Melanie Ryan

Unter Briten


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Unfreundliche: „Das geht dich gar nichts an.“ Die Möglichkeit verwerfe ich meistens, und das würde ich wohl sogar, wenn ich den Fragenden nicht ausstehen könnte.

      Die Lüge: „Mein Mann und ich haben ein romantisches Wochenende in Prag verbracht.“ Lügen ist verlockend, denn ich müsste nicht enthüllen, was ich alles nicht gemacht habe. Andererseits könnte es ja sein, dass der Fragende schon mal in Prag war und mich mit weiteren Fragen als Lügnerin entlarvt. Sollten wir aber wirklich einmal ein romantisches Wochenende in Prag verbringen, dann ginge das meine Kollegen wirklich nichts an.

      Die Wahrheit: „Nichts.“ Aber nein, von mir aus sollen die Kollegen ruhig denken, bei uns ginge jedes Wochenende die Post ab und eine sportliche Aktivität jagt ein kulturelles Ereignis, Naturerleben gefolgt von einem Verwöhnprogramm. Aber dann müsste ich doch lügen.

      Das Detail: „Also, am Samstagmorgen habe ich erst einmal ausgeschlafen und dann gemütlich im Bett Kaffee getrunken und die Zeitung gelesen. Dann sind wir in den Supermarkt gefahren und danach an die Tankstelle zum Auto waschen. Zwischendurch haben wir noch den Glasmüll zum Container gebracht. Nachmittags habe ich geputzt und gebügelt, eine Stunde mit meiner Schwester telefoniert und abends bei ein oder zwei Gläschen Wein „Happy Feet“ geguckt.“ Ja, so genau wollen sie es ja dann auch wieder nicht wissen, nicht wahr?

      Ich bin immer froh, wenn an einem meiner Wochenenden mal etwas passiert. Wenn jemand Geburtstag hatte, wenn wir Besuch hatten – mit dem man ja zwangsläufig mal vor die Tür kommt –, wenn wir in Deutschland waren, wenn wir auf einer Hochzeit waren, wenn wir einen Wasserrohrbruch hatten … Dann hopse ich am Montagmorgen vergnügt zur Arbeit und warte, dass mich einer fragt, was ich am Wochenende gemacht habe.

      Und was ist? Ich steh’ ganz allein im Aufzug.

      Nachtrag:

      Ich hab’s ja schon immer geahnt: Wenn die Kollegen Montagmorgens im Fahrstuhl damit prahlen, was sie am Wochenende gemacht haben, dann kann man getrost mindestens die Hälfte abziehen. Ich bin doch nicht die einzige Langweilerin im Land.

      Laut einer Umfrage der Budget-Hotelkette Travelodge lügen die meisten, wenn es um die Freizeitgestaltung am Wochenende geht. Ein Drittel gibt (fälschlich) an, am Samstagabend ausgegangen zu sein, ein Viertel hat imaginäre Freunde besucht.

      Es soll sich dabei um ein Phänomen handeln, dass „Wochenendneid“ heißt. Keiner will zugeben, dass er in Wirklichkeit Lebensmittel eingekauft, gebügelt und Post abgeheftet hat und abends auf dem Sofa ferngesehen, wenn anscheinend ja alle anderen richtig was losmachen, feiern, verreisen und sich vergnügen.

      Meiner Meinung nach ist ja die Unsitte des Smalltalks daran schuld. Wenn man einfach morgens mürrisch im Aufzug stehen dürfte, ohne sprechen zu müssen, dann müsste man auch nicht lügen.

      In Reih und Glied

      Briten sind berühmt für ihre Perfektion im Schlangestehen. Oder ist das wieder nur ein Klischee?

      Im Vereinigten Königreich gab es schon Zickzackschlangen (eine Schlange vor mehreren Kassen), als ich bei der Bundespost immer noch hinter genau der Oma in der Schlange stand, die sich das Guthaben ihres Postsparbuchs in bar zeigen lassen musste. Meine erste Zickzackschlange habe ich vor zwanzig Jahren in Belfast gesehen und dachte: „Was für eine geniale Idee!“

      In England ist es wichtig, dass es immer der Reihe nach geht. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Normalerweise stellt man sich deshalb schön ordentlich in eine Schlange und wartet, bis man dran ist. Natürlich gibt es immer wieder einmal Vordrängler. Das sind entweder Ausländer, die keine Probleme mit Vordrängeln haben und sich nicht in Grund und Boden schämen, abgehärtete Briten oder aber Menschen, die ganz einfach die Schlange nicht gesehen haben (vielleicht weil diese nur aus einem Menschen bestand).

      Drängelt sich jemand vor, geht beinahe ein kollektives Lufteinsaugen durch die Reihe. Die Wartenden sehen sich verwirrt um, suchen eine Antwort in den Gesichtern ihrer Mitmenschen. Zuerst gucken alle fragend („Hab’ ich da jetzt was verpasst, oder hat der sich da gerade vorgedrängelt?“) und wenn sie den gleichen Ausdruck in den Gesichtern der anderen wiederfinden, verwandelt sich dieser in wissend („Hab’ ich mir’s doch gedacht! Der hat sich vorgedrängelt.“).

      Das nächste kollektive Sentiment ist Ärger, der sich explosiv Luft verschafft: durch Kopfschütteln, Seufzen, mit der Zunge schnalzen, vielleicht sogar murmelnd „Also, manche Leute …“. Verständlicherweise fühlt sich der Vordrängler dadurch nicht besonders eingeschüchtert, verteidigt seine Position mit Leichtigkeit und wird zuerst bedient.

      Nur selten meldet sich einer der Wartenden hörbar zu Wort: „Entschuldigen Sie bitte, aber wir warten hier alle.“ Meistens ist die Reaktion darauf (sofern es sich bei dem Vordrängler um einen Briten oder assimilierten Ausländer handelt) erröten und eine Entschuldigung: „Oh, das tut mir leid. Hab’ ich gar nicht gesehen“ und der Angeklagte stellt sich beschämt hinten an. In selteneren Fällen tut der Vordrängler so, als habe er die Beschwerde nicht gehört und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Eine englische Kollegin fasste sich einmal ein Herz und konfrontierte einen Vordrängler: „Entschuldigen Sie, aber hier ist eine Schlange.“ Der drehte sich um und antwortete: „Tough!“ Meine Kollegin hat sich von dem Affront immer noch nicht ganz erholt.

      In Flughäfen, Banken, Postämtern und Supermärkten ist die Schlangengestaltung meist durch Bänder vorgegeben. Anderswo arrangiert sie sich unter Umständen etwas freier, was aber nicht heißt, dass es hier keine geordnete Reihenfolge gäbe. An Pubtheken beispielsweise steht man eigentlich nicht hintereinander. Trotzdem weiß in der Regel nicht nur der Gast, sondern auch das Bedienungspersonal, wer als nächster dran ist. Normalerweise wendet sich der Barkeeper immer in der richtigen Reihenfolge an den nächsten Gast. Irrt er sich einmal, dann wird (im Optimalfall) der Gast sagen: „Nein, ich glaube, die Dame hier war vor mir dran.“ Die Dame wird das Angebot, zuerst zu bestellen nur annehmen, wenn sie wirklich vorher da war. Ansonsten wird sie sagen: „Nein, nein, SIE waren vorher da.“ Wie gesagt ist das der Idealfall. Es gibt natürlich immer wieder mal Leute, die von der Etikette entweder nichts wissen oder denen diese piepegal ist.

      Auch an Bushaltestellen – zumindest in London – stehen Briten längst nicht mehr schön ordentlich hintereinander. Man steht lässig irgendwo in Sichtweite des Buswartehäuschens herum und bewegt sich in loser Folge auf die Bustür zu, sobald der Bus angehalten hat. Dabei kann es gelegentlich auch schon mal zu Gedränge kommen. Der Grund für diese unordentliche Buswarterei ist möglicherweise, dass eine Bushaltestelle für gewöhnlich mehrere Buslinien bedient. Da man nicht weiß, welcher Wartende mit welcher Linie fahren will, wüsste man gar nicht, wo man sich anstellen soll, deshalb wartet man hier im Pulk.

      Nur einmal habe ich in London eine geordnete Warteschlange an einer Bushaltestelle gesehen. Dies hat mich so verblüfft, dass ich stehen bleiben und sie betrachten musste. Wie das wohl passiert ist? Haben sich die ersten zwei zufällig hintereinander gestellt und danach hat sich keiner mehr getraut, aus der Reihe zu tanzen?

      Bloß keine Miene verziehen!

      In einer Stadt, die so groß ist wie London, gibt es schon mal Dinge – oder Leute – zu sehen, über die man sich wundern möchte.

       Leute in Plateauschuhen mit 20 cm dicken Sohlen;

       Leute mit kniehohen Stiefeln, die rundherum mit Stacheln bestückt sind;

       Damen angetan in echten 40er-Jahre-Kleidern, Haar und Make-up so perfekt wie Dita von Teese;

       Herren, deren vordere Kopfhälfte rasiert ist, während die Haare der hinteren Hemisphäre in einen dicken schwarzen Zopf geflochten sind;

       Leute, mit so vielen Piercings, dass man das Originalgesicht nur noch erahnen kann;

       fette Mädchen in Miniröcken und bauchfreien Oberteilen;

       Filmaufnahmen;

       ein