Iris Schneider

Kampf den Schatten


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sie redet nicht viel. Sie ist immer schnell weg und keiner weiß, wo sie herkommt. Sie ist schön, nicht? Aber du weißt doch ihren Namen. Dann habt ihr euch doch schon mal getroffen?“ sagte sie skeptisch.

      „Wir haben uns einige Zeit nicht mehr gesehen.“

      „Also kuppeln tu ich nich. Dat sag ich dir gleich. Aber ich frag mal den Alten, der morgens die Papierkörbe leert. Dat is sowieso die Zeitung vom Dorf.“

      Ich nahm die eingepackten Blumen, bedankte mich und ging zurück zu Fred.

      „Sag ich doch, dass du verknallt bist“, flötete Fred mir entgegen, als er mich mit dem Blumenstrauß kommen sah und formte spitz seine Lippen zu einem spöttischen Pfeifen.

      „Von wegen, wir wollen mal über alles reden. Du bist mir vielleicht einer.“

      „Die sind für meine Schwester“, log ich.

      „Klar, und mein Bier, das ich hier trinke, ist für meinen Bruder“, prustete Fred. Deshalb hast du auch lauter rote Rosen gekauft, was?“

      Ich starrte irritiert in das halboffene Papier hinein und sah zu meinem Erstaunen, dass Lore die Blumen tatsächlich ausgetauscht hatte. Sie waren offensichtlich rot. Knallrot. Fand ich irgendwie rührend.

      Bevor Fred noch mehr in triumphierende Gebärden ausbrach, entschuldigte ich meinen plötzlichen Aufbruch damit, dass ich noch woanders hinmüsste. Es zog mich nach Hause.

      Ich nahm heute meine alte Abkürzung zu meiner Wohnung am Berg, die mich durch Buschwerk und über felsiges, steiles Steingeröll führte. Anschließend sah ich aus, wie nach einer Treibjagd, aber ich war schneller zu Hause, ohne dass die Nachbarn wieder mitbekamen, wann ich gekommen war.

      Es gibt nichts Grausameres als einen Kater nach ein paar Stunden Schlaf und wenigen Bieren, die man eigentlich gar nicht getrunken hat. Kritisch begutachtete ich die fast leere Whiskyflasche, die mich ebenso fragend vom Tisch herüber beäugte wie ich sie. War es tatsächlich gestern, oder vor-, oder vor vor..., gestern! Natürlich war es gestern. Denn der Inhalt meines Glases war noch nicht getrocknet. Säufer. So nicht. Das geht auf keinen Fall. Ich muss mich am besagten Riemen reißen. Ich beschloss, wütend zu werden. Mit mir selbst. Das funktionierte auch nicht. Vielleicht sollte ich meditieren, um wieder zu Mira zu gelangen. Mir fielen die Zeilen von Vater wieder ein. Oh Gott, wie klangen diese Worte wirkungsvoll. Alles schien wieder so vertraut und sich perfekt in meinem Hirn aneinanderzufügen. Raus aus der Bude und ab in die frische Luft. Das isses.

      Ich fühlte mich plötzlich frisch, jung und unverbraucht. Die Whiskyflasche landete gekonnt im Mülleimer. Den Aschenbecher stellte ich vor die Terrassentüre und mein Bettzeug faltete ich besonders ordentlich, denn man weiß nie, wer kommen kann. Die von meiner nächtlichen Klettertour etwas lädierten roten Rosen ordnete ich sorgfältig in eine Vase und stellte diese vor die Fensterecke. So wirkte alles urgemütlich. An der Wohnungstür überzeugte ich mich mit gezielten Blicken meiner Bilderbuchordnung und schritt leichtfüßig von dannen.

      „Guten Morgen, Herr Schönfelden!“

      „Ja, bitte?“ fragte ich verwirrt den Postboten, der mich gänzlich mit einem hin und her wedelnden Briefumschlag irritierend aus meiner Freude riss.

      „Ich bräuchte mal 'nen Friedrich-Wilhelm von Ihnen“, sagte Herr Post und reichte mir keuchend einen abgenutzten Kuli.

      Verkrampft und unwillig schmierte ich meine Unterschrift auf einen halb zerknitterten Zettel.

      „Nicht so hastig, junger Mann. Sie brauchen mich ja nicht gleich auszuziehen“

      „Entschuldigung, ich wusste ja nicht, dass Ihre Hose am Kuli hängt“,

      „Na ja, aus Sicherheitsgründen. Die Post muss sparen und ich muss nicht immer in meiner Jacke herumwühlen.“

      Vielleicht hat der zu Hause ja auch alles am Bändel.

      Den einen Kuli hätte die Post mir ruhig spendieren können. Wer weiß, wie vielen er damit schon eine Unterschrift herausgelockt hatte. Ich riss das Briefkuvert hastig auf und las ohne Brille einen nächsten Erpressungsversuch. Amt für Ordnungswidrigkeiten und einer Überwachungsbehörde, über meine Person, zwecks Verschuldung eines Verkehrsdeliktes. Schon wieder? Ich kann damit schon meine Wohnung tapezieren. Wie finden die mich bloß alle? Schrecken die noch nicht mal vor einer steilen Haustreppe zurück? Unverschämt! Geldgieriges Gesindel.

      Ich beklopfte ungeduldig sämtliche Jackentaschen und hoffte, dass sich ein brillenähnlicher Gegenstand abzeichnete. Oh, ich Glücklicher.

      Anhörung!

      Sehr geehrter Herr Dingsbums Deichsel,

      Gemäß Paragraph soundso, -Gewerbeordnung soundso,- haben sie unverzüglich Ihre neue Adresse eintragen zu lassen, weil, bla bla bla bla bla...

      Mit freundlichen Grüßen, krizel, kritzel

      Also keine Erpressung. Ich sollte meine Brille in einer Tasche und an einem bestimmten Platz aufbewahren, um solche Missverständnisse zu vermeiden. Es ging wieder mal um einen weiteren Amtsweg. Einer Ummeldung meiner noch bestehenden Gewerbeeintragung über Bodenverlagsarbeiten. Gott sei Dank nicht wieder dieses Straßenverkehrsamt, das seit meinem Umzug aus Düsseldorf nun endlich Ruhe gab. So viele Knöllchen und Verkehrsbeschwerden wie in diesem Städtchen, hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht erhalten. Meine Stimmung war nicht mehr die gleiche. Ich brauchte eine gezielte Motivation, um Meinem Vorhaben, Nachdruck zu verleihen.

      Ich spürte eine aufkommende Angst in mir. Angst vor dem Ungewissen. Angst vor dem Nichtvorhandensein meiner Traumfigur. Zweifel nagte immer mehr an meinen bisherigen Erlebnissen, in die ich

      mich regelrecht verrannt hatte. Hauptsächlich wegen Mira. Ich hätte nie geglaubt, dass eine Erscheinung mich so fesseln würde. Aber es war ja nicht nur dieses Aussehen, es war ja viel, viel mehr.

      Ich saß noch eine Weile auf meiner kleinen Terrasse und guckte ins Dorf hinunter. Der Himmel war verhangen und es blieb trocken. Ich war mir immer noch nicht schlüssig, was ich tun sollte. In solch einem gereizten Zustand zu meinem Waldplatz zu gehen, wäre auch kein guter Entschluss. Außerdem entschuldigte ich mein Erlebtes langsam aber sicher als Vision, die aus einer traurigen Stimmung heraus entstanden war.

      Ich machte mich auf den Weg zum Marktplatz hinunter. Dort setzte ich mich ins angrenzende Markt-Café „Casalino“ und bestellte mir ein Frühstück nach Hausfrauenart.

      Vorsichtig lugten ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke und die Menschen schienen freundlicher gelaunt, als bei kaltem Regenwetter. Die ersten zurückgekehrten Zugvögel trafen sich auf den Bäumen und zwitscherten ohne Ende die schönsten Erlebnisberichte aus dem Süden.

      „Sie waren aber lange nicht mehr hier, Wulf“, sagte Marita, die seit vielen Jahren mit Freundlichkeit und ihrem perfektem Service ihrer Kundschaft treu geblieben war.

      „Das Frühstück wie immer?“

      „Ja, wie immer, Marita.“

      In den Zeitungsspalten quetschte sich der Frust über die Arbeitslosigkeit. Immer mehr Firmen unterlagen den Preisleistungs-Verhältnissen und gingen Bankrott oder machten ihre Häuser ganz dicht. Konkurrenzkampf pur. Konsum gleich Null. Genüsslich mampfte ich mein Toast mit Ei und Schinken und schlürfte meinen Kaffee, den ich mir immerhin noch leisten konnte. Vielleicht sah ich alles auch nur wieder zu schwarz.

      Danach stöberte ich das Ortsblatt nach weiteren Neuigkeiten auf dem Arbeitsmarkt durch. Sollte ich wieder mein eigenes Geschäft weiter ankurbeln, um mich wie gehabt dem Stress der wählerischen und kritischen Kunden auszusetzen?

      Meine momentane wirtschaftliche Lage schrie förmlich zum Himmel nach mehr Aufträgen und besserem Lieferservice. Ich musste mir etwas einfallen lassen, denn meine Auszeit, die ich mir gegönnt hatte, bewegte sich sichtlich dem Ende zu.

      Mein Hirn benahm sich wie eine beleidigte Rotationsmaschine, weil einfach der gewohnte, geistige, farbige und positive Input fehlte. Heute mal alles in Schwarz-Weiß. Immer wieder die gleichen Sorgen und Gedanken. Gehöre ich jetzt zur Generation