Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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gegeben. Würde er diesen Schritt wählen, wäre alles weiterhin wie bisher. Er könnte der Arbeit nachgehen, die er kannte und die er beherrschte. Was wäre, wenn er genauso versagen würde wie Ulrich? War es gewährleistet, dass es niemals mehr einen Raub der Stadtkasse geben würde?

      Nein. Das war strikt unmöglich.

      Aber er konnte dafür sorgen, dass es den Räubern nicht noch einmal so leicht gemacht werden würde. Er könnte die Vorkehrungen des Schutzes verstärken. Diese Fragen, gepaart mit einer gewissen Unsicherheit bei Dingen die neu für jemanden sind, stiegen in ihm auf. Einen Moment überlegte er. Schweigen herrschte im Saal des theatrum. Dann überstieg aber der Stolz die anfängliche Überraschung und die Unsicherheit. Er würde sein Bestes geben.

      „Ja, ich nehme das Amt des Kämmerers an.“

      „Der Rat der Stadt gratuliert dir zu deinem neuen Amt. Möge eine glückliche Hand dein Amt begleiten, und möge Gott mit dir sein.“ Es war Ludolp die Erleichterung anzumerken.

      „Es gibt aber noch zwei Sachen zu besprechen.“ Walter wähnte sich mutig in der Position, Forderungen zu stellen.

      „Welche denn, Walter? Sprich es nur aus.“

      „Zum ersten verlange ich, dass die Stadtkasse mehr geschützt wird. Ich verlange, dass nach meinen Vorschlägen die Sicherheit des Geldes erhöht, und somit ein Raub nahezu undenkbar gemacht wird. Ich will es den Räubern nicht mehr gar so einfach machen.“

      Ludolp sah sich um und gewahrte ein einheitliches Nicken.

      „Du kannst nach deinem Gutdünken verfahren. Was du benötigst, wirst du erhalten. Ziere dich nicht nach Nötigem zu verlangen. Und was wäre dein zweites Anliegen?

      „Ich gebe zu bedenken, dass die Stelle des Schreibers somit vakant ist. Ich kann sie nicht mehr ausüben. Haben die verehrten Ratsherren schon darüber gesprochen?“

      Ludolp lächelte ihn an. „Es zeigt sich, dass du ein umsichtiger Mann bist und wir wohl mit dir als Kämmerer die richtige Wahl getroffen haben. Aber sei getrost. Auch daran haben wir gedacht. Da dein ältester Sohn Bruno schon bei dir als Schreiber in die Lehre geht, so haben wir beschlossen, ihn zum Schreiber der Stadt zu benennen. Bist du einverstanden?“

      Walter Augen leuchteten auf. Für ihn zählte dieser Tag der Petri Stuhlfeier am 22. Februar A.D. 1255 mit zu den schönsten Tagen seines Lebens.

      Walter betrat zu später Stunde sein Haus. Besorgt stürmte seine Frau Sieglinde zu ihrem Mann. Aber auch die drei Kinder hatten sich gesorgt.

      „Was wollten sie von dir? Ich habe mir Sorgen gemacht.“

      Walter lächelte angesichts der Fürsorge seiner Frau. So war sie eben. Stets ängstlich und besorgt. Aber andererseits eine herzensgute Frau und Mutter.

      „Mach dir keine Sorgen. Ich werde nicht mehr als Schreiber arbeiten.“

      Sofort verfinsterte sich Sieglindes Gesicht.

      „Bist du entlassen? Wir werden hungern.“ Furcht stand ihr ins Gesicht geschrieben.

      „Nein, werden wir nicht. Ich werde sogar mehr verdienen als vorher. Denn ich bin der neue Kämmerer der Stadt.“

      Den letzten Satz brüllte Walter hervor und riss jubelnd die Arme hoch. Ungläubige Freude zeichnete sich auf den Gesichtern der Frau und der Kinder ab, wo kurz vorher noch Furcht und Ungewissheit geherrscht hatten.

      „Aber das ist noch nicht alles an guten Nachrichten“, fuhr Walter im gemäßigtem Ton fort, „denn für meinen erstgeborenen Sohn habe ich eine noch viel bessere Nachricht. Er wird mein Nachfolger als Schreiber.“

      Ungläubigkeit verwandelte sich in reine Freude. Bruno fing am nächsten Tag gleich als Schreiber an. Er setzte die inzwischen schon als Familientradition geltende Zunft der Schreiber fort.

      Walter ging in seiner Arbeit als Kämmerer auf. Er setzte seine Vorschläge zur Sicherung der Stadtkasse durch. Vom Rat erhielt er angesichts der Erlebnisse jegliche Unterstützung. In seiner Amtszeit sollte es zu keinem Raub der Gelder mehr kommen.

      Der ehemalige Kämmerer Ulrich jedoch verließ die Stadt nach Norden, auf einer Fracht­kutsche. Er ward nie wieder in der Stadt gesehen.

      Der Landesherr Herzog Albrecht verstarb sieben Jahre darauf. Angetrieben von der Unge­wissheit über die Zukunft der Stadt, ließ der Bürgermeister Ludolp bei der Witwe des Herzogs Helene nachfragen, ob die damals von Herzog Albrecht bestätigten Stadtrechte, die als Weichbildrecht bekannt waren, weiterhin Gültigkeit haben sollten. Es war wenige Tage vor der Petri Stuhlfeier am 17. Februar 1262, als die Herzogin Helene die Stadtrechte mit dem Satz ius quod welge wicbeldesrecht dicitur bestätigte.

      Im folgendem Jahr kamen dann die neuen Herzöge, die Söhne Johann und Albrecht II. nach Mölln. Die beiden Brüder wohnten im Slot. Der Grund ihres Aufenthaltes war nicht nur die erneuerte Bestätigung der Weichbildrechtes.

      Es hatte sie ein wichtiger Grund nach Mulne geführt. Sie lagen im Zwist mit dem Bischof von Ratzeburg, Ulrich de Bluchere. Ulrich war zuerst Priester in der Prämonstratenserabtei von Racisburg, bevor er 1257 zum Bischof gewählt wurde.

      Seine Wurzeln hatte Ulrich de Bluchere in dem alten Adelsgeschlecht, dessen Stammsitz bei Louwenburg an der Elbe lag. Der Urahn war ein mutiger wendischer Edelknappe, der mit Herzog Heinrich dem Löwen einst nach Rhodos gezogen war, und dort wegen seiner Tapferkeit den Ritterschlag erhalten hatte. Wieder in der Heimat half er Heinrich, als dessen Schwiegersohn Borwin von Mecklenburg von Nikolaus und seinen Abortriten bedrängt wurde. Seine Tapferkeit wurde legendär, als er ganz alleine eine Kapelle verteidigte. Nachdem die Abortriten vor seinem Schwert geflohen waren, überreichte er, gänzlich vom eigenen und fremden Blut überzogen, dem Herzog die Kirchenschlüssel. Da nannte der Herzog ihn Bluchere, den Blutigen. Die Schlüssel wurden seitdem das Wappenzeichen9 des Geschlechts.

      Ulrich ging mit seinem Seelsorgereifer neue Wege. Für ihn war christliche Barmherzigkeit keine leere Phrase. Seine Barmherzigkeit gegenüber den Armen war landesweit bekannt.

      Aber nicht überall war dieser Eifer beliebt. Die Herzöge störten sich daran, dass Bischof Ulrich immer mehr Einfluss auf die weltlichen Dinge zu nehmen versuchte. Sie gedachten daher Mulne zu stärken, und somit ein Gegengewicht zu einem immer stärker werdenden Bischof zu schaffen. Die Herzöge befürchteten, dass ihr weltlicher Einfluss in ihrer Grafschaft von dem Kleriker beschnitten werden würde, damit er alles den Armen geben konnte.

      Ludolp war ein alter Mann geworden. Seine Bewegungen waren durch seine Gicht stark beeinträchtigt. Aber sein Verstand arbeitete noch einwandfrei, sodass er sein auf Lebenszeit verliehene Amt immer noch ausüben konnte. Er saß im theatrum und wartete auf Hermann. Die Händler benutzten das theatrum ebenfalls. Es war nicht nur Rathaus, sondern auch ein Handelsplatz für Tuchhändler geworden. Dieser Zustand ärgerte den Bürgermeister.

      Er träumte schon seit langer Zeit davon, ein eigenes großes Rathaus zu besitzen, welches nicht mit Händlern zu teilen war. Ach, wäre das schön. Er wusste auch schon wo dieses Rathaus entstehen sollte. Am Rande des Marktplatzes, links neben der Kirche sollte es stehen. Ein großer Ratssaal mit großen Fackeln an den Wänden schwebte ihm vor. Doch waren das alles noch Träume, denn das Geld fehlte. Die zweite Hälfte der geraubten Stadtkasse war weiterhin verschwunden. Selbst die Einbeziehung des Lubecker Ratsherren Martin de Mulne hatte nicht das gewünschte Resultat erzielt. Das nötige Geld für die vielen Bauvorhaben in der Stadt musste noch beschafft werden. Aber das würde Lupold nicht mehr erleben. Lupold seufzte.

      „Die Herzöge sind eben nach Racisburg geritten, um Bischof Ulrich zu sprechen.“ Lupold drehte sich um und gewahrte Hermann, der unbemerkt in den Ratssaal getreten war.

      „Glaubst du, dass der Streit zwischen ihnen damit beigelegt ist?“

      „Das glaube ich weniger, da alle drei charismatische Köpfe sind. Jeder verfolgt seine Interessen, auch wenn Ulrichs Interessen vorherrschend den Armen und nicht seinem eigenen Beutel zugute kommen. Aber wir könnten uns doch freuen, wenn sie