Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


Скачать книгу

Abgetrennt war noch ein Raum, in dem Winfried sein Arbeitsgerät aufbewahrte. Dies war sein gesamtes Eigentum. Gesichert hatte er dies mit einem kreisrunden und mannshohen Palisadenzaun, welcher noch von einem eigenhändig ausgebuddelten Graben umgeben war. Eine zwei Meter lange kleine Holzbrücke führte in das Innere seines Hofes, nachdem zwei schwenkbare Holztüren aufgetan worden waren. Wie sein Hof, so waren alle anderen zehn Höfe des Dorfes Lutowe vor räuberischen Überfällen geschützt.

      Sein Blick fiel auf die Holzstämme des Hausgerippes. Sie begannen direkt über der Erdoberfläche zu faulen, weil Nässe und Frost dort leichtes Spiel hatten. Irgendwann, so sagt er sich, müsste er sie einzeln auswechseln, bevor das ganze Haus zusammenbrach. Winfrieds Vater hatte es erbaut, als er in jungen Jahren zusammen mit anderen Männern das Dorf gründete. Winfried hatte sein Leben in diesem Dorf verbracht. In der nahen, großen Stadt Mulne war er bisher nur sporadisch gewesen. Nicht so sein Bruder Gregor, der seit Jahren in Mulne wohnte, und dort als Zimmermann arbeitete. Aber Gregor war schon immer anders.

      Eckhard, sein ältester Sohn, kam aus dem Haus, und molk die Kühe. Eigentlich tat dies Jolanthe täglich, doch zur Zeit hatte Eckhard ihr die Arbeit abgenommen. Winfried holte seinen Ochsen aus dem Stall sowie seinen Pflug aus Eichenholz, welcher mit einer hölzernen Deichsel und einem eisernen Dorn ausgerüstet war. An diesem Tag hatte er sich vorgenommen, seine Hufe zu pflügen. Um dorthin zu gelangen, musste er eine kleine Anhöhe oberhalb des nordöstlichen Drusensees erklimmen. An seinem abgesteckten Acker angekommen, schirrte er den Ochsen ein. Während der Arbeit besah er sich das nebenan liegende Feld, welches auch seines war. Zufrieden sah er die fingerlangen grünen Keime der Wintersaat, welche schon aufgegangen war.

      Seine fünfjährige Tochter Sieglinde brachte ihm am Vormittag einen Korb mit Brot und Wasser. Sie war stolz darauf ihren Vater versorgen zu können. Er gönnte sich und auch dem Ochsen eine Pause und genoss mit Sieglinde zusammen die Speise.

      Die Arbeit des Pflügens war am Nachmittag geschafft. Er besah sich die Furchen, und sein Blick wanderte gen Himmel. Keine Wolke war zu sehen. So war noch mit der Aussaat zu warten, bis sich endlich Regen ankündigte. Das war nicht so schlimm, weil er am nächsten Morgen etwas anderes vorhatte. Etwas, das mit seinem Sohn Eckhard zu tun hatte. Dies beschäftige ihn schon lange Zeit, und morgen wollte er sich endlich einmal darum kümmern.

      Nachdem er den Ochsen wieder auf seinen Hof geführt hatte, betrat er sein Haus. Der Rauch des Feuers sammelte sich wie gewohnt unter dem Dach. Der Abzug war zu klein, aber Winfried und seine Familie hatten sich daran gewöhnt. Er trat hinter Jolanthe und umfasste ihren Bauch. Beinahe gelang es ihm nicht mehr, dass seine Fingerkuppen sich berühren konnten, so dick war der Bauch inzwischen geworden.

      „Wie geht es dir?“

      Jolanthe drehte sich um und gab ihm einen Kuss. Eine nasse Haarsträhne hing ihr über das rechte Auge unter dem Kopftuch hervor. Behutsam wischte Winfried sie weg.

      „Wie soll es mir schon gehen? Ich bin froh, wenn der Junge endlich da ist.“

      Jolanthe lächelte. Sie war sich absolut sicher, dass es ein Junge werden würde, denn sie hatte als Probe jeweils einen kleinen Haufen Gersten- und Weizensaat mit ihrem Urin benässt. Nur die Weizensaat war aufgegangen. Dies war ein untrügliches Zeichen auf einen Sohn.

      Hungrig setzte er sich mit seiner Familie auf Schemeln um den Tisch.

      In der Mitte der Platte stand ein Kochkessel, der mit breiigem Brot gefüllt war. Jeder hatte vor sich einen Holznapf stehen. Wie üblich sprach der Herr der Familie ein Gebet und dankte Gott für die Speise. Nachdem er geendet hatte, löffelte jeder für sich seinen Brei. Er bestand aus Mehl, welches aus der nahen Lutower Mühle stammte. Das Mehl war von Jolanthe mit der Milch der eigenen Kühe aufgekocht und mit Honig gesüßt worden. Dies war die übliche Mahlzeit. Abwechslung gab es höchstens von den Eiern der eigenen Hühner, oder wenn eines der Hühner geschlachtet wurde. Falls eine der Säue geschlachtet wurde, gab es tagelang Schweinefleisch. Aber auch Schinken wurden geräuchert. Unter dem Dach gab es schließlich genügend Rauch, sodass der Schinken dort aufgehängt wurde. Ansonsten war Fleisch als Mahlzeit rar. Zwischendurch tranken sie aus hölzernen Bechern Molke dazu.

      Nach dem Essen wandte sich Winfried an seinen ältesten Sohn Eckhard.

      „Hilfst du mir noch, die Holzstämme aus dem Wald zu holen? Wir müssen Holz für die nächsten Winter machen.“

      „Ich helfe dir. Aber lass uns dann bald beginnen, damit wir vor der Dunkelheit wieder zurück sind.“

      „Wir können gleich los.“ Einen Moment verharrte Winfried, während er Eckhard durch­dringend ansah. Vielleicht ahnte der Jüngling etwas von des Vaters Vorhaben.

      „Übrigens,bin ich morgen früh nicht da. Gegen Mittag werde ich wohl wieder da sein.“

      „Willst du nach Mulne?“

      Winfried überlegte schnell, ob dies der geeignete Moment wäre, Eckhard endlich die Wahrheit über seinen Plan mitzuteilen. Aber dann entschied er sich dafür damit zu warten, bis es soweit war, und seine Verhandlungen Früchte getragen hatten.

      „Nein, ich will einen Freund in Drusen besuchen.“

      Schweigsam trank Eckhard seine Molke aus und folgte dem Vater in den nahen Wald.

      Winfried hatte für die Schönheit des Sees keinen Blick übrig. Auf der Westseite des Drusensees ging er dicht am Ufer nach Süden. Das Wasser des Sees plätscherte sanft von der Sonne beschienen an die Uferböschung. All diese Schönheiten der Natur sah Winfried nicht. Er hatte nur Gedanken für den Grund seines Weges. Der Grund seines Besuches in Drusen galt Eckhard. Der zwanzigjährige war jetzt wahrlich schon in dem Alter, verheiratet zu werden. Es galt für männlichen Nachwuchs zu sorgen, damit der bäuerliche Fortbestand seiner Familie gewährleistet werden konnte. Doch entgegen der Hoffnungen des Vaters hatte er bisher noch keinerlei Anstalten gemacht, eine Frau zu freien. Daher fühlte sich Winfried dazu verpflichtet, das Nötige zu unternehmen. Es ließ ihm keine Ruhe. Als passende Frau für seinen Sohn erschien ihm daher Gudrun, die fünfzehnjährige Tochter des Stefan aus dem Dorf Drusen, geeignet. Er kannte den Vater gut und war zuversichtlich, in Drusen den Handel zwischen ihren Kindern perfekt machen zu können.

      Als er das Ende des Sees erreichte, sah er rechts den steil ansteigenden bewaldeten Hang hinauf. Dort oberhalb der Bäume befand sich auf einer leichten Anhöhe das Dorf Drusen. Es waren aber nur wenige Bauernhöfe vorhanden. Die Bauern hier waren wie er selber allesamt arm und froh, wenn sie des Abends Brot essen konnten. Lediglich ein paar Schweine, Kühe und Ochsen nannten die Bauern ihr Eigen, um ihre Felder bestellen zu können. Sonst waren sie nicht begütert. Die Schweine suhlten sich im Morast.

      Winfried sah gleich, dass etwas nicht stimmte. Er sah die Bewohner des Dorfes zwischen ihren Häusern zusammenstehen. Gudrun stand abseits und heulte, die Hände vors Gesicht gehalten. Ihr Weinen war weithin vernehmbar. Ihre Mutter war bemüht sie zu trösten. Die Männer des Dorfes waren aufgebracht. Wild gestikulierten sie. Zornige Worte drangen dem nahenden Besucher entgegen. Verwundert trat er zu der Ansammlung.

      „Gott zum Gruße. Was ist passiert?“

      Stefan kam gleich zu Winfried, nachdem er ihn erkannt hatte. Zorn, Wut und Trauer waren gleichermaßen in seinem bärtigem Gesicht abzulesen. Er musste schlucken, bevor er seinem Freund aus Lutowe antworten konnte.

      „Raubritter haben uns überfallen.“

      Diese Nachricht erschreckte Winfried zutiefst.

      „Sag das noch mal.“

      „Du hast mich schon richtig verstanden. Es ist noch gar nicht so lange her, da sind sie abgehauen. Dort den Weg hoch, der an der Ostseite des Sees nach Norden geht.“

      „Haben sie Euch was getan? Haben sie euch beraubt?“

      Trotz des schrecklichen Ereignisses lachte Stefan kurz auf. Aber in seinem Gelächter schwang Wut, Trauer und eine große Portion Galgenhumor mit.

      „Was glaubst du denn? Es sind wahrlich keine Mönche. Sie haben uns alles genommen, was ihnen Wert erschien. Geld hatten wir aber nicht viel. Mehrere geräucherte