Melanie Ryan

Unter Briten


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auskennen. Ich habe schon oft das Bedürfnis gehabt, einem Minicabfahrer zu helfen, sowohl beim Fahren, als auch beim Orientieren.

      Black Cabs sind die, die gewonnen haben, die, die ihr kennt: Die großen, schwarzen Vehikel, deren Türscharniere rückwärtig angebracht sind, und in deren großem Innenraum Platz für fünf Fahrgäste ist. Dafür gibt es keinen Beifahrersitz. Die Taxis, die Touristen gern fotografieren, die man auf Postkarten sieht und die man als Kühlschrankmagnet kaufen kann, das sind die Sieger im internationalen Taxivergleich. Völlig zu recht!

      Black-Cab-Fahrer werden ist keine Kleinigkeit, denn der Londoner Taxifahrer braucht ... The Knowledge! Das heißt, er muss 320 Routen in einem Sechs-Meilen-Radius um Charing Cross herum auswendig kennen, einschließlich aller auf diesen Routen liegenden Sehenswürdigkeiten, Krankenhäuser, Hotels, Kneipen, Theater, Behörden ... wo der Fahrgast halt so hin wollen mag. Nur vom Stadtplan lesen lernen reicht nicht, denn bei der Prüfung wird auch nach „besonderen Merkmalen“ auf der Strecke gefragt: Wie die Gebäude aussehen, zum Beispiel, oder welches Musical gerade im Apollo-Theater läuft. Wer „The Knowledge“ (das heißt wirklich so) lernt, fährt meist mit einem Motorroller herum, um sich alles einzuprägen: Schneller als mit dem Fahrrad, langsamer als ein Motorrad, damit auch Zeit zum Gucken bleibt. Für „Gesamtlondon“ dauert es drei bis vier Jahre, bis man prüfungsreif ist. Für die Vorstadt reichen ca. zwei Jahre.

      Außer der Taxilizenz bekommt der Fahrer mehr Gehirnzellen, denn das ist eine Nebenwirkung der Knowledge (hat das Wellcome Department of Imaging Neuroscience herausgefunden).

      Black-Cab-Fahrer sind wirklich freundlich, häufig auch sehr witzig, dabei haben sie es sicher nicht leicht. Einer zeigte mir einmal eine Narbe an seinem Hals, wo ihn ein Fahrgast mit dem Messer angegriffen hatte. Seither fuhr er keine Nachtschicht mehr, obwohl auch das keine Garantie für Sicherheit ist. Wahrscheinlich könnte jeder Londoner Taxifahrer ein Buch schreiben, wenn er bloß Zeit dafür hätte.

      Selbstverständlich haben alle Black-Cab-Fahrer eine Lizenz und einen Führerschein, und man kann getrost überall eines Heranwinken und einsteigen. Black Cabs sind sicher – zumindest für den Fahrgast. Das Black Cab hat auch eine Uhr, auf dem man der Kostenentwicklung folgen kann, vorausgesetzt man kann so schnell gucken, wie darauf die Zahlen trillern, denn billig sind sie wirklich nicht, deshalb eignen sie sich nur für relativ kurze Strecken.

      Und der Name täuscht: Black Cabs sind nicht einmal mehr unbedingt schwarz. Es gibt sie auch in weinrot und silber, oder jeder beliebigen Farbe, wenn sie Werbeträger sind. Die meisten Fahrer sind Männer, aber eine der wenigen Frauen der Zunft erkennt man immer schon von weitem: Ihr Taxi ist rosa!

      Der lange Weg zur Arbeit

      Hin und wieder erleben Londoner wieder einen dieser Alpträume (von denen, das muss man ja sagen, es in den letzten Jahren nicht mehr so viele gibt wie früher einmal): U-Bahn-Streik!

      Noch vor neun, zehn Jahren gab es ständig Streiks. Londoner beschweren sich gern und viel über ihre „Tube”: unzuverlässig, zu heiß, zu voll, zu teuer, zu langsam, zu schmutzig. Aber wenn sie einmal nicht fährt, vermisst man sie ja dann doch ein bisschen.

      Früher streikte die RMT (Rail, Maritime and Transport Union) meist 24 Stunden, von Mitternacht bis Mitternacht. Seit ein paar Jahren sind die Streiks 48 Stunden lang und beginnen und enden um 19:00 Uhr, so dass man nicht nur zwei, sondern gleich drei Tage lang etwas davon hat. Nach Streikende dauert es noch ewig, bis sich die Lage normalisiert, und beginnt ein Streik am Dienstag, kann man erst am Freitagmorgen wieder mit dem ganz normalen Chaos rechnen.

      Manchmal – wenn auch selten – streikt nur eine einzige Linie. Vor einigen Jahren wurde die Victoria Line bestreikt, weil ein Fahrer entlassen worden war. Er hatte langzeitkrankgefeiert und die freie Zeit genutzt, seinen Körper im Fitness-Studio zu stählen. Der Arbeitgeber fand, dass er so krank dann ja nicht sein kann und hatte ihn gefeuert. Das fanden die Kollegen wieder blöd und riefen zum Streik auf.

      Was macht also der Londoner ohne U-Bahn?

      Autofahren? Wohl kaum. Londoner Straßen sind voll genug, auch ohne die zusätzlichen Autos verhinderter U-Bahn-Pendler. Selbst wenn man trotz Schritttempo endlich bei der Arbeit ankommt: Wo soll man das Auto lassen? Parkplätze sind knapp und teuer.

      Bus- und Zugfahren? Auf jeden Fall! Natürlich sind Busse und Züge auch sonst jeden Morgen rappelvoll, aber am Streiktag sind sie noch voller. Eng aneinander geschmiegt wurden die Pendler durch die Stadt geschüttelt. Genau das richtige für einen warmen Frühsommermorgen. Noch muckeliger wird es nach Feierabend.

      Radfahren? Oh ja. Mir fielen im Zug mehr Fahrräder auf als sonst, und der Bürgermeister organisierte „geführte Fahrradtouren“. Das klingt wie Sightseeing-Touren, bedeutet aber, dass Pendler zur Arbeit eskortiert werden. Wieso müssen die eskortiert werden? Weil sie sonst unter Umständen den Weg nicht finden. Wer immer nur U-Bahn fährt, weiß überirdisch nicht unbedingt wo es langgeht. Aber wie muss man sich so eine Fahrradgemeinschaft vorstellen? Sammeln sich da jeweils 20, 30 Radfahrer vor dem Bahnhof Euston und nehmen Aufstellung, hinter dem Typen mit dem neongelben Fahrradhelm, auf dem ein Fähnchen mit der Aufschrift „Liverpool Street“ steckt? Fahren sie im Pulk oder im Konvoi, einer schön hinter dem anderen? Wahrscheinlich Konvoi, denn ein Pulk steckt ja sicher genauso im Stau fest wie ein Auto oder Bus. Ich weiß es nicht, denn ich war nicht dabei.

      Taxi? Normalerweise ziemlich teuer, aber an Streiktagen gibt es Sonderpreise und Sammeltaxis zwischen den großen Bahnhöfen.

      Boote? Ein Themseboot ist für viele Pendler Teil der täglichen Reise zur Arbeit. Kein Scherz: Man kann in London per Schiff zur Arbeit fahren. An normalen Tagen betragen die Kapazitäten 1.500 Personen pro Stunde. Während U-Bahn-Streiks werden diese auf 8.000 erhöht. Da wird man fast ein bisschen neidisch. Ich hätte nichts dagegen, morgens dem Büro entgegen zu plätschern.

      Zu Fuß gehen? Wie beim Radfahren geht es denen, die noch nicht lange hier sind so, dass sie gar nicht wissen, wo es langgeht. Aber selbst wenn: Da London einen Durchmesser von circa 40 km hat, kann sich der Weg zur Arbeit ganz schön hinziehen. Dennoch: Streikt die U-Bahn sind noch mehr Leute in bequemen Schuhen unterwegs als sonst. Auf den eigentlich immer gut gefüllten Bürgersteigen wälzen sich Menschenmassen, die sich irgendwie in zwei Spuren arrangieren. Man muss sich in der richtigen Richtung einreihen und wird dann von der Menschenmenge mitgerissen. Beim letzten Streik stieg ein Mann aus meinem Zug, der seinen Tretroller mitgebracht hatte. Das ist zwar praktisch, aber fahren musste er sicher auf der Straße, denn auf dem Bürgersteig ist kein Platz.

      Zu Hause bleiben? Wer kann, der tut das. U-Bahn-Streiks sind kein Vergnügen und man altert in 48 Stunden um circa 48 Jahre. Viele können sich ja schließlich über Internet im Büro einloggen und fast genauso arbeiten, als wären sie da. Wer das nicht kann, mag eventuell Urlaub nehmen. Es ist furchtbar ärgerlich, wertvollen Urlaub verschwenden zu müssen, aber zu Hause die Füße hochlegen ist um Längen besser als sich in den verbleibenden Verkehrsmitteln die Frisur ruinieren zu lassen.

      Es sind Tage wie dieser an dem wir die Tube wieder schätzen und lieben lernen, mit all ihren Unzulänglichkeiten.

      Das kleinere Übel

      London ist umgeben von einer Ringautobahn, der M25 oder auch „London Orbital”. Das deutsche Wort für „Orbit” ist – wenn mich meine Erinnerung an den Chemieunterricht nicht täuscht – „Aufenthaltswahrscheinlichkeitsbereich” und in der Tat halten sich während der Stoßzeiten morgens und abends die meisten im Südosten Englands angemeldeten Autos mit größter Wahrscheinlichkeit in diesem Bereich auf.

      Über kaum eine Autobahn in England wird so viel gemeckert und gestöhnt wie die M25. Sie zerstörte viele Quadratkilometer reizender Natur, sieht selbst nicht schön aus und ist ein Quell nicht enden wollenden Frusts für ihre Benutzer. Die Autobahn ist berühmt-berüchtigt für ihre kilometerlangen Staus und die Vielzahl von Unfällen. Jeden Morgen befassen sich die Verkehrsdurchsagen