Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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in der Seestrate. Dort beweinten sie ihn aufrichtig. Denn die Aussicht auf Bares ließ bei einigen Menschen ungeahnte Emotionen aufkommen. Die einzigen ehrlich Trauernden waren Rudolf und Arnulf. Ihnen war nur eins unangenehm. Es war ihnen peinlich, dass ihr Freund Dyl sie in seinem Testament bedacht hatte. Lag es daran, dass sie noch zu jung waren, um eine gewisse Gier auf Geld zu empfinden? Für sie zählte Freundschaft noch was. Und da Dyl für sie ein Freund geworden war, wollten sie eigentlich nichts von dem Erbe abhaben.

      Am nächsten Tag sollte sein Leichnam auf einer Bahre in der Diele des Hospitals aufgebahrt werden. So hatten alle Leute die Möglichkeit, ihre ehrliche oder gespielte Trauer effektiv vor allen anderen zur Schau zu stellen. Vikar Albert ließ sich nicht sehen, aber Pfarrer Burkhard sang eifrig die Totengebete, so wie er es versprochen hatte.

      In der Stadt hatte es sich eingebürgert, dass die Haustiere frei herumliefen. In den Straßen sah man Ziegen, Hühner, Gänse, Enten und Schweine auf der Suche nach Futter ungehindert umherlaufen. Auch das Hospital nannte Schweine sein Eigen, die sich ihren eigenen Weg suchten, wie es in ihrem kleinen Hirn gerade ausgebrütet wurde.

      So kam es, dass die Sau des Hospitals mit ihren Ferkeln unter die Bahre des Verstorbenen gelangte. Sie war wohl auf der Suche nach einer Kratzgelegenheit, da es sie offensichtlich juckte. An dem einen der Holzbeine schien sie das Richtige gefunden zu haben und kratzte sich hingebungsvoll. Dabei geriet die Bahre ins Wanken, und der Leichnam kippte von der herunter auf den Boden. Die trauernden Frauen erschraken zutiefst und waren irritiert.

      „Hinaus mit ihnen.“

      Burkhard übernahm daraufhin das Kommando über die Frauen, um mit ihrer Unterstützung die Sau und ihre Ferkel aus dem Hospital zu jagen.

      Doch das war nicht so einfach. War es aufkommende Angst wegen des hysterischen Geschreis der Weiber, welches allerorten erklang, oder einfach nur Sturheit der Sau? Jedenfalls wurde es nicht so einfach wie gedacht, die Tiere aus dem Hospital zu vertreiben. Die Ferkel waren aufgeschreckt und liefen quiekend kreuz und quer durch die Räume. Die Sau wirbelte grunzend wie ein Orkan dazwischen und riss sogar gestandene Leute von den Beinen. Das jedoch war erst der Beginn des heillosen Durcheinanders. Denn da die Sau nicht gewillt war, stehen zu bleiben, wurden die Frauen und Geistlichen weiter aufgeschreckt.

      Wer nicht umgerannt wurde, versuchte sich in Sicherheit zu bringen. Aber der einzige Ausweg waren die umherstehenden Betten der anderen Kranken. So schien es nicht Wunder, dass einige Frauen und Trauernde rücklings oder bäuchlings auf den Bäuchen der Kranken landeten. Diese wiederum schrien vor Schmerzen auf. Andere prallten mit ihren Köpfen gegen irgendwelche Gegenstände und Wände. Es folgte ein heilloses Durcheinander. Die Röcke der Frauen flogen hoch, und so mancher verlor seine Kopfbedeckung. Einer flog zwischen die Beine einer Begine und kam mit dem Kopf auf ihrem Schoß zu liegen, welches ein seltsames und prekäres Bild abgab. Ein Weiterer brach sich sein Bein, als er über das Bett eines Kranken flog und auf der anderen Seite herunterfiel. Eine Begine dagegen verstauchte sich einen Knöchel, als sie unglücklich nach einem Rettungssprung aufkam.

      Doch dann ebbte das Geschrei der Leute langsam ab, und die Sau und ihre aufgebrachten Ferkel beruhigten sich endlich. Nun konnten sie mit vereinten Kräften und Fußtritten aus dem Spital hinausbefördert werden.

      Nun kehrte wieder Ruhe ein, und jeder richtete zuerst seine Kleidung. Röcke wurden ordentlich gezupft, und die Kopfbedeckungen wieder gerichtet. Burkhard klopfte sein Gewand, sein habit, von dem Staub ab.

      Währenddessen griffen die Beginen zu und wollten den Leichnam mit vereinten Kräften wieder auf die Bahre bugsieren. Doch sie stellten sich dabei ungeschickt an, und so kam es, dass Dyl dabei bäuchlings zu liegen kam. Sein Rücken war nun von allen zu begaffen.

      Am folgenden Tag wurde ein prächtiger Sarg geliefert. Die Beginen füllten ihn mit dem Leichnam und trugen ihn zum Friedhof neben der St.Nicolai-Kirche, denn Burkhard hatte sich mit seinem Gefolge davongemacht.

      „Ihr könnt den Unglücklichen ruhig beerdigen, wenn ihr wollt. Ich habe nichts dagegen.“ So hatte er sich anfangs aus der Verantwortung gestohlen. Doch in seiner Pfarrei besann er sich eines Besseren. Schließlich hatte er dem Sterbendem versprochen, für ihn zu beten und sich um seine Beerdigung zu kümmern. Das Gewissen trieb Burkhard also doch noch zur Beerdigung.

      An der ausgeschachteten Grube, am höchsten Punkt der Stadt nahe der Kirchenmauer, hatten sich schon viele Menschen versammelt. Dyl galt schon zu Lebzeiten bei den wenigen Menschen, die ihn kannten, als komischer Kauz. Aber das Geschehnis mit der Sau hatte sich schnell herumgesprochen. So hatten sich auch viele Sensationslustige eingefunden, um einfach dabei zu sein, sollte sich bei der Beerdigung wieder etwas Seltsames ereignen. Natürlich war so etwas unwahrscheinlich. Aber man wusste ja nie. – Sie sollten nicht enttäuscht werden.

      Rudolf und Arnulf standen ebenfalls dabei, als die Beginen den Sarg neben der Grube abstellten. Burkhard trat hinzu und hob den Deckel an. Sofort stimmte er in ein lautes Gelächter ein. Alle Leute reckten ihre Hälse, um den Grund für den unpassenden Heiterkeitsausbruch zu erspähen. Sofort sprach sich der Grund des Gelächters herum. Auch die Bürger lachten sogleich auf, denn Dyl lag wieder verkehrt herum auf seinem Bauch. Nachdem sich das Gelächter gelegt hatte, hob Burkhard seine Arme, und sprach für alle vernehmbar:

      „Dyl war schon im Leben ein seltsamer Gesell. Wie es scheint, mag er nicht wie alle anderen Christenmenschen beerdigt werden. So sei es. Er zeigt selber an, dass er verkehrt herum liegen will. Wollen wir also nach seinem Willen handeln.“

      Wie der Pfarrer sprach, so wurde getan. Zwei Seile wurde am jeweiligen Ende unter dem Sarg durchgezogen. Kräftige Männer hoben nun auf das Zeichen Burkhards ihre Seilenden an und hoben den Sarg direkt über das Loch. Dann begannen sie, den Sark herabzulassen.

      Just in diesem Moment riss das Seil, welches sich am Fußende befand. In dem Zeitraum eines Wimpernschlags flog der Sarg mit dem Fußende voran in das Grabloch hinab. Polternd kam der Sarg senkrecht stehend zum Halten.

      Alle Leute reckten die Hälse und starrten so gut sie konnten in die Grube hinab.

      Die anfangs verdutzten Sargträger wollten sogleich hinabsteigen, um den Sarg in die richtige Lage zu bringen, als Burkhard sie zurückhielt.

      „Lasst den Sarg so, wie er jetzt steht. Dyl war wunderlich und seltsam zu Lebzeiten. Lassen wir ihn auch wunderlich in seinem Tode sein.“ Alle versammelten Leute stimmten ein, und so wurde das Grab nach einem Gebet zugeschaufelt. In Aussicht auf eine fette Erbschaft, wurden sodann Blumen auf das Grab gelegt. Außerdem bewirkte das Erbe, dass einige Männer sich dazu veranlasst sahen, einen Grabstein zu bestellen, der nach einigen Tagen auf das frische Grab gestellt wurde.

      Auf der oberen Hälfte war ein Mann eingeritzt worden, der in der einen Hand eine Eule hielt, die wiederum einen Spiegel in ihren Krallen hielt.

      Darunter befand sich die Inschrift:

      „Diesen Stein soll niemand erhaben16

       Hie stat Ulenspiegel begraben

       Anno domini MCCCL iahr.” 17

      Vier lange Wochen dauerte es, dem Testament entsprechend, bis zur sehnlichst erwarteten Verteilung des Erbgutes. Jeder im Testament Vorgesehene freute sich schon erwartungsfroh darauf, außer Arnulf und Rüdiger. Die beiden gingen widerwillig, und nur unter dem Druck ihrer münzensüchtigen Eltern, zur Öffnung der Truhe. Viel lieber hätten die beiden ihre Angelschnur an einem der vielen Seen rund um die Stadt ausgeworfen. Aber auf Geheiß ihrer Eltern mussten sie ihren Erbteil in Empfang nehmen.

      Dann war der große Tag gekommen. Im theatrum trafen sich die Jünglinge, die Freunde, der Bürgermeister Johann Dannemann samt einigen Ratsherren, und zuletzt Pfarrer Burkhard als oberster Kirchherr. Es waren noch andere Herren anwesend, die als Zeugen bei der Öffnung fungieren sollten. Freudig waren die Blicke auf die kunstvoll verzierte Truhe gerichtet. Wenn diese Truhe schon von außen so kunstvoll verziert, und somit wertvoll war, welche unsag­baren Schätze mochten dann erst in ihrem Innern stecken? Die Erwartungen waren gigantisch.

      Stolz nahm mit breiter Brust Johann Dannemann die Schlüssel in seine