Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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      Eckhard verfolgte, wie sie ein paar Worte mit ihrer ebenfalls hübschen Freundin sprach, die neben ihr stand. Er sah, wie beide kicherten, wie es nur Mädchen können. Beide trugen sie ihre weißen Hauben. Seine Angebetete sah daraufhin kurz zu ihm hinüber und lächelte wieder. Aber dieses Lächeln endete abrupt, weil sie sich umdrehte und in der hinter ihr stehenden Menge verschwand, während ihre Freundin stehen blieb und den turnenden Männern zuschaute, die nun ihre Radschläge, Überschläge und turnerischen Übungen darbrachten. Zwei Fräuleins übten sich im Spagat. Mit weniger Freude an diesen Kunsttücken sah er der Gauklertruppe zu. Warum war sie fortgegangen?

      Sofort war seine nie gänzlich erloschene Sehnsucht wieder völlig entbrannt. Es verlangte ihn nach ihr, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Natürlich hatte er schon viele Mädchen gesehen, die auch hübsch waren. Sicherlich war ihm auch bewusst, dass sein Vater es gerne gesehen hätte, wenn er Gudrun aus Drusen geehelicht hätte, aber obwohl sie nicht hässlich war, empfand er eben nichts für Gudrun. Das war für ihn entscheidend. Dann wollte er doch lieber warten, bis die richtige Frau kam, die sein Herz berührte. Und das schien diese unbekannte Schöne zu sein. Aber sein Traum war wieder zerplatzt, weil sie einfach verschwunden war. Er musste seufzen und sah zu, wie die Artisten ihre Kunsttücke vorführten.

      „Bist du auch so gelenkig?“

      Galten diese Worte ihm? Es war der süße Klang einer jungen Frau. Aber es konnte unmöglich ihm gelten, sondern eher einem der vielen, die hinter ihm standen.

      „Bist du etwa mit Taubheit geschlagen?“

      Mit einem Mal beschlich ihn das Gefühl, dass die Worte doch an ihn gerichtet waren. Unsicher drehte er sich um und sah geradewegs in das niedlichste Gesicht, welches sich ihm jemals offenbart hatte. Sie war es und lächelte in dieser verfänglichen Art, der er schon in der Kirche erlegen war. Aber auch eine Spur Frechheit und Verschlagenheit war nicht zu übersehen. Es war der Blick, der Frauen und Männern zu eigen ist, die es gewohnt sind ihren Willen durchzusetzen und zu bekommen, was sie begehren. Es war unüblich, dass eine Frau einen Mann ansprach. Es ziemte sich nicht, und das war genau das, was Eckhard sprachlos machte. Er fand nicht die richtigen Worte, so überrumpelt fühlte er sich.

      „Du scheinst außerdem mit Stummheit gestraft zu sein. Wahrlich eine arme Seele bist du. Welche körperlichen Gebrechen quälen dich denn noch?“

      Da wurde Eckhard bewusst, dass sie mit ihm spielte. Sie neckte ihn, weil sie bemerkt hatte, welche Wirkung sie auf ihn hinterlassen hatte. Aber er fand sich nicht gerne mit der Rolle des Opfers ab. Da er auch nicht auf den Mund gefallen war, gelang es ihm bald seine Fassung wieder zu erlangen und verstand es nun geschickt, mit ihrem Spiel mitzuhalten.

      „Nein, ich bin nicht mit der Blindheit und Stummheit geschlagen, dafür habe ich aber ein anderes Gebrechen. Es ist das Gebrechen, von einer holden Jungfer bezaubert zu sein. Dadurch sind meine Glieder wie gelähmt, und ich kann mich nicht mehr bewegen. Ich kann nur noch starren und mich an der Schönheit ergötzen. Bin ich nun weiterhin deines Mitleides sicher? Dann wäre mir unendlich wohler. Und solltest du dich sogar auf die Heilkünste verstehen und mich von meinem Leiden heilen, so wäre mein ewiger Dank dir gewiss.“

      „Kaum ein Ritter versteht es, gefälligere Schmeicheleien so gekonnt von sich zu geben. Ich bin arg beeindruckt.“

      Sie sah sich kurz um, um gleich darauf Eckhardt eine Aufforderung leise zuzuraunen.

      „Lass uns von hier verschwinden.“ Sie lösten sich aus dem Pulk, dessen Lücken sofort hinter ihnen geschlossen wurden. Die Bürger sahen lieber den Artisten zu, als den balzenden Tönen junger Leute zu lauschen. Als sie abseits standen, hielt der Bauer das Fräulein auf.

      „Was hast du vor? Wo willst du hin?“

      „Wo wir ungestört sind. Folge mir.“

      Sie gingen die kurze schmale Schrangenstrate hinab. Als sie an dem rechts gelegenen Haus des carnifex, des Knochenhauers vorbei kamen, drang ihnen der intensive Geruch von frischem und altem Blut entgegen. Sie liefen den Hügel weiter hinab, und dann die Pinnowerstrate entlang. Das Pinnower Tor war zwar noch nicht gänzlich vollendet, dennoch harrten am Tor zwei Wachmänner und kontrollierten diejenigen, welche in die Stadt wollten. Da dies Tor noch neu war, und nicht an der Hauptstrecke gelegen, waren es nicht viele Leute, die an dem Tor Einlass begehrten. Für die Wachmänner war es stets ein ruhiger Dienst. Als die beiden durch das Tor schritten, ließen sie zwei schmunzelnde Wachmänner zurück.

      Ihr Weg führte sie weiter an dem Bach entlang, bis sie linker Hand den Hegesee vor sich liegen sahen. Dort fanden sie einen entwurzelten Baum, auf den sie sich setzten. Sie schwiegen beide und sahen auf den See hinaus. Die Vögel zwitscherten in den Wipfeln der Bäume um sie herum. Nach einer Weile drehte Eckhard den Kopf zu ihr und sah sie an. Er war unfähig, den Blick von ihr zu wenden. Dann begann sie zu reden.

      „Hier komme ich öfters alleine hin. An dieser schönen romantischen Stelle finde ich Ruhe. Warst du schon einmal hier?“

      „Nein, das ist neu für mich. Ich bin bisher noch nicht aus Lutowe hinausgekommen. In Mulne wohne ich noch nicht so lange.“

      „Ich weiß.“ Ein verschmitztes Lächeln durchzog ihr Gesicht. Ein wenig peinlich berührt gestand sie: „Ich habe nämlich Erkundigungen über dich eingeholt. Natürlich bin ich dabei dezent vorgegangen.“

      „Ach ja? Und was war das Ergebnis dieser Erkundigungen? Warst du zufrieden?“

      „Das Ergebnis siehst du daran, dass wir hier sind.“

      Ein größeres Lob hätte sie ihm nicht geben können. Da wurde ihm bewusst, dass er noch nicht einmal ihren Namen kannte.

      „Wie heißt du eigentlich?“

      „Ich bin Agnes, Tochter des Kämmerers.“

      Blitzartig baute sich vor Eckhard eine zwar unsichtbare doch schier unüberwindbar scheinende Wand auf. Die Wand, welche Standesunterschied hieß. Er war zwar noch nicht lange in der großen Stadt, wusste dennoch, dass Agnes eigentlich unerreichbar für einen Bauernsohn wie ihn war. Ein schwerer Kloß machte sich in seinem Hals breit.

      Die Bewohner der Stadt waren eigentlich in zwei Klassen aufgeteilt. Das hatte sich in den Jahren herausgebildet. Es war zum einen die der Patrizier, welche aus den Kaufleuten, den Handwerkern und den sonst gewerbetreibenden Bürgern hervorging. Zu der anderen gehörten die Arbeitsleute, Bauern sowie die Mägde und Knechte.

      Eckhard fasste sich mutig ein Herz und trug ihr die Frage vor, die ihn bedrückte.

      „Bist du jemandem versprochen?“

      Wie erleichtert war er, als sie ihm ein Lächeln schenkte.

      „Nein. Mein Vater Bruno hätte es wahrlich gern gesehen. Durch sein Amt kennt er all die Kaufleute, Ratsherren, Gutsbesitzer und Adeligen der Grafschaft. Sogar Ritter sind darunter. Viele buhlen um seine Gunst. Sogar bis nach Lubecke gehen seine Verbindungen. Er hat mir schon öfters zu wissen gegeben, dass einige wohlhabende Herren um meine Hand anhalten würden. Es würde mir wahrlich zum Vorteil gereichen, und um mein Auskommen müsste mir nie bange sein. Aber er weiß auch, dass er mir das nicht vorschreiben kann. Niemals würde ich mich zu einer Hochzeit zwingen lassen. Ich will selbst entscheiden, wem ich mein Herz schenke. Nenne mich ruhig aufrührerisch, doch so bin ich nun einmal.“

      Sie redeten so lange, bis die Baumwipfel im Westen von der untergehenden Sonne berührt wurden, und ein langer Schatten sich über den See ausbreitete. Dann gingen sie wieder durch das Pinnower Tor zurück in die Stadt, bevor bei Sonnenuntergang das Tor für die Nacht geschlossen werden würde.

      Sobald sich für Agnes und Eckhard die Möglichkeit ergab, trafen sie sich am Hegesee. Der Platz wurde für sie ein Hort der Ruhe, der Zweisamkeit und des Glückes.

      An einem milden Abend saß Eckhard nach der Feldarbeit alleine am Tisch im Hause seines Onkels. Winfrieds Familie wohnte immer noch in dem engen Raum, weil er noch kein bezahlbares Haus gefunden hatte. Und so, wie es augenblicklich in Winfrieds Beutel aussah, würde die Familie entgegen der ursprünglichen Absicht noch lange in dieser Enge wohnen müssen.