Iris Schneider

Kampf den Schatten


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nickte.

      „Alles, was deine Schläge angerichtet haben, wird wieder heilen. Hättest du nicht zugeschlagen, würden vielleicht deine Wunden niemals heilen. Komm, wir gehen zum Wasser nach draußen und waschen uns. Das wird uns sicher gut tun. Danach reden wir zusammen.“

      Das frische Quellwasser war kalt und klar. Es tat wirklich gut. Tief tauchte ich immer wieder mein Gesicht hinein.

      Plötzlich erkannte ich auf der spiegelnden Wasseroberfläche des Holztrogs, verzerrt das Gesicht von Mira.

      „Wäscht du dein Schuldgefühl oder die Spuren der Nacht von deinem Angesicht?“ fragte sie schelmisch.

      Ich fuhr herum und starrte sie an. Da stand das edle Geschöpf wieder vor mir und ihre Blicke ließen meine Sinne von neuem dahinschwinden.

      „Wo warst du, Mira?“

      „Dein Vater lässt dir ausrichten, dass er später mit dir reden wird. Er wird sich bei dir melden, Wulf.“

      „Aber er war doch eben noch hier?“ Ich schüttelte die letzten Wassertropfen von meinem Kopf und fuhr mit den Händen durch die Haare.

      „Das sieht ihm wieder ähnlich. Immer verschieben, wenn es um eine Klärung oder Entscheidung geht“, reagierte ich verärgert.

      Mira saß auf einmal mit angezogenen Beinen auf einem Holzstumpf und ihr lindgrünes, langes Kleid bedeckte fast ihre Zehen. Sie sah mich verschmitzt wie ein unschuldiger Teenager, der gerade etwas ausgefressen hatte an und wippte burschikos mit den Fußspitzen.

      „Wenn ich gewusst hätte, dass du mit meinem eigenen Vater...

      „Ich habe dir drinnen etwas zu essen hingestellt. Komm und stärke dich“, überspielte sie gekonnt meinen Tadel. Sie sprang auf, nahm mich an die Hand und zog mich die kleine Anhöhe zum Haus hinauf. Ihre natürliche, mädchenhafte Art animierte mich augenblicklich zu einem sofortigen Stimmungswechsel. Im Haus brannten ein paar Kerzen und der Tisch war auf einer weißen Leinentischdecke liebevoll gedeckt. Ein duftendes, ausgebackenes Brot lag noch dampfend auf einem Holzteller zum Auskühlen. Neben einem Schinken, Käse und anderen kleinen Gefäßen befand sich an meinem Platz eine Nachricht auf einem bräunlichen Pergamentpapier.

      Ein paar geschriebene Zeilen von Vater.

      Die schwarzblaue Tinte war zum Ende hin leicht verwischt und ich hatte Mühe sie zu entziffern. Ich hielt das Blatt wie gebannt in meinen Händen.

       Mein Sohn,

       eine ruhelose Seele, die nach Recht sucht, wirkt wie ein hungerndes Raubtier. Es ist sich seiner Fähigkeiten nicht mehr bewusst. Solange ein Antlitz deine Sinne verwirrt und dein Geist dir jegliche Besonnenheit nimmt, ist deine Stärke getrübt. Die Einsamkeit bleibt vom Winde verweht zurück.

       Dein Vater

      Ich griff verhalten nach dem Brot anstatt dem Schinken.

      Mira stand still am Herd und schaute mich ernst und fragend an. Solche Worte hätte ich ihm nicht zugetraut. Er schien weiser zu sein, als ich es jemals von ihm zu glauben gewagte hätte. Er hatte sich in all den Jahren nach seinem Tod verändert. Seine Einstellung war milder geworden und seine Worte an mich ergaben zum ersten Mal einen tieferen Sinn. Trotzdem wollte ich noch eine Aussprache mit ihm. Ich wollte mehr über sein damaliges Denken erfahren und warum er früher so oft überreagierte. Schweigend legte Mira mir ihre Hand auf die Schulter. Eine vertraute Schwingung ging von ihr aus. Ich umfasste ihre Hüften und schaute lächelnd zu ihr hoch. Sie roch nach Geborgenheit, Wärme und Liebe. Nach allem, was ich mir bei einer Frau jemals vorgestellt hatte. Ihre Hände erwiderten meine Gesten und strichen mir sanft über meinen Kopf. Sie gab mir einen leichten Kuss auf die Stirne und sagte:

      „Du musst jetzt gehen, Wulf. Wir sehen uns später wieder.“

      Gefühlvoll legte sie mir ein kleines goldenes Medaillon in meine linke Hand. Eine eingravierte Waage, deren Schalen parallel zueinander angeordnet waren. Mein Sternzeichen.

      „Bewahre es tief in deinem Herzen. Es soll ein Zeichen meine Dankbarkeit sein, dass du gekommen bist.“

      Ich stand auf, nahm Miras Gesicht in beide Hände und küsste sie zärtlich auf den Mund.

      „Wann sehe ich dich wieder?“, fragte ich ungeduldig.

      „Bald, Wulf.“ Ihre Stimme klang zuversichtlich, aber auch traurig zugleich.

      „Wo und wann?“

      „Du wirst mich finden. Schon bald…, schon bald...“, hörte ich ihre Stimme nur noch von weitem. Dann war sie verschwunden.

      „Mira!!“, rief ich aus Leibeskräften und fand mich plötzlich auf meiner Waldbank wieder. Irritiert schaute ich mich um. Ich betrachtete die Bank und strich mit meinen Händen über das Holz. Tatsächlich. Alles echt. Ich kramte in meinen Hosentaschen. So ein Mist. Uhr und Handy lagen zu Hause. Die Sonne war schon beinahe hinter den Bäumen verschwunden und hatte den Abendkurs eingeschlagen. Mir war kalt und ich musste mich erst wieder in der realen Welt zurechtfinden. Wo war die Alte? War auch sie nur ein Traum gewesen? Um mich blickend suchte ich nach Spuren von ihr. Tatsächlich gab es sie. Die Blätter in denen sie mit ihrem Stock herumgestochert hatte, lagen als durchlöcherte Kreation unbeschadet an derselben Stelle. Daneben war eine Art Zeichnung zu sehen und darunter etwas erkennbar Geschriebenes in die weiche Erde gekratzt worden. Ich konnte die Schriftzüge entziffern; Gewogen und zu leicht empfunden. Und wieder das Symbol der Waage. Dieses Mal mit diagonal angeordneten Schalen. Diese Darstellung traf mich wie ein Stich ins Herz und in mir kam Frust auf. Galt es als ein Zeichen, dass ich aus dem Lebenslot geraten war? Eilig machte ich mich auf den Heimweg.

      Zu Hause angekommen legte ich mich auf meine Couch und ließ alles noch einmal Revue passieren. Da ich schon immer an Träume geglaubt hatte, die so deutlich sind, glaubte ich auch damals daran, sie als Zeichen deuten zu können. Mein Kopf war schwer und meine Gedanken durcheinander. In mir war irgendetwas geschehen. Ich wurde Mira in meinen Gedanken nicht mehr los. Wie konnte mich eine Traumerscheinung nur so fesseln?

      In den darauffolgenden Tagen verkroch ich mich in meiner Wohnung. Nicht nur, dass ich von niemandem im Augenblick gestört werden wollte, sondern um in Ruhe und im entspannten Zustand mir meinen Traum mit Mira weiter auszumalen. Bis ins kleinste Detail. Ich war fest überzeugt, sie in meiner realen Welt wiederzufinden. Es war nicht nur der Sex, den ich mit ihr hatte. Es war diese faszinierende Ausstrahlung von ihr. Dieses gewisse Etwas. Auch an Franzi dachte ich zwischendurch und konnte mir einfach nicht vorstellen, dass alles nur ein Traum gewesen sein sollte, zumal ich doch ihre Spuren gefunden hatte. Was war mit mir los gewesen an jenem Tag? Ich nahm mir fest vor, in der nächsten Zeit wieder ein normales Leben zu führen und die Bilder an Franzi verblassten immer mehr. Ich wollte auch nicht mehr nach dem Warum und Woher fragen. Mira allerdings bewahrte ich tief in meinem Herzen und hoffte, dass sie mir irgendwann einmal begegnen würde.

      Der Song meines Handys nervte mich ununterbrochen. Es war Tatjana, meine penetrante Trennungsgeschichte, die einfach nicht aufgab, weil ich sie vor die Tür gesetzt hatte. Wegen Vergewaltigung und Nötigung meiner Nerven. Ich mochte sie absolut nicht mehr sehen. Trotzdem klingelte sie wieder und wieder an der Wohnungstür, wegen eines banalen Grundes. Also werde ich jetzt in die Offensive gehen und mich endlich zur Wehr setzen. Mit einem Ruck öffnete ich die Tür und sagte laut und deutlich:

      „Was willst du denn noch von mir?“

      „Nur einen Pulli! Ihm ist kalt und Oma hat keinen für ihn“, sagte sie kleinlaut.“

      Ich war sprachlos. Ich, als der Getretene und Geschundene unserer vergangenen Beziehung, sollte ihrem Noch-Ehemann einen meiner Pullis geben? Hatte ich diese Geschmacklosigkeit bei ihr denn vorher nicht bemerkt?

      „Ich habe keine Pullis!“, sagte ich wütend.

      Den einen Dunklen, den du so und so nicht gerne angezogen hast“, drängte sie weiter.

      „Hab ich im Ofen verbrannt“, sagte ich schärfer.

      „Hast du jetzt