Iris Schneider

Kampf den Schatten


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du großen Ärger mit deinem Vater hattest, Wulf. Du kannst ihm über den Tod hinaus nicht verzeihen.“

      Franzi löste in wenigen Sekunden unbeschreibliche Gefühle in mir aus und Erinnerungsfetzen glitten an mir vorbei, die ich beinahe greifen konnte, mir aber wieder entwichen. Es stimmt. In der letzten Zeit hatte ich mir viele Gedanken über meine Vergangenheit gemacht. Außerdem war meine Dauerbeziehung Tatjana wiederholt fremdgegangen, mit ihrem tunesischen Noch-Ehemann. Daraufhin gab es für mich nur noch eine Lösung. Die endgültige Trennung von Tisch und Bett. Alles hatte mich genervt, so dass ich mich langsam von Gott und der Welt zurückgezogen hatte.

      „Wenn du eine Antwort auf all deine Fragen willst, musst du sie auch aussprechen. Denn es kann dir keiner eine Antwort geben, wenn du nicht darüber sprichst, Wulf“, sagte Franzi freundlich.

      „Kannst du jetzt auch noch meine Gedanken lesen?“, reagierte ich vorwurfsvoll.

      „Na, endlich redest du, mein Freund“, sagte Franzi zufrieden.

      „Weiter, rede nur weiter. Schütte mal endlich deinen Rucksack aus, und vor allem den Ruß, der ebenfalls darin haftet.“

      Franzis Gesichtszüge schienen mir plötzlich so vertraut und ich meinte sie irgendwann mal gesehen zu haben. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Sie beugte sich zur Seite und holte eine alte, speckige, dunkelgrüne Ledertasche neben der Bank hervor und reichte mir aus dieser eine Flasche mit Wasser.

      „Hier, nimm einen Schluck, er wird dir gut tun und du wirst alles wieder klarer sehen.“

      Ich nahm tatsächlich einen großen Schluck von diesem Wasser, ohne es eigentlich zu wollen.

      „Geht auch mal ohne Kaffee, oder?“, grinste sie wieder übers ganze Gesicht.

      Ihre Zähne waren noch sehr natürlich und sie hatte fast schelmische Züge, wenn sie lachte.

      „Wie geht es dir jetzt?“

      Ich blieb Franzi diese Antwort schuldig. Verlegen rupfte ich stattdessen an einem Grashalm herum. Die Sonne stand mittlerweile schon auf ihrem Mittagspfad und ich fand es langweilig, einer alten Frau meine Probleme erzählen zu müssen. Müdigkeit stieg in mir auf und ich schloss die Augen, um ein wenig zu entspannen. Ein lauer Wind wehte über mich hinweg und nahm alle Schwere von mir.

      Laufend fand ich mich in einem farbenreichen Traum wieder. Ich schwebte leichtfüßig daher und kam zu einem Dorfbrunnen, aus dem frisches Wasser hervorsprudelte.

      „Hier, nimm“, sagte eine freundliche Stimme, und jemand reichte mir ein Glas Wasser. Ich schaute auf und glaubte zu träumen. Vor mir stand eine junge Frau, von der ich in der Realität nur hätte schwärmen können. Ein Phänomen von Weiblichkeit. Alles nach meinem Geschmack. Lange, brünette Haare. Tiefblaue Augen und eine Figur zum Dahinschmelzen. Allerdings kein Vergleich mit einem Erotiksternchen. Dazu wirkte sie viel zu traumhaft. Trotzdem hatte ich auch hier wieder das Gefühl, als hätte ich dieses edle Geschöpf schon einmal gesehen.

      „Was machst du hier bei uns?“ fragte das Mädchen.

      „Ich suche nach dem Recht und ich möchte es verteidigen“, antwortete ich ungewollt und wunderte mich, dass solche Worte spontan aus mir heraus kamen.

      „Ich will meinen Vater finden und ihn endlich zur Rede stellen, denn er hat uns Unrecht angetan.“

      „Geh dort entlang“, sagte die Schöne plötzlich unerwartet kühl.

      „Auf diesem Wege wirst du in einem kleinen Haus, das auf einer Anhöhe steht, deinen Vater finden.“

      Dann war sie verschwunden. Schade, die hätte ich mir gern noch länger angesehen.

      Ein ausgetretener, schmaler und steiniger Pfad wollte mir den bis jetzt schönsten Traum zunichtemachen. Denn es kostete mich ungeahnte Kräfte dort hinzukommen. Endlich stand ich vor einem alten, kleinen Haus, das einer Ruine ähnelte. Dass in solch einer Hütte überhaupt jemand wohnen sollte, wunderte mich. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich versuchte mich zu beruhigen, ehe ich an die Tür klopfte. Dann nahm ich allen Mut zusammen und tat es einfach. Ergebnislos.

      „Hallo?“, rief ich etwas lauter. Nichts.

      „Hallo, ist da drinnen jemand?“, rief ich energischer. Langsame Schritte waren zu hören und ein Schlüssel drehte sich quietschend im Schloss herum. Ein weißhaariger alter Mann öffnete die Tür und sah mich kritisch mit heruntergezogenen Augenliedern an.

      „Hast dir aber Zeit gelassen, wie? Komm herein.“

      Schlurfend ging der Alte vor mir her und setzte sich auf einen alten Holzschemel. Ich blieb stehen und guckte mich im Zimmer um. Wie konnte er nur so hausen? Trist und öde hing eine alte Pendelleuchte über dem Tisch herunter und von den Wänden tropfte Schwitzwasser auf den Boden. Eine kärgliche Flamme loderte in einem Herd als Feuerstelle. Der Alte nahm einen grobfasrigen Stofflappen und schob damit einen Wassertopf vom Herd. Ich konnte es kaum fassen, dass dieser heruntergekommene Mann mein Vater sein sollte.

      „Warum lebst du in solchem Elend?“

      „Das Wort Vater kommt dir wohl immer noch nicht gerne über die Lippen, wie?“

      „Das hast du dir selbst zuzuschreiben“, reagierte ich ärgerlich

      „Mein Sohn ist noch immer sehr voreilig in seiner Wortgewandtheit. Wie eh und je. Du hast dich nicht verändert, Wulf.“

      „Warum hast du uns das früher alles angetan?“, fragte ich erregt.

      „Bist du deshalb gekommen? Um mit mir abzurechnen?“

      Er stand auf und machte eine Tür zu einem Nebenzimmer auf.

      „Geh, und sieh, was du sehen willst, damit deine Seele endlich Frieden findet.“

      Ich blieb im Türrahmen des Nebenzimmers stehen und traute meinen Augen nicht. Auf einem Bett in einem roten, durchsichtigen Negligé lag die Schöne vom Brunnen und sah mich verliebt an. Sie streckte mir die Hand entgegen und ich ging wie in Trance auf sie zu. Sie zog mich mit ihren Blicken und ihrer Sinnlichkeit magisch an sich. Wir liebten uns im nächsten Augenblick wild und unbeherrscht und vergaßen alles um uns herum. Die Phantasie der Liebesspiele schien kein Ende zu nehmen. Alles glich einer zügellosen Ekstase.

      Nein, der Traum war noch nicht zu Ende. Durch einen gewaltigen Ruck wurde ich von einer unsichtbaren Kraft zurückgerissen. Vater!

      „Wer ist sie?“, fragte ich Ihn.

      „Du meinst Mira, nicht?“ sagte er bissig.

      „Sie heißt Mira?“

      „Ja, sie ist meine große Liebe und du hast sie ohne zu fragen einfach benutzt!“, sagte er empört.

      „Aber ich konnte nicht widerstehen, Vater. Ich war machtlos und wie geblendet.“ Ich fühlte mich augenblicklich schuldig und wurde zornig über seine Schuldzuweisung.

      „Du hast kein Recht auf sie, weil du zu alt bist, Vater!“, rief ich wütend.

      „Ich nehme mir aber das Recht und liebe sie, wann ich will und wo ich will!“, schrie er zurück.

      Plötzlich wurde ich von einer maßlosen Wut ergriffen. Blindlings prügelte ich auf meinen Vater ein. Er wehrte sich nicht, sondern hielt nur die Arme schützend vor sein Gesicht. Danach fiel ich schluchzend zu Boden und wimmerte wie ein kleines Kind.

      „Komm, Junge, steh auf und lass uns das Alte endlich vergessen. Komm schon“, bat mich Vater, der sich verbindlich über mich beugte.

      „Du bist doch ein Teil von mir und hast eben den gleichen Sturkopf wie ich.“

      Augenblicklich spürte ich Wärme und Herzlichkeit von diesem Mann, den ich immer gehasst hatte, weil ich die Dinge als Kind nicht richtig hatte einordnen können und weil es nie eine Erklärung für jene Dinge gab. Ich stand auf und setzte mich an den Tisch. Vater stellte mir einen Becher mit einem Getränk hin. Eine süßlich schmeckende Flüssigkeit. Sie roch gut und gab mir wieder Kraft. Aber sie beruhigte auch meine Sinne.