Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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ich mich zu dir setzen?“

      „Ja …ja … natürlich.“

      „Du bist ja so verwirrt und scheinst mit deinen Gedanken in einem fernen Land zu weilen.“

      „Mit meinen Gedanken bin ich beileibe in keinem fernen Land. Im Gegenteil. Meine Gedanken sind so nah innerhalb dieser Mauern.“

      „Dann kann es nur die Liebe sein.“

      Wie ein beim Diebstahl erwischter Knabe, sah Eckhard plötzlich auf. Sogleich nahm er eine abwehrende Körperhaltung ein. War er so leicht zu durchschauen?

      „Ich bin nicht verliebt.“

      „Oh doch, das bist du. Streite es nicht ab. Ich sehe es dir an deinen Augen an. Außerdem munkelt man in der Stadt, dass du mit der Tochter des Kämmerers gesehen wurdest, als ihr durch das Pinnower Tor geschritten seid, wie zwei Verliebte. Vergiss nicht, Mulne ist nicht so eine große Stadt wie Lubecke, wo einer den anderen nicht kennt. Hier weiß jeder über den anderen Bescheid, und so wird viel gemunkelt. Also Junge, schütte mir dein Herz aus.“

      Eckhard war irgendwie erleichtert, dass er einmal mit jemandem darüber reden konnte, was ihn bedrückte. Er erzählte ihm die Geschichte mit Agnes, und das er sich nichts sehnlicher wünschte, als sie zu ehelichen.

      „Aber du glaubst doch nicht, dass der Kämmerer seine Tochter einen Bauern zum Weib geben würde, vor allem, wenn sie einen ehrbaren Mann gehobenen Standes haben könnte.“

      „Sie sagt, ihr Vater wäre voller Verständnis für ihre Wünsche.“

      „Ja sicher. Ich glaube ihm, dass er sie nicht zwingen wird, einen anderen zu heiraten. Dafür liebt er sie zu sehr. Aber wenn er ihr auch viele Freiheiten gewährt, so wird bei einem Bauern die Grenze der Freiheiten erreicht sein. Das ist es, was mich so bedrückt.“

      „Und das ist es was mich zermürbt.“ Eckhard sah wieder nach unten. „Ich liebe sie über alles, doch sehe ich keinen Weg, sie heiraten zu können. Ich bin froh, wenn der Ertrag der Hufe ausreicht, unsere Familie ernähren zu können. Niemals wird sie einen Bauern wie mich heiraten dürfen. Er wird nicht zulassen, dass seine Tochter nach Misthaufen stinkt, und ich bin mir darüber hinaus auch nicht sicher, dass es für Agnes das ist, was sie sich wünscht und begehrt. Ihre Hände sind so zart, und der harten Hofarbeit völlig ungewohnt.“

      Gregor lehnte sich zurück und dachte nach. Unverhofft richtete er sich auf und hob den Kopf des Verzweifelten an.

      „Ich habe da eine Idee. Was wäre, wenn Agnes’ geliebter Freier kein Bauer, sondern ein Handwerker einer angesehen Zunft wäre, dessen Säckel bald nicht zu den leersten gehörte?“

      Verwundert sah Eckhard ihn genau an.

      „Wie meinst du das? Von welchem Nebenbuhler sprichst du?“

      „Ganz einfach: von dir. Du gehst bei mir und meiner Zimmermannszunft in die Lehre. Danach kannst du Frau und Familie ernähren. Du siehst doch, dass es mir nicht schlecht geht. Handwerkern geht es in Mulne nicht schlecht. Ich biete dir also an, Zimmermann zu werden. Morgen werde ich mit den anderen meiner Zunft sprechen. Einem Zimmermann und Handwerksgesellen wird er eher seine Tochter zum Weib geben als einem verarmten Bauern. Der Beruf ist gut angesehen. Was sagst du dazu?“

      Eckhard konnte es nicht glauben. Wenn dem so wäre, so hätte ein gemeinsames Leben mit Agnes eine Zukunft. Allerdings würde dies einige Jahre dauern, doch wäre es nicht das Problem. Das eigentliche Problem wäre ein anderes, sein Vater Winfried.

      „Wenn dies machbar ist, so wäre ich der glücklichste Mensch der Welt. Doch sehe ich das Problem darin, dies deinem Bruder klarzumachen. Er wünscht sich, dass ich von ihm die Hufe übernehme. Darauf hat er sich stets verlassen, und es würde mir leid tun, ihn enttäuschen zu müssen.“

      „Hm“, Gregor kannte seinen Bruder nur zu gut. Eckhards Einwand war nicht von der Hand zu weisen. Aber da kam ihn eine weitere Idee. „Du hast doch noch zwei Brüder. Gut, der jüngste ist zwar noch ein Säugling, aber Thomas ist schon vierzehn Jahre alt. Er könnte Bauer wie dein Vater werden. Thomas ist doch ein geschickter Junge. Wenn du als Erstgeborener dein Recht auf die Hufe abtrittst, und Thomas dies übernehmen will, so sehe ich keine unüberwindlichen Schwierigkeiten. Ich werde mit deinem Vater reden.“

      „Aber wir haben auch noch nicht über die Lehrzeit und das Lehrgeld gesprochen, welches ich doch bestimmt zu entrichten habe. Wie viel ist es denn?“

      Gregor schmunzelte über die Weitsicht seines Neffen. Er ging auf dessen Frage ein, und versuchte ihn gleichzeitig zu beruhigen.

      „Sicherlich wirst auch du dem Meister ein Lehrgeld zahlen müssen Es sind zur Zeit dreißig Mark. Es ist Brauch, sollte der Lehrling nicht in der Lage sein das Lehrgeld zu entrichten, so verlängert sich die Lehrzeit um ein Jahr. Ich weiß was du meinst. Sicherlich ist ein Lehrling ein gutes Geschäft für den Meister. Deshalb darf ein Meister auch nicht mehr als zwei Lehrlinge auf einmal haben, damit nicht die Lehrlinge umsonst die ganze Arbeit tätigen. Die eigentliche Lehrzeit ist also drei Jahre. Aber mach dir mal darüber keine Gedanken. Solltest du nicht in der Lage sein, das Lehrgeld zahlen zu können, so wird dein alter Oheim dir einen Kredit gewähren.“

      Gregor erzählte seinem Neffen, wie es ihm in seiner Lehrzeit und danach ergangen war. Auch für ihn war es eine schwere und harte Zeit gewesen. Es war nie leicht, sich hochzuarbeiten und dann noch anerkannt zu werden. Denn die soziale Trennung zwischen Lehrling und Gesellen wurde bei den Zimmerleuten, und andere Zünften auch, streng gehandhabt.

      Als Gregor die Gesellenprüfung bestanden hatte, durfte er sich nicht mehr mit den Lehrjungen abgeben. Sollte er dagegen verstoßen, so musste er eine Strafe in der Höhe eines Wochen­lohnes bezahlen, was für ihn viel Geld war. Darauf hatte Gregor peinlichst geachtet.

      Gerade bei den Zimmerleuten gab es genaue Vorgaben. Dem Altgesellen war auch als Geselle Folge zu leisten, denn er vermittelte auch die Arbeitsstellen. Der Meister kündigte ein Arbeitsverhältnis persönlich, was er nur am Sonntag beim Mittagessen tat. Danach musste der Geselle jedoch noch vierzehn Tage bleiben. Jedoch, kündigte der Geselle selber, so durfte er in Mulne keine Arbeit mehr annehmen und musste sein Glück in der Wanderschaft suchen. Gregor warnte seinen Neffen noch davor, nach neun Uhr in der Nacht das städtische Bier Lauke zu trinken, denn die Gesellen sollten am nächsten Arbeitstag wieder erholt sein. Die Arbeitszeit war für die Zimmerleute im Sommer lang. Sie ging von vier Uhr morgens bis sieben Uhr abends. Darin war jeweils eine Stunde Frühstücks- und Mittagspause enthalten. Allein der Sonntag war frei, damit sie in die Kirche gehen konnten.

      Eckhardt hatte aufmerksam zugehört und versprach, seinen Oheim nicht zu enttäuschen.

      „Das weiß ich, mein Junge. Du wirst es auch schaffen. Auch ich habe es geschafft, auch wenn es wahrlich nicht leicht war. Doch jetzt werde ich deinen Vater aufsuchen, und mit ihm über Thomas sprechen. Keine Angst, er wird schon auf meinen Vorschlag eingehen.“

      Sofort erhob sich Gregor und verließ den Raum, um nach Winfried zu suchen.

      „Aber wenn er …“

      Mehr brachte Eckhard nicht hervor. Sein angefangener Einwand verhallte ungehört. Er kannte seinen gutherzigen Onkel und wusste nur zu gut, das er stur sein konnte, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Das war die Eigenschaft gewesen, die aus Gregor, der eigentlich als Bauernsohn aus Lutowe stammte, einen angesehenen Zimmermann mit Grundbesitz gemacht hatte. Stur und zielstrebig, so war er.

      Der Kämmerer saß in seiner Amtsstube und überprüfte die Rechnungen. An den Wänden standen hohe Regale, welche mit Pergamentrollen gefüllt waren. Fein säuberlich waren sie sortiert und geordnet. In diesen waren die Einnahmen und Ausgaben der Stadt verzeichnet. Der Rat wünschte bei der nächsten Stadtratssitzung einen genauen Bericht über die finanzielle Lage der Stadt. Brunos Aufgabe war es nun, die Summe der Rechnungen zu addieren. Ach, wie viel einfacher waren doch die neu eingeführten arabischen Zahlen. Vor sechzig Jahren hatte der damalige Kaiser Friedrich II., ein höchst gebildeter und gegenüber dem Neuen aufgeschlossener Herrscher, ein neues Zahlensystem in seinem Heiligen römischem Reich