Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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kannst du mich verstehen?“

      Irritierte Blicke trafen ihn. „Wer bist du?“

      „Ich bin Ludolp, der Bürgermeister von Mulne. Hör mich an, Weib. War Siegbert gestern mit Gunther hier? Hat er einen schweren Sack, oder Ähnliches dabeigehabt?“

      „Ich weiß von nichts. Wovon redest du? Ich bin müde. Lass mich schlafen. Sieh das neue Bett an. Das hat Siegbert extra für mich bereitet. Ist das nicht gut?“

      Sie schlief wieder ein. Resigniert erhob sich Ludolp aus der gehockten Stellung und sah, dass die Frau wieder schlief. Ein tolles Bett hat Siegbert da seiner Frau gerichtet, sagte er ironisch zu sich, als er das alte Stroh sah. Da hätte er aber auch frisches nehmen können.

      Er trat aus dem Haus heraus und sog die frische Luft ein. Die Männer folgten ihm schweigend. Niemand hatte die passenden Worte parat.

      Ludolps Blick fiel auf das Pferd. Jetzt erst hatte er Augen dafür. Er betrachtete das Tier genauer. Langsam arbeiteten seine Gehirnzellen nach der vorherigen Enttäuschung wieder. Mit einem Mal verstand er. In der Form eines Pferdes stand ein Teil der Stadtkasse vor ihm. Von seinem Teil hatte Siegbert sich ein Pferd gekauft. Aber das Pferd kann ja nicht das ganze Geld gekostet haben. Es musste noch einiges vorhanden sein.

      Ludolp sah die Spuren der Hufe im Schnee. Sie kamen von Norden. Der zweite Mann Gunther musste nach Norden, ergo Lubecke oder Racisburg, entflohen sein. Soviel verstand er. Diese Erkenntnis lähmte ihn, und diese Einsicht behagte ihm gar nicht.

      Wenn dem so war, wie er die Sache sah, war Gunthers Beute für alle Zeit verloren. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, ohne großen Wind zu verursachen, auf der Spur des Flüchtigen zu bleiben. Aber darum wollte er sich bei der Rückkehr kümmern.

      Hermann trat zu ihm. „Wie geht es weiter?“

      „Wir gehen zurück. Hier können wir nichts mehr machen.“

      „Ich frage mich, warum Siegbert zurückgekommen ist.“ Hermann stemmte seine Hände in die Hüften. „Ich glaube, dass er das restliche Geld holen wollte. Ludolp, ich will damit sagen, dass er es hier irgendwo vergraben hat.“

      Ludolp schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Sieh dir doch den gefrorenen Grund an. Hier konnte er nichts vergraben. Glaub mir. Und im Haus ist auch nichts. Du hast doch gehört, was seine Frau sagte. Er hätte nur ihr Bett gemacht.“

      Verdutzt sahen sich die beiden Bürgermeister an. Ihnen kam gleichzeitig eine Idee. Nein, das konnte nicht wahr sein. Sieh das neue Bett an. Das hat Siegbert extra für mich bereitet.

      Oder doch?

      Wortlos liefen die beiden in die Hütte, schoben die schlafende Frau zur Seite, und nahmen das Stroh vom kalten Boden auf. Darunter war der Boden nicht gefroren. Sie erkannten eine Stelle, wo jemand vor nicht allzu langer Zeit die Erde geebnet hatte. Fieberhaft schoben sie mit den Händen die Erde zur Seite. Bald fühlte Hermann einen leinenen Sack. Vereint hoben sie den schweren Sack aus dem Loch. Der Inhalt klimperte. Freude erhellte die beiden Gesichter und jene der Herumstehenden. Sie hatten einen Teil der Stadtkasse wieder. Und draußen stand noch ein prächtiges Pferd, welches auch dazu gehörte. Jetzt fehlte nur noch der gleich große Teil des Gunther.

      Die Abordnung ging nach Mulne zurück. Ein Büttel führte das Pferd an der Leine. Der sicher­gestellte Teil der Stadtkasse wurde in einer Truhe wieder verschlossen. Von nun an sollte eine ständige Wache zum Schutz der Stadtkasse abgestellt werden. Als nächstes ließ Ludolp, nach Absprache mit den übrigen Ratsmitgliedern, einen Büttel zu sich kommen. Walter der Schreiber hatte bald darauf einen Brief für den Consul Martin in Lubecke aufgesetzt.

      Martin war der Sohn des Johannes de Mulne, der als erster Mulner Borger, Consul in Lubecke geworden war. Nach dem Tod des Vaters hatte Martin das Ratsherrengeschlecht weiter­geführt. Ludolps Hoffnung war, dass Martin, im Sinne Mulnes, in Lubecke heimlich Nachforschungen über den Verbleib des Gunther anstellen könnte. Er hatte diesen Weg gewählt, damit so wenig Leute wie möglich über den jetzt nur noch teilweisen Verlust der Stadtkasse erfuhren.

      Darin sah Ludolp die einzige Möglichkeit, mit einem so gering wie möglichen Ansehens­verlust aus der Angelegenheit herauszukommen.

      Vier Wochen später hatte Ludolp bisher nur eine Nachricht des Martin de Mulne erhalten.

      In dieser Nachricht teilte Martin mit, dass er die Bitte der Stadt erhalten, und sein Möglichstes tun werde. Er habe einen vertrauenswürdigen Schergen beauftragt, mit Hilfe eines Beutels Münzen in den verruchten Gassen und Winkeln Lubeckes nach einem gewissen Gunther zu suchen. Den Grund der Suche habe er dem Schergen verschwiegen. Bei Neuigkeiten werde er den Mulner Rat sogleich informieren.

      Dann war der Tag der Petri Stuhlfeier da. An diesem Tag wurde an die Übernahme des römischen Bischofsstuhles, der Kathedra, durch den Apostel Petrus gedacht. Es war seit Anbeginn der Stadt Mulne Brauch, an diesem 22. Februar jeden Jahres die Wahl der Rat­mannen, des Kämmerers, der Richterherren, des Heiliggeistvorstehers und der Kirchen­geschworenen durchzuführen. Die Neuverteilung der Ämter wurde in dem als Rathaus dienen­den Gebäude, welches theatrum genannt wurde, durchgeführt.

      Walter war zu Hause geblieben. Bei der Wahl an sich wurden seine Dienste als Schreiber nicht benötigt. Erst nach der Wahl würde ihn die Arbeit erreichen.

      Ein Klopfen an der Tür ertönte. Walter öffnete und erkannte, dass zwei Büttel davorstanden. Als Schreiber kannte er alle Büttel der Stadt. Diese beiden richteten ihre Botschaft aus.

      „Wir sind gekommen, um euch zum Rat zu geleiten.“

      „Was will der Rat von mir?“

      „Das wurde uns nicht gesagt. Es ist nur unser Auftrag, euch abzuholen.“

      Schulterzuckend folgte Walter den Bütteln durch den hohen Schnee. Als sie das Rathaus erreicht hatten, klopfte er sich den Schnee von seinen Schuhen ab. Unter den Schuhen hatte er eine Trippe, eine Sohle aus Holz, untergeschnallt, damit der Schuh geschützt wurde.

      Dann trat er vor den Rat. Ludolp und Hermann erwarteten ihn bereits. In ihren Augen war ein freudiges Lächeln erkennbar, aber auch alle zehn gewählten Ratsherren sahen ihn freudig an. Das irritierte Walter zunehmend. Was wollten sie von ihm? Schon auf dem Weg hatte er sich diese Frage immer wieder gestellt.

      Ludolp lüftete das Geheimnis. „Walter, du bist uns als treuer, sorgfältiger und fleißiger Schreiber bekannt. Wir haben auch nicht vergessen, dass du uns den entscheidenden Tipp zur teilweisen Wiederbeschaffung des Stadtsäckels mit der gefundenen Scheibenfibel gegeben hattest. So war es uns möglich, fast die Hälfte der Kasse zurückzubringen und den Schaden noch erträglich zu halten. Dafür wollte der Rat sich bei dir bedanken. Aber das ist nicht der eigentliche Grund, warum wir dich rufen ließen.

      Wie du sicherlich weißt, ist das Amt des Kämmerers vakant. Ulrich war nicht mehr tragbar und wurde demnach nicht noch einmal wiedergewählt. Also suchten wir einen geeigneten Nachfolger heute am Tag der Petri Stuhlfeier. Da hatte Friedrich die Idee, dich für das Amt des Kämmerers vorzuschlagen. Alle waren von der Idee angetan. Einstimmig haben wir dich ergo in dieses Amt gewählt. Deshalb frage ich dich als proconsules: Nimmst du das Amt des cameraij consulatus in Mulne an?“

      Walter war perplex. Er meinte sich verhört zu haben. Sicherlich hatten sie sich geirrt. Freilich verfügte er auch über die Voraussetzungen, die ein Mann erfüllen musste, der in den Rat gewählt werden wollte. Hiernach musste ein Kämmerer oder Ratsherr frei geboren sein und durfte in keinem Hörigkeitsverhältnis stehen. Ebenfalls durfte er nin ammet hebbe van heren. Schließlich musste er ein erbeingesessener Bürger der Stadt sein. Zuerst gab es bei den Rats­herren die Einschränkung, dass kein Handwerker in den Rat gewählt werden dürfe, wie es in größeren Städten auch noch weiterhin galt. Das lag daran, dass der Handwerker wahrschein­lich zuerst an die Interessen seiner Zunft dachte. Aber dies war in Mulne nicht durchführbar, weil es sonst zu wenig wählbare Männer gegeben hätte. Es gab desgleichen zu wenig Kaufleute, Patrizier und Grundbesitzer, aus deren Reihen sich die Ratsherren hätten rekrutieren