Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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von der Stadt abzuhalten. Allein aus dieser Sicht wäre ich bereit, Verhandlungen anzubieten. Wenn ihr wollt, so bin ich bereit die Verhandlungen zum Wohle der Stadt zu führen.

      „Wollen wir abstimmen?“ Dusekop richtete die Frage an alle.

      Einstimmig wurde der Antrag auf Verhandlungen angenommen.

      Johannes de Belendorpe nickte zustimmend. Auch er hatte eingesehen, dass nur noch Verhandlungen halfen. Er sah, dass die Kräfte der Bürger schwanden. Es war seine Pflicht, Leid von der Stadt abzuhalten. Aber hatte er nicht erst durch seinen Stolz und seine Eitelkeit das Leid über die Stadt gebracht?

      Noch bevor am nächsten Morgen die Holsteiner Truppen aufmarschierten, öffnete sich seit zwei Monaten zum ersten Mal wieder im Morgentau das Steintor. Auch die Brücke wurde hernieder gelassen, und ein Ratsherr ging ohne Furcht auf die werborch zu. Radolphus Muzen hatte sich freiwillig gemeldet. Sicherlich war ihm die Gefahr bewusst, in der er schwebte.

      Die Holsteiner Wachmänner empfingen ihn und geleiteten ihn unter Waffen in die werborch. Radolphus sah sich um, denn es gab in dieser provisorischen Unterkunft nicht wenig an Annehmlichkeiten. Er sah Teppiche und goldene Kelche. Vielarmige Kerzenleuchter standen mit brennenden Kerzen herum. Der Graf verstand es meisterlich, auch auf einem Feldzug nicht auf die angenehmen Dinge des Lebens verzichten zu müssen. Da es noch so früher Stunde war, musste er warten, bis Graf Gerhard in seiner glänzenden Rüstung den Raum betrat. Der Graf verzog das Gesicht. Er war gespannt auf das Angebot des frühen Besuchers.

      „Wer seid ihr?“

      „Ich bin Radolphus Muzen, Ratsherr in Molne. Ich wurde vom Rat der Stadt gesandt, um in ihrem Auftrag um die Aufnahme von Verhandlungen zu bitten.“

      Es war gesagt. Radolphus musterte das kahlköpfige Gesicht des Grafen. Konnte er schon anhand der Mimik und der Körpersprache eine Antwort daraus ablesen?

      Graf Gerhard zeigte es nicht, doch freute er sich innerlich über das Angebot. Das war die beste Möglichkeit, ohne Ansehensverlust aus dieser Lage herauszukommen. Seine Verluste waren zu groß. Die Moral seiner Truppen war gesunken. Sie sahen sich um ihre versprochene Beute nach der Plünderung gebracht. Es musste etwas geschehen. Doch durfte er nicht den ersten Schritt zu Verhandlungen tun. Das verbot sich aus Gründen der Ehre von selbst. Das wäre ihm als unverkennbares Zeichen der Schwäche ausgelegt worden. Doch nun hatte die Stadt den ersten Schritt getan. Das war gut so.

      „Sagt euren Bürgermeistern, dass ich sie in zwei Tagen zur Mittagsstunde erwarte. Bis dahin werden die Waffen schweigen. Freies Geleit sei ihnen zugesichert.“

      Mehr sagte der Graf nicht. Aber das genügte Radolphus. Er verbeugte sich ehrerbietig und verließ das hus.

      Im Ratssaal des theatrums wurde Radolphus Muzen ungeduldig erwartet. Allen war die Freude über den Beginn der Verhandlungen anzusehen. Sie waren kriegsmüde. Die anfäng­liche Euphorie gab es nicht mehr.

      Noch am gleichen Abend, im Schutze der Dunkelheit, gelang es Johannes de Belendorpe einen Reiter mit einer geheimen Botschaft über die Brücke des Gultzower Tores aus der Stadt zu schmuggeln. Er hatte dieses Tor gewählt, weil hier keine Männer des Grafen mehr standen. Der zuverlässige Mann trieb sein Pferd eilig nach Norden an.

      Zwei Tage später, zur festgesetzten Stunde, durchschritt Johannes de Belendorpe zusammen mit Johannes de Gradu das Steintor. Die Brücke wurde wieder heruntergelassen, sodass die Bürgermeister bald in die werborch traten. Der Raum, in dem schon Radolphus empfangen worden war, war voll. Herzog Johannes II., Albrecht IV. und seine Mutter, sowie einige treue Ritter des Grafen standen bereit. Der Graf wartete auf seinem Stuhl, der einem provisorischen Thron glich. Als endlich Ruhe eingekehrt war, eröffnete der Graf die Verhandlung.

      „Ich begrüße die Bürgermeister der Stadt. Wollen wir sehen, ob wir uns einigen können. Ich denke …“

      Der Graf wandte seinen Kopf zur Tür, denn er hatte unverhofft Geräusche gehört, die ihn wunderten. Viele Reiter waren gekommen. Er hörte erst den Trab und dann das Schnauben der Pferde. Dann vernahm er das metallische Geräusch, als wenn Schwerter nacheinander aufeinander schlugen. Was war da los?

      Seine Frage wurde bald beantwortet.

      Ein unbewaffneter Mann betrat den Raum. Die Überraschung war sehr groß. Ungläubiges Staunen war in allen Gesichtern abzulesen. Allen war der Mann bekannt. Alle, bis auf einen, waren über das unerwartete Erscheinen des Manns verwundert. Und dieser eine war Johannes de Belendorpe. Seine hinausgeschmuggelte Nachricht hatte Herzog Erich erreicht. Zufrieden war Johannes, dass er bei den Verhandlungen gegen seine mächtigen Gegner nicht alleine stand. Erich hatte ihm Unterstützung zugesagt. Und nun hatte er sein Versprechen gehalten, und war erschienen.

      Herzog Erich stand in seiner glänzenden Rüstung da. Seine kräftige Gestalt wirkte dadurch noch imposanter. Über seinem Bart lugten zwei Augen vergnügt hervor. Er war sich der Wirkung seines unerwarteten Erscheinens bewusst. Das war ganz nach seinem Geschmack. Auch er ließ ungern eine Gelegenheit aus, seinem Bruder und dessen Familie eins auszuwischen und sie zu verärgern.

      Nachdem die erste Verblüffung über das unerwartete Erscheinen seines Schwippschwagers gewichen war, fand Gerhard wieder zu seiner normalen Gesichtsfarbe zurück. Sofort wurde Gerhard klar, dass diese Verhandlungen sich nicht mehr allein um das Schicksal der Stadt Molne drehen würden, sondern das diese Zusammenkunft von seinem Schwager Erich dazu genutzt werden würde, die Erbstreitigkeiten unter den Verwandten zur Einigung zu nutzen.

      Vorsicht war also angebracht.

      Darüber waren Elisabeth, Johann und auch Albrecht nicht erfreut, doch sahen sie, dass Molne in Erich einen starken Verbündeten hatte, der sie nun unterstützte.

      Unter diesen besonderen Vorzeichen begangen die Verhandlungen. Sie dauerten lange, und wurden nur zur Nachtruhe unterbrochen. Die Bürgermeister und Herzog Erich, samt seinem Gefolge, betraten die Stadt. Der Herzog wurde in der woninghe untergebracht, die seinem Bruder und dessen Familie verwehrt worden war. Danach wurden die Verhandlungen am gesamten nächsten Tag fortgesetzt. Spannung allenthalben lag über der Stadt und der davor liegenden werborch und dem dazugehörenden Lager.

      Endlich war es soweit, und die Verhandlungen waren am Abend des 20. August 1321 zu einem friedlichen Abschluss gekommen. Keiner konnte direkt als Verlierer bezeichnet werden. Jedem wurde das zugesagt, worum es ihm in erster Linie gegangen war.

      In der Urkunde, bei deren Unterzeichnung alle Versammelten als Zeugen gegenwärtig waren, standen folgende Ergebnisse fest:

      Der Stadt Molne wurden ihre Recht und Freiheiten des lübschen Rechtes erneut bestätigt. Vor allem aber binnen der stat, vnde buten der stat, eris lubischen rechtis to brukende vrigliken. Die Herzöge und der Graf hatten eingesehen, dass eine blühende Handelsstadt Molne für ihre Interessen wertvoller war, als eine Stadt am herzoglichen Gängelband.

      Als Gegenleistung verpflichteten sich die Bürger der Stadt dazu, den Herzögen freien Zutritt zu gewähren, und den Herzog, Elisabeth und ihren Sohn samt ihres Gefolges auf deren Verlangen sofort in die Stadt zu lassen. In der Urkunde stand es dat de Borgere us un unsen rechten Erven scholen de Stadt un Slot ewiglieken thor Hand holden uppe all de lewit un schall use open Slot wesen tho allen Tyden.

      Zwischen der herzoglichen Familie kam es noch zu einer Neuverteilung des Herzogtums Sachsen-Lauenburg. Dem Herzog Johann II. wurden die Kirchspiele Bergedorf, Curslack, Altengamme und Geesthacht zugewiesen. So entstand die Bergedorf-Möllner Linie.

      Auch Erich konnte zufrieden sein. Er behielt den Löwenanteil des Herzogtums, und führte von nun an die Ratzeburg-Lauenburger Linie an.

      Nach der Unterzeichnung vor so vielen Zeugen wurde die werborch von Graf Gerhard III. in Richtung Holstein-Reinoldsburg verlassen. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass er noch einmal beim Geschick der Molner Stadt ein Wort mitzureden haben würde. Herzog Erich reiste auch wieder ab, und Elisabeth konnte endlich mit ihrem Sohn in ihr Slot in der Hauptstraße einziehen. Dieses Schloss innerhalb der Stadtmauer war keineswegs eine festungsähnliche Burg. Mit diesem Slot,