Ruhe und mit einer Stimme, mit der er nicht nur Verwunderung über den Wutausbruch signalisieren, sondern sogar noch Lob erheischen wollte.

      „Beruhigt euch, Herr. Ihr solltet mir dankbar sein. Ich verstehe eure Aufregung nicht. Zum einen habt ihr so am besten feststellen können, wie gut eure Arznei wirkt. Wir sollten dies jedem Bürger sofort mitteilen. Wenn sich dies kundtut, wird jeder