Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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stattdessen oben bei dem Torposten ein Mann, der offensichtlich anhand seiner Bekleidung als worthaltender Bürgermeister Johannes de Belendorpe zu erkennen war.

      Der Bürgermeister antwortete mit der gleichen lauten Stimme.

      „Der Einlass sei der herzoglichen Familie verwehrt. Wir weigern uns von nun an, der Herzogin Elisabeth unsere Tore zu öffnen und ihr weiterhin Gefolgschaft zu leisten. So soll sie auf ihre sichere Burg zurückkehren. Hier wird sie keine Aufnahme finden. Die Brücke bleibt für sie von nun an versperrt.“

      In des Ritter Antlitz zeichnete sich aufsteigende Wut ab.

      „Was erdreistet ihr euch? Macht sofort für die Herzogin das Tor auf. Ansonsten werdet ihr die Folgen zu tragen haben, die gewiss nicht gering sein werden. Seid euch dessen bewusst!“

      „Seid sicher, dass wir den eventuellen Folgen mit wenig Aufregung und Gleichmut entgegen­sehen. Es sind doch nur leere Phrasen aus eurem Munde. Was soll uns schon geschehen?“

      Mit seiner trompetenartigen Stimme schmetterte Johannes de Belendorpe die Worte von der Mauer der Turms herab. Verachtung klang in den Worten mit. Sie waren so laut, dass selbst Elisabeth und ihr Sohn fast jedes Wort aus der Entfernung verstehen konnten. Ihre Gesichter verfinsterten sich zusehends, bevor sie reine Wut signalisierten.

      „Wenn ihr nun augenblicklich das Tor öffnet, so werden wir den kleinen Zwischenfall vergessen. Ansonsten habt ihr Strafe zu erwarten.“ Ritter Thomas versuchte es noch einmal auf die verständnisvolle Art.

      „Geht endlich, Ritter. Ihr verschwendet hier nur unsere Zeit.“

      „Bürgermeister, ihr vergesst, dass die woninghe Eigentum des Herzogs und seiner Familie ist. Ihr habt Ihnen Zugang zu gewähren. So steht es geschrieben. Haltet euch gefälligst daran.“

      „Und ihr Ritter, übersieht, dass ein Nein bei mir auch Nein bedeutet.“

      Ritter Thomas wendete daraufhin seinen Fuchs und ritt zur Herzogin zurück.

      „Wie ich euch ansehe, Herrin, habt ihr jedes Wort des Bürgermeisters von Molne verstanden.“

      „Wohl wahr. Jedes. Was erdreistet sich dieser kleine Wurm? Woher nimmt er die Frechheit, mich nicht in mein Slot zu lassen?“

      „Eins ist offensichtlich, Herzogin. Dieses Benehmen ist keinesfalls hinzunehmen. Was werdet ihr jetzt tun, Herrin?“ Des Ritters Stimme klang gedämpfter, und absichtlich ruhig. Aber Thomas war auch Realist und erkannte die Zeichen. Er wusste selber, dass dies gerade der Auftakt zu einer unruhigen Zeit war.

      „Was ich vorhabe?“ Die Augen der Herzogin verengten sich zu einem Spalt, wie es ansonsten nur den Echsen eigen ist. Gefährlich war ihr Blick. Denn sie dachte nicht daran ,sich von einer aufstrebenden Stadt wie gewöhnliches Gesindel behandeln zu lassen. War sie etwa eine Aussätzige, Leprakranke, oder eine von sonstigen Gebrechen gezeichnete? Nein, sie war Herzogin Elisabeth. Plötzlich war der Ärger, der sie angetrieben hatte verschwunden, und die angeborene Machtgier der Familie, aus der sie abstammte, erwacht – eine Machtgier, welche keine Resignation zuließ. Sie war schließlich die Tochter des Grafen Heinrich von Holstein-Reinoldsburg. Dieser Familie war der willensstarke Hang zum Erreichbaren im Blut verankert. Niemand würde sie aufhalten. Auch nicht diese Stadt. Was erlaubten sie sich?

      Ihr Mann Johann II. würde ihren Plan sicherlich gutheißen. Denn Johann war mit allem einverstanden, was sie wollte und tat.

      Sie wusste auch schon, wie sie diesen aufmüpfigen Bürgermeister für seine arrogante und selbstherrliche Art bestrafen konnte. Der Bürgermeister und seine ebenso überheblichen Ratsherren kannten wohl ihren Bruder, de groote Gert, noch nicht. Das sollte sich ändern. Es wäre besser für Molne gewesen, sie hätten ihr friedlich Einlass gewährt.

      Herzog Johann war im Jahre 1285 überraschend gestorben. Das Land wurde daraufhin zehn Jahre später geteilt. Seine drei unmündigen Söhne Johann II,. Albrecht III. und Erich erhielten nach ihrer Volljährigkeit den Sachsen-Lauenburger Teil, der Oheim Albrecht II. den Sachsen-Wittenberger-Teil. Gemeinschaftlich sollte das Herzogtum von den drei Brüdern zu gleichen Teilen beherrscht werden. Doch den drei Brüdern war es nicht vergönnt, ihr Land in Eintracht zu verwalten. Streit, Neid und Zwist beherrschten bald das Geschäft. Ihre nahezu letzte gemeinsame Tat war die erneute Bestätigung des lübschen Rechts 1302 für die Stadt Molne. Nachdem 1302 die ersten Rivalitäten aufgekommen waren, eskalierten sie drei Jahre später regelrecht.

      Diese Streitigkeiten bedurften sogar einer Schlichtung durch ein Schiedsgericht. Dazu wurden die Molner Ratsherren Nanno Dannemann, Dusekop, Johannes Wallenpunkt, Koep und Walterus Smylowe als Vertreter des Herzogs Johann beordert. Dazu kamen noch die Ritter Detlevus de Partentove, Johannes de Crummesse und Conradus Wackerbart. Sie trafen sich mit den Delegierten der Brüder Albrecht III. und Erichs. Die Aufgabe der Schiedsherren war es, gegen jeden Partei zu ergreifen, der den Schiedsspruch nicht anerkannte. In diesem Schiedsspruch und der Urkunde vom 25. April 1305 wurde unter anderem bestimmt, dass die Stadt Molne den Herzögen gegenüber freien Zutritt zu gewähren hatte.

      Außerdem kam es zur weiteren Teilung des Landes. Die beiden jüngeren Brüder Albrecht III. und Erich zeigten offen ihre Feindschaft gegen den älteren Johann II. Es ging wieder um Gebietsansprüche, wobei Johann II. unterlag. Er musste sich mit Mölln, der Vogtei Mölln11 und dem entfernt liegenden Land Hadeln12 begnügen. Die jüngeren Brüder behielten das deutlich größere Gebiet. Aber auch das war ihnen nicht genug. Sie streckten bald auch ihre Fühler nach Hadeln aus. Drei Jahre später starb überraschend Herzog Albrecht III., sodass sein Bruder Erich von nun an alleiniger Herr über dass weitaus größere Gebiet war.

      Gerhard III., de groote Gert, stand am Fenster seiner Burg und schaute auf die Eider. Davor lag die Stadt Reinoldsburg, die er zu seinem und der Grafschaft Holstein-Reinoldsburg Hauptsitz gemacht hatte. Er war ein Abkömmling des Schauenburger Grafengeschlechts. Ungern gedachte seines Vorfahren Graf Adolf III., der sein Land damals an die dänischen Könige verloren hatte. Aber das war jetzt über hundert Jahre her, und inzwischen war seine Macht gefestigt. So sehr gefestigt, dass sich diesmal die Dänen vor ihm fürchteten. Es gab immer wieder Scharmützel mit ihnen. Bei den Dänen wurde er daher gefürchtet und de kullede Greve - der kahlköpfige Graf genannt. Gerade jetzt ärgerte er sich, dass die Dänen sich mit einem Lauenburger Herzog verbündet hatten. Dies konnte er nicht gutheißen.

      Ja, Gerhard III. ärgerte sich leicht. Sein Charakter war leicht zu beschreiben. Er war impulsiv, leicht reizbar und streitsüchtig. Keinem Handgemenge oder gar einer Fehde ging er aus dem Weg. Bevor unnötige Zeit mit diplomatischem Geplapper verschwendet wurde, griff er lieber gleich zum Schwert. Das ging schneller, direkter, ehrlicher und war wirkungsvoller. Am Ende bekam er doch was er wollte.

      Die Burg, die jetzt sein eigen war, hatte vor zweihundertfünfzig Jahren Ritter Reinhold erbaut, der ihr auch seinen Namen gab. Sie war quadratisch und lag direkt an der Eider. Zur Landseite hin befand sich ein hoher schmaler Turm, auf dem er gerade stand.

      Sein Blick schweifte über die weiten ebenen Felder bis zum Horizont. Die Sicht war klar an diesem warmen Tag. Es hatte einen Grund, warum er Ausschau hielt. Seine geliebte Schwester Elisabeth hatte sich durch einen Eilboten angekündigt. Lange hatte er sie nicht mehr gesehen. Sie hatte nur ihre Ankunft angekündigt. Worum es ging, wusste er noch nicht. Doch er kannte Elisabeth zur Genüge. Wenn sie etwas haben wollte, so konnte sie äußerst nett sein. Aber im richtigem Moment verstand sie es auch, zuzupacken. Elisabeth war die gleiche Ungeduld und der gleiche Ehrgeiz zu eigen wie ihm. Sie waren wahrlich Geschwister.

      In der Ferne sah er aus Südosten sich eine Staubwolke nähern. Das konnte nur Elisabeth mit ihrem herzoglichen Gefolge sein. Er ging die engen steinernen Stufen des Turmes hinab.

      Im Hof herrschte Betriebsamkeit. In großer Eile wurde alles für die Ankunft der Schwester des Grafen vorbereitet. Erst gedachte der Graf im Hof zu warten, doch änderte er seinen Plan und wartete im Thronsaal auf seine Schwester.

      Als Elisabeth eintrat, erkannte er sofort in ihrem Gesicht eine schiere Wut. Er war sicher, bald den Grund dafür in Erfahrung zu bringen. An