Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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Vormarsch nur aufgehalten. Dieses ungestüme Vorrücken rächte sich nun. Er ließ eiligst Leitern anfertigen. Sie wurden zuerst als Brücken über die Gräben gebraucht. Alleine dies war ein waghalsiges Manöver angesichts des ständigen Pfeilbeschusses von den Mauern und Türmen herab. Sollte es jedoch einmal gelungen sein, eine Leiter heil an der Mauer aufgestellt zu bekommen, so wurden die heraufsteigenden Söldner mit dem bekannten kochenden Wasser begrüßt.

      Colberch hatte sich wie alle Ratsherren während der Angriffe an der Mauer und auf dem Turm aufgehalten. Sobald die Bedrängnis abschwächte, lief er wieder zu seinem Haus. Er wollte gerade die Tür aufmachen, als der Medikus unerwartet vor ihm stand. Die Magd stand mit Tränen in den Augen dahinter. Colberch brauchte nicht nachzufragen. Er sah es auch schon dem Gesicht des Medikus an. Der Blick war traurig, hilflos und leicht gesenkt.

      „Es tut mir leid. Wir konnten nichts mehr für sie tun. Das Fieber hatte sie zu sehr geschwächt. Der Pfarrer hat ihr die letzte Ölung gegeben. Wenn ich etwas für euch tun kann?“

      Colberch schüttelte den Kopf.

      „Grämt euch nicht deswegen, Medikus. Es ist nicht eure Schuld. Ich sah es schon gestern ihrem Gesicht an. Sie war zu sehr geschwächt. Es hat Gott gefallen, sie heimzurufen. Damit muss ich mich abfinden.“

      Er ging in seinen Wohnraum, welchen er von nun an nur noch mit der Magd bewohnen sollte. Kinder hatte er keine. Gertrude hatte keine empfangen können. Das hatten sie zwar erst in den Jahren nach der Hochzeit festgestellt, sich in all den Ehejahren aber daran gewöhnt. So blieb ihm niemand, mit dem er den Schmerz und die Trauer teilen konnte.

      Der Tod seiner Frau war nicht überraschend für ihn gekommen. Was ihn allerdings ärgerte, oder besser gesagt, was er sich selber vorwarf, war die Gewissheit, dass er in ihrer letzten Stunde nicht bei ihr gewesen war. Er hatte nicht ihren letzten Atemzug gehört, und in ihrer schwersten Stunde ihre Hand gehalten. Statt dessen hatte er geholfen, Menschen zu töten, die ihn töten wollten. Colberch war in der letzten Stunde nicht bei seiner Frau Gertrude gewesen. Das würde er sich nie verzeihen können. So war es eben.

      Sollte der Bürgermeister doch seinen selbst angezettelten Krieg ohne ihn weiterführen. Ihm war es jetzt einerlei. Sollten sie doch alle sterben. Ohne Gertrude machte das Leben für ihn doch keinen Sinn mehr. Für ihn war der Krieg zu Ende.

      Für die Bürger der Stadt war der Krieg allerdings noch lange nicht vorbei. Für sie begann der Krieg jetzt erst richtig. Verzweifelt ließ Graf Gerhard seine Soldaten anrennen. Doch was er auch versuchte, der Werder blieb für ihn uneinnehmbar. Mit dem Mute der Verzweiflung wurde die festungsgleiche Stadt verteidigt.

      Ein Tag nach dem anderen verging. Aus Tagen wurden Wochen, und aus Wochen ein Monat.

      Doch Graf Gerhard konnte auch stur sein. Wenn er sich etwas vorgenommen hatte, so setzte er alles daran, es durchzuführen. Er wollte diese Stadt in seine Gewalt bringen und niederreißen. Dafür war ihm jedes Mittel recht. Da er jetzt gezwungen war, sich auf eine längere Belagerung der Stadt einzustellen, ließ er sich ein hus aus Holz bauen. Er dagegen bevorzugte den Namen werborch. Es wurde ein praktisches Haus, in dem auch sein Schwager und sein Neffe wohnten. Ihnen ging es dabei gut, während seine Männer ihre Zelte rund herum aufgebaut hatten. Die werborch wirkte trotz ihrer schnellen Errichtung imponierend.

      Außerdem ließ Gerhard Prähme bauen oder heranschaffen. Er versuchte es von der Seeseite. So wollte er die dichtgedrängten Reihen der städtischen Bogenschützen ausdünnen und ihre Kräfte schwächen. Aber auch dieser Versuch misslang. Sobald die Prähme in Schussweite der Bögen gelangten, ließ Johannes de Belendorpe seine Schützen los. Mit Brandpfeilen wurden die Prähme getroffen. Die Soldaten sprangen daraufhin ins Wasser, um nicht auf den Booten zu verbrennen. Für Johannes de Belendorpe war es wichtig, seinerseits die Holsteiner mit ihren Brandpfeilen auf Abstand zu halten. Sie durften erst gar nicht in Schussweite gelangen.

      Nun versuchte Gerhard verstärkt, die Stadt auszuhungern. Dies gelang nur teilweise. Zum einen hatte die Stadt durch den Zufluss zur Mühle, den Hafen am Heilig-Geist-Hospital und in der Grubenstrate genügend Möglichkeiten, um an Trinkwasser zu gelangen. Zum anderen waren die Speicher durch den Handel noch gefüllt, und in den Straßen lief noch genügend Vieh aller Arten wie Schweine, Kühe, Hühner, Schafe und andere herum.

      Aber auch dieser Vorrat nahm langsam ab. Mitte August begannen die Vorräte zu schmelzen. Sie waren bald aufgebraucht. Es war an der Zeit, einen Ausweg zu finden. Vor allem, weil Gerhard und Johann keine Anstalten machten, ihre Belagerung vorzeitig abzubrechen. Von ihrem festen Willen, die Stadt zu erobern, zeugte ihre prächtig erbaute werborch. Wer so ein Gebäude aufstellt, gibt nicht so leicht auf.

      Graf Gerhard hatte weiterhin in seiner werborch ausgeharrt. Allmählich nahm die Verzweiflung zu. Was sollte er denn noch alles versuchen? Er war dabei, sich die Zähne an dem hartnäckigem Widerstand der Stadt auszubeißen. Das hatte er sich wahrlich leichter vorgestellt. Insgeheim bewunderte er sogar die Standhaftigkeit der Stadt. Sie war zu stolz, um sich leicht erobern zu lassen. Insgeheim bewunderte er ihren Mut, denn so etwas imponierte ihm. Aber andererseits war dadurch eine Lösung schwieriger. Irgend eine Lösung musste gefunden werden. Aber aufgeben konnte er nicht. Sein Nimbus als de groote Gert wäre auf Jahre hinaus irreparabel beschädigt wenn nicht gänzlich zerstört. Der Widerstand der Molner würde Schule machen und ihm zukünftige Angriffe auf andere Städte nur erschweren. Keine Stadt würde nur angesichts seines Erscheinens mehr kapitulieren. Was würden alleine die Dänen über ihn an Häme verbreiten. Nein, einfach aufgeben und unverrichteter Dinge abziehen konnte und durfte er nicht.

      In den Mauern der Stadt nahm die anfängliche Euphorie und die einhergehende Zuversicht, den Belagerern ewig Widerstand leisten zu können, allmählich ab. Der Hunger stieg, weil die Vorräte schwanden und die Portionen eingeschränkt wurden. Der Jubel darüber, den Grafen außerhalb der Mauern demütigen zu können, war verflogen. Nüchternheit hatte Einzug gehalten. Nicht nur die Bürger, sondern auch der Rat machte sich zunehmend Gedanken darüber, wie es weitergehen sollte.

      „Wollen wir es bis zum Äußersten kommen lassen?“ Johannes de Wigheschen hat seine anfängliche Zurückhaltung aufgegeben. Er war dafür, auf den Grafen zuzugehen.

      Thidericus Rubeke beugte sich daraufhin nach vorne.

      „Ich finde, wir sollten dem Grafen Verhandlungen anbieten. Derer brauchen wir uns weiß Gott nicht zu schämen. Seit vielen Wochen halten wir seiner Belagerung stand. Wir haben stark und ehrenvoll unsere Stadt verteidigt. Darauf können wir stolz sein. Wir sind wahrlich nicht die Verlierer, wenn wir mit dem Grafen Verhandlungen aufnehmen.“

      Johannes de Gradu stand ihm bei.

      „Ich denke, wir sollten Verhandlungen anbieten. Bis jetzt haben wir fast keine Verluste. Der Graf dagegen Hunderte. Doch befürchte ich, dass wir jetzt an einem Punkt angelangt sind, wo sich dies ändern könnte. In den nächsten Wochen könnten viele an Hunger sterben. Krankheiten und Seuchen können ausbrechen. Dadurch würden unsere Verluste drastisch zunehmen. Wir haben gezeigt, dass wir stark sind. Wir sollten Verhandlungen beginnen.“

      Nun meldete sich Dusekop.

      „Auch ich bin dieser Meinung. Vergessen dürfen wir auch nicht, dass uns die Belagerung viel Geld kostet. Geld, welches wir dringend benötigen. Der Handel ist natürlich völlig zum Erliegen gekommen. Das, was uns groß und stark machte, geht jetzt andere Wege, und zwar an unserer Stadt vorbei. Die Handelszüge ziehen vorbei. Die Bauern kommen nicht mehr zu den Markttagen herbei. Sie suchen sich andere Märkte, um ihre Produkte zu verkaufen. Auch deshalb müssen wir jetzt schnell handeln. Wir können noch günstig aus dieser Fehde herauskommen. Wir sollten uns wenigstens anhören, was der Graf von uns fordert.“

      „Das liegt allein am Verhandlungsgeschick des Bürgermeisters“, gab Gotfridus de Krempe zu bedenken. Was meint denn der Bürgermeister dazu?“

      Johannes wartete einen Moment. Seine anfängliche Zuversicht war geschwunden.

      „Ihr wisst, dass ich gegen eine Aufgabe der Stadt war. Ich bin immer noch der Meinung, dass wir richtig gehandelt haben. Dadurch haben wir gezeigt, dass wir kein Spielball der Herzöge sind. Tapfer und ehrenvoll