Iris Schneider

Kampf den Schatten


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Bügeln und Essen kann ich alleine.

      Wenn es mir psychisch besser geht, werde ich alle meine Schulden, die ich zukünftig bei euch als Kredit aufnehmen werde, in der Küche abarbeiten.

      Auf dem Marktplatz wurden inzwischen die Papierkörbe geleert.

      Ein alter Mann mit blauem Cappy und Latzhose zog klappernd mit einer Metallzange, Besen und Blechschaufel von Mülleimer zu Mülleimer. Das auch noch im gleichbleibenden Rhythmus. Ich beobachtete den alten Mann, der während seiner Tätigkeit genüsslich auf seinem Zigarrenstummel herumkaute. Bestimmt auch eine Art von Sucht. Plötzlich durchzog mich ein Geistesblitz. Mira!

      Schnell legte ich die Zeitung beiseite und meine brennende Zigarette in den Aschenbecher und rannte nach draußen.

      „Hallo, darf ich sie was fragen?“

      Keine Mine verziehend, arbeitete der Alte weiter, als hätte er mich nicht gehört.

      Ich räusperte laut. Als sich immer noch nichts regte, tippte ich ihm auf die Schulter.

      „Was haste?“ knurrte er mager.

      Ich schluckte nervös.

      „Kann ich sie was fragen Herr..?

      „Egon.“

      Ich guckte ihn verblüfft an.

      „Wulf“, sagte ich.

      „Was möchtest du denn wissen, Herr Wulf?“

      Ich meinte ihn irgendwoher zu kennen, wie ich das immer meinte.

      „Na, hat es dir die Sprache verschlagen? Du wolltest doch etwas wissen?“

      Verlegen griff ich an den Baum mit Abfallkorb.

      „An der Haltestelle gegen Abend steht immer ein sehr hübsches, junges, brünettes Mädel, und ich...“

      „Bin sehr verliebt in sie und möchte sie gerne wiedersehen“, übernahm Egon meinen angefangenen Satz in einer nett formulierten Art.

      Donnerwetter, war das peinlich. Egon lachte laut, aber nicht oberflächlich.

      „Perfekt, Egon.“

      „Na, was erwartest du denn von mir, dass ich den Weibchen so lala hinterherdüse, um sie dann anzusprechen?“, klang es belehrend.

      Daneben. Aussichtslos.

      „Das muss ja Miss World sein, wenn du so doll drauf stehst.“

      „Ja, sie ist schon etwas Besonderes“, sagte ich, und das mit ganzer Überzeugung.

      Egon runzelte die Stirn und tat überlegend.

      „Ja, weißt du, ich kriege eigentlich vieles mit, aber von der weiß ich nur...“,

      „Ja?“ unterbrach ich ihn.

      „Von der weiß ich nur, dass die immer denselben, hellgrauen Popeline-Mantel anhat und keine Umhängetasche trägt, so wie die anderen Frauen. Sie redet mit keinem. Manchmal steh sie gegen Nachmittag oder Abend an der Haltestelle dort drüben. Die sieht wirklich gut aus. Das kann ich sogar noch mit meinen fünfundsechzig Jahren behaupten.“

      Ich saugte jedes Wort auf wie ein Schwamm und guckte gierig auf Egons Lippen.

      „Hm..., einmal hat sie mir freundlich zugenickt. Sie hat schon eine faszinierende Ausstrahlung“, geriet Egon ins Schwärmen.

      „Weißt du denn nicht, wie sie heißt, Egon, oder könntest du es vielleicht irgendwie herausbekommen?“

      „Na, du machst mir Spaß.“

      „Ich, als alter Mann, soll herausfinden, wo ein solch junges Ding herkommt? Du arbeitest doch bestimmt nicht mehr um diese Zeit oder? Dann könntest du dich doch selber dort hinsetzen und sie ansprechen.“

      Ein genialer Einfall.

      „Ist sie immer um die gleiche Zeit da.“

      „Ich sagte dir doch, nicht immer. Manchmal ja und manchmal nein. Du musst schon ein bisschen Geduld haben. Denn die Dinge fügen sich immer dann zusammen, wenn die richtige Zeit gekommen ist.“

      Das konnte ich nicht nachvollziehen. Gerade das hatte ich nicht. Zeit. Dann hätte ich ja alle Geduld der Welt. Die hatte ich ebenfalls nicht. In meinem Kopf rauschte es, wie an einem Wasserfall. Ich bedankte mich. Nun wusste ich wenigstens, dass Mira nach den Aussagen von Egon wahrscheinlich doch existierte. Grübelnd setzte ich mich wieder zu Marita, die meine ausgebrannte Zigarette samt Aschenbecher schon abgeräumt hatte.

      „Ich dachte, du hättest die Zeche geprellt“, sagte sie lachend.

      „Ich bekomme noch einen Cappuccino“, rief ich Marita zu, die am Nebentisch mit einer jungen Frau abrechnete.

      „Ich danke Ihnen für den Tee und wünsche noch einen guten Tag“, hörte ich eine helle Stimme. Ich drehte mich um und sah gerade noch, wie ein hellgrauer Popeline-Mantel aus der Tür verschwand und in Richtung Dorf-Kirche lief.

      Ehe ich diese Situation richtig einschätzen konnte, spürte ich in mir hunderte, nein tausende Nadeln, die man nicht mehr als ein normales Schmetterlingsgefühl einordnen konnte. Sie musste es sein! Diese Stimme! Ich sprang von meinem Stuhl wieder auf, rannte so schnell ich konnte über den Marktplatz, guckte in jede erdenkliche Richtung, aber sie war und blieb verschwunden. Die Kirche. Sie ist in der Kirche. Pech, die Kirchentüre war verschlossen. Enttäuscht hastete ich wieder zum Café zurück.

      „Marita!“ rief ich pustend.

      „Mein Gott, Wulf, wo brennt‘s denn?“

      „Ist die öfters hier?“

      „Wen meinst du denn?“

      „Das Mädchen, das du gerade bedient hast. Das Mädchen mit dem langen Mantel“, rief ich ungeduldig.

      „Ab und zu mal ist sie hier und...

      „Was trinkt sie immer? Kaffee, Tee oder was?“, unterbrach ich Marita hektisch.

      „Na ja, eigentlich immer nur diesen Kräutertee. Aber warum willst du das wissen, Wulf?“

      „Das erkläre ich dir später, Marita.“

      „Zeige mir bitte mal die Tee-Sorte. Es ist ganz wichtig für mich.“

      Marita holte irritiert den für mich wertvollsten Kräutertee, den es bis zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben gegeben hatte, und guckte mich dabei ungläubig an. Sie griff in die Dose und holte mir ein solches Tütchen heraus.

      „Hier, das ist er. Dieser wird selten verlangt“.

      „Kann ich mir solch ein Tütchen mitnehmen?“

      „Ja, klar, Wulf, aber ich bekomme wenigstens den Capo bezahlt.“ Ich legte ein Scheinchen auf den Tellerrand, verabschiedete mich von Marita und machte mich auf den Heimweg. Nein, ich ging noch eben in das Reformhaus und kaufte sechs Packungen seltenen Kräutertee.

      Zuhause sank ich in mein Sofa und genoss das neu erworbene Getränk aus meiner schönsten Teetasse, die noch aus den Scherben vom Umzug übrig geblieben waren. Während ich den Tee genüsslich in mich aufnahm und mir vorstellte, wie ich in Miras Armen dahinschmolz, machte sich mein Körper selbstständig und begab sich von Waldfrucht und Blütenzeugduft, so langsam in die Waagerechte. Gott sei Dank hatte das Mädchen keinen Blasen und Nierentee getrunken.

      Dichte Nebelschwaden zogen durch meinen Geist und ich schläferte in die interessantesten Gebiete, die es damals für mich auf dieser Erde zu geben schien.

      Träumend fand ich mich in einem weiblichen Schoß wieder und schaute hoch zu wohlgeformten Busen, die mich lustvoll anlachten. Mich hatte die schiere, nackte Leidenschaft gepackt, und wollüstige Schauer rieselten wieder einmal über meinen Rücken. Hände streichelten sanft über meinen Körper und ich hörte meinen eigenen Atem. Spielerisch nahm das Weib meine Finger zwischen ihre Zähne. Gab sie behutsam wieder frei und wir schmolzen hingebungsvoll dahin. Nach der erotischen Handschrift zu urteilen, musste es Mira sein. Ich