Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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Körnchen befindet sich wahrlich noch in der Büchse.“

      „Fort mit euch! Ihr wagt es noch Dank zu fordern?“

      „Ihr wollt doch nicht einen kranken Mann fortjagen. Wo soll ich denn hin?“

      „Oh doch, und ob ich euch hinauswerfe. Und nehmt eure Truhe sogleich mit. Keine Sekunde länger lasse ich euch in meinem Haus. Geht doch in das Heilig-Geist-Hospital, wenn ihr so krank seit, oder geht einfach zum Teufel. Mir einerlei.“

      „Außerdem kann ich noch nicht gehen. Ich schulde euch noch Geld für die Medizin und das Nachtlager.“

      „Verschwindet endlich. Ich will euer verfluchtes Geld nicht. Und jetzt hinaus!.“

      Nur schwer konnte sich Dyl ein Lachen verkneifen. Aber das hätte Werinhard nur noch mehr aufgebracht. Dyl kannte die Unzulänglichkeiten der Menschen nur zu gut und wusste aus Erfahrung, dass er den Bogen nicht überspannen durfte.

      Mühsam trug er die schwere Kiste die Treppe hinab. Werinhard half nicht dabei. Als Dyl durch die Tür schritt, wollte ihn der hinter ihm gehende Werinhard noch mit einem Fußtritt hinausbefördern. Doch Dyl wich flink aus, und Werinhard trat gegen den Holzrahmen. Ein Schmerzensschrei ertönte.

      Dyl drehte sich um, weil er ein Lachen vernommen hatte. Da erblickte er Rudolf und Arnulf, die die Szene verfolgt hatten. Voller Häme verlachten sie den Apotheker, der wutentbrannt die Tür ohne ein weiteres Wort schloss

      „Was ist denn mit dem alten Werinhard passiert? So wütend habe ich ihn noch nie gesehen. Das haben hier noch nicht einmal die Knaben mit ihren Streichen geschafft.“ Arnulf musste immer noch feixen.

      „Ach, wisst ihr“, versuchte Dyl die Angelegenheit herunterzuspielen. „Ich wollte dem Apotheker nur helfen, Geld zu sparen. Und das war ihm auch nicht recht. So sind die Menschen eben. Doch sagt mir, wo das Heilig-Geist-Hospital ist. Dort werde ich nächtigen und gesundgepflegt werden. Tragt ihr wieder meine Truhe?“

      „Natürlich, Dyl. Wir waren gerade auf dem Weg zu euch, weil wir uns nach eurem Befinden erkundigen wollten. Wir führen euch zum Heilig-Geist-Hospital in die Seestrate.“ Arnulf hob wichtig seine Brust hervor.

      „Seht ihr, Jungens, so ist das Leben. Ich habe stets danach getrachtet und Gott allezeit gebeten, dass der Heilige Geist in mich kommen möge. Doch nun schickt Gott mir das Gegenteil: ich komme in den Heiligen Geist. Er bleibt außer mir, und ich komme in ihn.“

      Die beiden Freunde hoben die Truhe auf und lachten angesichts des Wortspiels, welches Dyl von sich gegeben hatte. Sie kannten wohl den Spruch aus dem Johannes-Evangelium.

      Vergnügt schritten sie mit der Truhe voran. Dyl folgte ihnen zum Hospital.

      Dyl lag auf dem Bett. Eingefallen und müde war sein Gesicht. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Die Stimmen und Geräusche um ihn herum in dem Hospital störten ihn nicht. Seine Gedanken kreisten um eine ferne Person. Er hatte daher einen Wunsch. Damit gedachte er sich an seine zwei Freunde zu wenden. Langsam drehte er seinen Kopf zur Seite und blickte müde die Freunde an.

      „Ihr seht, dass ich immer schwächer werde. So werdet ihr mir einen Gefallen tun?“

      „Jeden den ihr wünscht, Herr.“

      „Sendet eine Nachricht nach Cletlinge.14 Dort soll meine Mutter Ann Witcken benachrichtigt werden, dass ich hier im Sterben liege. Vielleicht wünscht sie mein Antlitz noch einmal zu sehen, und begibt sich auf die Reise.“

      Rudolf, der wie Arnulf von dem Fremden bezaubert war, antwortete sogleich.

      „Sofort werden wir einen Boten senden. Vertraut uns. Wir kümmern uns darum.“

      „Ihr seid gute Jungen.“

      Die Jungen rannten aus dem Hospital. Dyl fiel darauf in einen tiefen Schlaf.

      Rudolf war ein intelligenter Junge. Da er des Schreibens nicht kundig war, lief er zum Schreiber der Stadt in das theatrum. Dort bat er ihn, ein paar Zeilen zu schreiben. Der Schreiber kam der Bitte nach und sorgte sogar dafür, dass ein Bote, der sowieso nach Süden aufbrechen wollte, den Brief einsteckte.

      Täglich besuchten Rudolf und Arnulf den kranken Dyl. Wenn Rudolf dann abends zu Hause war, berichtete er beim Abendessen von den Erzählungen des Dyl. Weit war er demnach gereist. Er sprach von seinen Erlebnissen in Einbeck, Nürnberg, Magdeburg, Frankfurt, Bremen und vielen anderen Städten. Ein um das andere Mal lachten Arnulf und Rudolf herzhaft angesichts der lustigen Geschichten, in denen Dyl die Menschen dort zum Narren gehalten hatte. Dyl hatte demnach die Reden der Menschen dort allzu wörtlich genommen, womit er sich in einige brenzlige Situationen gebracht hatte. Ein um das andere Mal ernteten die Jungen daher wegen des Gelächters ernsthafte Blicke von den anderen Kranken und Beginen15 im Raum.

      Aufmerksam hörte Rudolfs Vater zu. Er war nur ein einfacher Zimmermann. Seit Genera­tionen führte er die Familientradition fort, die sein Großvater Eckhart begonnen hatte. Der Vater hatte Sinn für lustige Geschichten, und hörte gerne zu.

      Einige Tage vergingen, bis an einem trüben Tag mit Nieselregen eine Frau in das Hospital trat. Unsicher blickte sie sich um, bis sie den Gesuchten in einer Ecke fand. In ihren Augen lagen Trauer und Sorge. Trauer empfand sie wegen ihres Mannes Claus, den sie beerdigt hatte, und Sorgen um ihre Zukunft. Sie war eine arme Frau, die nicht wusste wie es weitergehen sollte. Sie war den weiten Weg aus Cletlinge gekommen, um von ihrem Sohn, den sie im Sterben wähnte, ein paar Münzen zu erben. Weinend fasste sie die Hand ihres Sohnes an.

      „Mein lieber Sohn, wo quält dich denn die Krankheit?“

      Da blitzte es wieder in den Augen des Dyl auf, und trotz seines kränklichen Zustandes war ihm der Schalk nicht abhanden gekommen. Er war noch bei klarem Verstand.

      „Genau hier zwischen der Bettstelle und der Wand quält mich die Krankheit.“

      „Ach mein lieber Sohn, sag deiner alten Mutter doch ein süßes Wort.“

      „Honig, liebe Mutter. Honig ist ein süßes Wort. Bist du jetzt zufrieden?“

      Ann ließ sich ihren Unmut über den Schalk ihres Sohnes nicht anmerken. Sie kannte seinen Sinn nur zu gut. Daher sprach sie von den zwischenzeitlichen Geschehnissen in Cletlinge.

      „Du kannst dich sicherlich noch an den Abt Arnold Papenmeyer aus dem Aegidienkloster erinnern. Er war derjenige, der dich getauft hatte. Er ist auch schon von uns gegangen.“

      „Siehst du“, scherzte Dyl. „Auch vor dem Klerus macht der Tod nicht halt. Und bald wird er mich ereilen.“

      „Lieber Sohn, du hast ja viele Reisen als Wahrheitssager getan. Dann gib mir doch noch eine gute Lehre mit auf den Weg, bei der ich deiner gedenken kann.“

      Dyl neigte langsam seinen Kopf zur Mutter hin und sprach belehrend wie ein Lehrer zu seinem Schüler. Dabei dämpfte er etwas die Stimme, als wenn diese Lehre so wichtig, geheimnisvoll und einzigartig sei, dass nur wenige Menschen von ihr Kunde haben sollten.

      „Ich habe für meine liebe Mutter eine gute Lehre. Wenn du deine Notdurft verrichtest, so kehre am besten den Arsch von dem Winde weg. So kommt der Gestank nicht in die Nase.“

      Allmählich ärgerte sich Ann über ihren Sohn. Bevor er sie aber noch mehr reizte, kam sie auf den eigentlichen Grund ihres Besuches zu sprechen.

      „Lieber Dyl. Du weißt, dass ich dich liebe. Ich hoffe auch, dass ich dir nicht egal bin. Jetzt wo es zu Ende geht, so solltest du dein Gut verteilen. Ich bitte dich, mir von deinem Gut zu geben.“

      „Weißt du, Mutter, wahrlich liebe ich dich. Aber du weißt doch, wer nichts hat, dem soll man geben, und wer etwas hat, dem soll man etwas nehmen. Und wie es sich mit meinem Hab und Gut verhält ist folgendermaßen: Mein Gut ist verborgen, sodass niemand etwas davon weiß. Bist du vom Glück gesegnet und findest etwas, was mir gehört, so magst du es nehmen. Ich gebe dir von meiner Habe alles, was krumm und was gerade ist.“

      Seine Mutter verstand den Sinn der Worte nur zu gut. Es war von ihrem Sohn nichts zu erben. Sie war den ganzen weiten