Melanie Ryan

Unter Briten


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an etwas anderer Stelle und vom Pärchen dann nur noch sie. Er muss irgendwo abbiegen – immer mit Abschiedsküsschen.

      Mein Weg vom Bahnhof ins Büro ist laut „walkit.com“ 1,2 km lang. Diese 1,2 km müssen so schnell wie möglich zurückgelegt werden. Bürohosen haben die richtige Länge für hohe Absätze, schleifen also mit Turnschuhen auf dem Boden und saugen die Pfützen auf. Bleistiftröcke erlauben nur eingeschränktes Ausschreiten und damit reduzierte Geschwindigkeit. Um ausreichend Fahrt aufnehmen zu können, tragen wir mitunter solche Kleidungsstücke in Tasche oder Rucksack bei uns und bewältigen die Strecke in Jeans.

      Auf dem Bürgersteig rennt man dann auf einer Seite in eine Richtung und auf der anderen Seite in die andere. Ich kann nicht sagen, rechts so und links so, denn die Verteilung ist willkürlich. Die Mehrheit bestimmt die Richtung. Wenn’s regnet und wir Schirme tragen, ist es besonders spannend. Lahme, Alte, Dicke und Touristen werden unterwegs gnadenlos aus dem Weg geschubst, so dass die Straßen und Bürgersteige der City von hunderten gestrandeter Mitglieder dieser Minderheiten gesäumt sind. Morgens sind es hauptsächlich Lahme und Dicke. Alte und Touristen wagen sich erst später auf die Straße, werden aber dann meistens doch noch von der abendlichen Rush Hour erwischt.

      Touristen schaffen wir oft auf besonders geschickte Art und Weise aus dem Weg: Sie sind leicht zu identifizieren, denn sie treten meist paarweise auf und blockieren den Bürgersteig auf der ganzen Breite (zwei Personen plus mindestens zwei Trolleykoffer), einer guckt auf den Stadtplan, der andere hat den Kopf im Nacken und sucht ein Straßenschild. Ein Londoner Arbeitnehmer opfert sich, bleibt stehen und fragt:

      „Haben Sie sich verlaufen?“

      „Ja, also, wir wollen zu unserem Hotel. Das ist beim Tower.“

      „Das liegt auf meinem Heimweg. Folgen Sie mir.“

      Und – wusch! – schon ist die Bürgersteigblockade aufgehoben, denn die Touristen flitzen mit flatternden Hemdsärmeln den Gehweg entlang, die Trolleykoffer heben ab und hopsen hinterdrein. Die übrigen Londoner können jetzt ungestört ihrem Ziel entgegen eilen. Wenn die Touristen nach Hause kommen, berichten sie, wie freundlich die Londoner sind. Die zeigen einem sogar persönlich den Weg.

      Rot – na und?

      Rote Ampeln scheinen in Großbritannien nur für Auto- und Motorradfahrer bindend zu sein. Fußgänger und Radfahrer machen, was sie wollen. Fußgänger überqueren die Straße auch rot. Man nennt das „jaywalking“, und das ist ganz normal. In London wälzen sich stets ganze Menschenmassen über rote Fußgängerampeln. Ob da Kinder stehen oder nicht, ist unerheblich. Nicht nur kümmern sich Fußgänger nicht darum, ob Kinder sehen, wie Erwachsene bei Rot die Straße überqueren, nein, sogar Eltern gehen mit ihren Kleinen bei Rot.

      Vor Jahren, als ich noch in Deutschland wohnte, hatte ich einen englischen Freund zu Besuch. Wir kamen spätabends zu einer roten Fußgängerampel und blieben stehen. Die Straße war leergefegt und die Bürgersteige bereits weitestgehend hochgeklappt. Als wir da so standen, fragte er: „Willst du warten, bis ein Auto kommt?“ Für ihn war es unvorstellbar, an einer Straße zu warten, auf der kein Auto fährt, während ich einfach bei rot ganz automatisch stehen geblieben war.

      Hier hingegen wird man als Verkehrshindernis betrachtet und links und rechts angerempelt, wenn man an roten Fußgängerampeln stehen bleibt. Ich habe mich also bis zu einem gewissen Maße angepasst und auch ich überquere jetzt Einbahnstraßen oder solche mit Verkehrsinseln, auf die man sich zur Not retten kann, gelegentlich bei rot. Andere sind da abgebrühter und schrecken nicht davor zurück, sich während der Rush Hour über vierspurige Verkehrsadern (ohne Insel) zu kämpfen. Das ist wirklich nicht ganz ungefährlich, und es besteht eine realistische Chance, von einem Londoner Wahrzeichen plattgefahren zu werden. Die Fahrer roter Doppeldeckerbusse und schwarzer Taxen kennen kein Pardon und halten drauf, und man kann es ihnen fast nicht verdenken. Wenn die bei jedem Fußgänger, der ihnen in den Weg rennt, bremsen wollten, kämen sie niemals pünktlich ans Ziel (obwohl, wenn ich so drüber nachdenke, kommen Londoner Busse sowieso nie pünktlich …).

      Wozu jedoch diese Eile? Ganz besonders morgens fehlt mir das Verständnis für Jaywalker: Setzen die ihr Leben aufs Spiel, um früher im Büro anzukommen? Abends ist das vielleicht etwas anderes, denn da geht es darum, den Zug nach Hause zu erwischen. Da ist jede Minute kostbar. Trotzdem: Ich schätze, dass die Ampeln auf meinem ca. zwanzigminütigen Fußweg mich nur um maximal 30 Sekunden entschleunigen. Aber natürlich kann man einen Zug auch wegen nur 10 Sekunden verpassen. In meinem Fall wäre das nicht so furchtbar schlimm, denn in 10 Minuten fährt der nächste. Sicherlich gilt das für Züge woandershin auch, denn der Personennahverkehr um London herum ist viel besser als sein Ruf. Besser, 10 Minuten später zu fahren, als sich von einem schwarzen Taxi abknibbeln zu lassen. Das würde einen möglicherweise noch wesentlich mehr verspäten.

      Während Taxifahrer Fußgänger hassen, ärgern diese sich schwarz über Radfahrer. Selbst die Feiglinge oder Ausländer unter den Fußgängern, die auf Grün warten, können sich darauf verlassen, dass der Straßenverkehr inklusive Bussen und Taxen vor der roten Ampel stehen bleibt. Man tritt also arglos vom Bürgersteig auf die Straße und erleidet fast einen Herzinfarkt, weil einem ein Radfahrer mit 50 Sachen beinahe die Nase oder sonstige hervorragende Körperteile abfährt. Wie oft habe ich mich deshalb schon nach Luft ringend im Rinnstein wieder gefunden?

      Laut Highway Code darf man in Großbritannien alle Straßen außer Autobahnen zu Fuß überqueren. Das gilt also auch für vierspurige Schnellstraßen mit „baulicher Trennung“, also einer Leitplanke in der Mitte. An der A127 (Geschwindigkeitsbegrenzung 70 Meilen, ca. 110 km/h) zwischen Southend-on-Sea und Rayleigh steht ein Schild, das vor straßenüberquerenden Fußgängern warnt. Ich frage mich immer, wo diese Lebensmüden wohl herkommen sollen. Denn rechts und links ist Wald, in der Mitte nicht nur eine Leitplanke, sondern ein Zaun! Durchschneidet die A127 einen beliebten Wanderweg? Müssen Spaziergänger unbedingt über diese Straße? So unbedingt, dass sie sogar den Zaun in der Mitte überklettern – vorausgesetzt, sie kommen überhaupt so weit?

      Noch besser war ein Schild, das dort früher einmal an dieser Straße stand: „Vorsicht, Dachse!“ Dachse! Das ist jetzt weg. Wahrscheinlich seit der letzte Dachs irgendwann doch überfahren worden ist. Vielleicht kamen die Dachse auch so schlecht über den Zaun. Schade.

      The Knowledge

      Jemand hat sich die Mühe gemacht, die Taxifahrer der Welt zu vergleichen. Gewonnen haben die Londoner Taxifahrer, immerhin in den Rubriken Freundlichkeit, Fahrkunst und Ortskundigkeit. Im Bereich „Preis-Leistung“ haben sie allerdings verloren. Sie sind die Teuersten. Tja, aber Qualität hat eben ihren Preis.

      Zunächst einmal muss man sagen, dass in London Taxi nicht gleich Taxi ist. Es gibt „Black Cabs“ und „Minicabs“. Minicabs sind ganz normale Autos, beliebige Modelle, und es steht nicht einmal „Taxi“ drauf. Ja, sie haben nicht einmal eine „Uhr“. Man vereinbart den Preis, bevor man die Fahrt antritt. Das sollte man nicht vergessen, sonst mag man sich am Ende wundern. Dafür lassen Minicabfahrer oft aber auch mit sich handeln.

      Man kann sie entweder bei den Minicab-Firmen buchen – telefonisch oder persönlich – oder einfach auf der Straße in eines einsteigen: Besonders an Flughäfen oder in der Stadt an Wochenendabenden wird man oft von Minicabfahrern angesprochen, ob man ein Taxi braucht. Das heißt, möglicherweise sind das Minicabfahrer, vielleicht aber auch Vergewaltiger. Die Polizei warnt immer wieder davor, sich auf der Straße ein Minicab zu nehmen: Der Fahrer könnte sonst wer sein! Als Fahrgast könnt ihr dabei nicht einmal sicher sein, dass er einen Führerschein hat oder versichert ist und sich in der Gegend auskennt, geschweige denn ob er es nicht auf eure Brieftasche oder eure Unschuld abgesehen hat.

      Trotzdem: Minicabs werden häufig benutzt, denn sie sind wesentlich billiger als Black Cabs. Will man sich nämlich in aller Herrgottsfrühe zum Flughafen fahren lassen – was ja oft weit ist – kostet die Taxifahrt im Black Cab schnell mal mehr als das Flugticket. Wenn man Minicabs durch die Minicabfirma bucht ist man