Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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Gerhard III. zu Holstein-Reinoldsburg verlangt die bedingungslose Kapitulation der Stadt Molne. Er verlangt die Herausgabe aller Ratsherren und Bürgermeister der Stadt, weil sie sich vor dem Herzog Johann II. und dem Grafen Gerhard III. zu verantworten haben. Ferner verlangt er den ungehinderten Zutritt für den Herzog, die Herzogin Elisabeth und Albrecht IV. zu ihren herzoglichen Gemäuern.

      Dazu ist eine Frist bis zur Abenddämmerung gesetzt. Sollte die Zeit ungenützt verstreichen, so wird mit der Schleifung Molnes in den Morgenstunden des nächsten Tages begonnen werden. Niemand wird verschont werden. Nutzt also die Zeit für die Übergabe der Stadt. Nur eine bedingungslose Unterwerfung kann die Stadt vor dem Untergang, und die Menschen vor dem sicheren Tod retten.“

      Der Herold machte eine Pause, um den Angesprochenen Gelegenheit zu geben, das Gehörte verinnerlichen zu können.

      „Wie ist die Antwort der Stadt?“

      Alle hatten sie die Worte vernommen. Einige bekamen dadurch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Ihre vorherige Furcht wurde verstärkt. Dagegen setzte bei den meisten seltsamerweise das genaue Gegenteil der beabsichtigten Wirkung ein. Und diese Wirkung hieß Trotz.

      Johannes de Belendorpe hielt einen kurzen Rat ab. Es mochten nur wenige Minuten vergangen sein, als die markante Stimme des Herold ungeduldig erneut zu vernehmen war.

      „Bürgermeister der Stadt Molne. Wie lautet eure Antwort?“

      Große Spannung machte sich allenthalben breit.

      Da lehnte sich Johannes de Belendorpe so weit es ging mit seiner kräftigen Gestalt aus dem Fenster, und rief so laut mit seiner mächtigen und kräftigen Stimme, dass seine Worte weit zu vernehmen waren.

      „Der kahlköpfige Gert soll sich zum Teufel scheren.“

      Ungläubig vernahm der Herold diese Worte. Nach einer kurzen Weile, die er benötigte den Schock zu überwinden, wendete er ohne eine Antwort sein Pferd und ritt zum Grafen, der ihn schon sehnsüchtig erwartete. Für den Herold war dieser kurze Ritt der schrecklichste seines Lebens. Er kannte seinen Herrn nur zu gut und wusste, wie sehr dieser solche unliebsamen Nachrichten hasste. Er betete, dass der Zorn des Grafen ihn verschonen möchte.

      Der Herold hielt sein Pferd vor dem des Grafen an. Der Graf war in seiner prächtigsten Rüstung gekommen. Sie glänzte und war auf dem Helm mit einem prächtigen Wedel verziert. Stolz saß er auf seinem Hengst und erwartete den Rapport, während Johann II. und Albrecht IV. neben ihm standen. „Herold, was habt ihr zu verkünden?“

      „Mein Herr, …edler Graf …ich …“

      Jetzt wurde der Graf ungeduldig.

      „Nun sprich endlich, elendiger Wurm. Wann öffnen sie die Tore?“

      Der Herold nahm all seinen Mut zusammen. „Herr Graf! Der Bürgermeister weigert sich die Tore zu öffnen. Er denkt nicht daran, sich zu ergeben.“

      Nun war es heraus. Da der Herold sanftere Worte gewählt hatte und das Zitat nicht getreu wiedergab, so hielt sich der Zorn des Gerhard in Grenzen. Verletzt war dennoch dessen Stolz. Gerhard wandte sich seinem Schwager und Neffen zu. Besonders an Albrecht waren die Worte gerichtet. Sein Blick war dennoch voller Hass.

      „Sieh genau hin, Neffe. Sogleich wirst du sehen, wie man eine Stadt erobert. Du wirst lernen, dass diese Winzlinge sich noch vor uns im Staub winden werden. Jammern werden sie, und um ihr armseliges Leben werden sie flehen. Und alles nur, weil sie sich geweigert haben, uns hereinzulassen. Du wirst sehen, wohin falscher Stolz führen kann. Du wirst lernen, dass jeder Ungehorsam erbarmungslos bestraft werden muss. Heute Abend werdet ihr wieder in eurer woninghe nächtigen können. Wir werden gleich angreifen.“

      Sogleich gab er seinen Bannerführern den Befehl zum Angriff. Mit den Panzerreitern konnte er allerdings wenig anfangen. Sie waren besser in einer offenen Feldschlacht einzusetzen. So ließ er das Fußvolk marschieren. Die ersten Reihen traten vor, gingen bis zum Graben. Dann schossen sie ihre tödliche Fracht an Pfeilen ab. Die zweite Reihe folgte darauf, und so ging es immer weiter. Ein wahrer Regen an Pfeilen ergoss sich hinter der Stadtmauer. Die zu kurz geschossenen prallten von der Mauer ab.

      Dann versuchten die hinteren Fußtruppen, den trennenden Graben zu überwinden. Aber das schlug fehl. Denn plötzlich erschienen auf der Mauer viele Bürger und kampffähige Männer ihrerseits mit ihren Bögen. Unter dem Druck des nun sie eindeckenden Pfeilregens wichen die Angreifer zurück. Auch auf dem Steintor waren die Ratsherren zurückgetreten und hatten den waffenkundigen Männern der Stadt Platz gemacht. Weiterhin folgte von Seiten der Stadt ein Pfeilregen. Der Bürgermeister hatte nämlich schnell gehandelt. In der Wallstrate, direkt an der Mauer gelegen, gab es ein Bussenhaus, welches als Magazin für Waffen diente. Dort waren Bögen und Pfeile, Speere, Hellebarden, Schwerter und andere Waffen in ausreichender Menge deponiert. Das Magazin war vorausschauend in friedlichen Zeiten angelegt worden, damit in Zeiten der Fehde genügend Waffen zur Verfügung standen. Und dieser Augenblick war jetzt gekommen. Schnell waren die Waffen ausgegeben worden.

      Unermüdlich ließ Gerhard seine Truppen vorrücken. Einige mutige Soldaten durch­schwammen den Graben. Aber auch wenn sie glücklich am anderen Ufer angekommen waren, so empfing sie immer noch ein von oben abgeschossener Pfeilhagel. Wenigen wagemutigen Holsteinern gelang es trotzdem, bis zum Fuße der Stadtmauer zu gelangen. Doch wurden sie heiß begrüßt. Inzwischen hatten nämlich die Frauen der Stadt Wasser in Grapen auf ihren Kochstellen erhitzt. An Wasser fehlte es den Bürgern ja nicht. Jünglinge der Stadt brachten dann diese Grapen auf die Mauer. Dann ergoss sich auf die Angreifer die kochende Ladung. Mit Schreien und vielen Verbrennungen stürmten die Getroffenen davon. Sie suchten gleich Abkühlung und Linderung der Schmerzen im Wassergraben. Nebenbei flogen die Pfeile der Verteidiger weiterhin. Viele gräfliche Fußsoldaten ließen dabei ihr Leben. Die Verluste wuchsen. Sie wurden weit größer, als der Graf einkalkuliert und erwartet hatte.

      Die Stunden gingen dahin, und der Tag neigte sich dem Ende zu. Der Graf war gezwungen, die Angriffe einzustellen. Er war ratlos geworden. Das kannte er nicht, dass ihm auf diese Weise Widerstand geleistet wurde. Albrecht blieb es somit verwehrt, die Nacht wie versprochen in seiner woninghe zu verbringen.

      Tapfer und zupackend hatten die Bürger die Stadt verteidigt. Jeder half auf seine Weise. Frauen setzten sich hin und schnitzten stundenlang Pfeile. Es wurden derer ohne Zahl benötigt. Schmiede gossen unaufhörlich die Spitzen dazu. Auf den Türmen und an den Mauern stand der Bäcker neben dem Knecht. Der Bader kämpfte neben dem gemeinen Dienstmann. Im Kampf um das eigene Leben und den Fortbestand der Stadt waren unmissverständlich alle Rangesunterschiede ausgesetzt.

      Da es um das eigene Leben ging, wurden bei jedem Kräfte freigesetzt, die in jedem schlummerten, und von deren Vorhandensein viele nichts geahnt hatten. Das war allgemein der Vorteil gegenüber Söldnern. Sie kämpften nur für Geld, aber nicht mit dem letzten Einsatz und dem Herzen.

      Sobald die Kämpfe abgeflaut waren, lief Colberch zu seinem Haus. Gertrudes Zustand hatte sich nicht geändert. Colberch meinte, dass ihre Wangen im Vergleich zum vergangenen Tag eingefallener wirkten. Er sah, wie ihre Kräfte zunehmend schwanden. Da wusste er, dass er seine Frau bald verlieren würde. Schweren Herzens ging er aus dem Zimmer. Die Magd fragte, wann er zu essen gedächte. Es wäre bald angerichtet. Doch winkte er ab. Er hatte keinen Hunger. Darauf schloss er sich ein, und seine Gedanken kreisten nur um seine Frau.

      Der nächste Tag begann wieder mit den verzweifelten Angriffen der Holsteiner Truppen. Viele Möglichkeiten, von der Landseite anzugreifen, blieben Gerhard nicht. Das erschwerte den Angriff für ihn noch zusätzlich. Denn so konnte er die Verteidiger nicht schwächen, indem er die Angriffsstellen breit ansetzte, und sich die Städter so hätten verteilen müssen. Und diese wenigen Stellen waren noch mit tiefen und breiten Gräben umgeben. Graf Gerhard musste sich selbst zu seiner Schande eingestehen, dass er sich nicht richtig auf diesen Feldzug vorbereitet hatte. Zu eilig war er vorangeprescht. Er war, durch seinen Zorn verleitet, davon ausgegangen, dass dies ein einfaches Unterfangen sein würde. Er hatte geglaubt, dass alleine sein Erscheinen und der Anblick des Heeres ausreichen würde, um der Bevölkerung genügend Angst zu machen. Mit dieser Annahme hatte er weit gefehlt.

      Auf