Melanie Ryan

Unter Briten


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gebunden, die wie Mickey-Mouse-Ohren vom Kopf abstehen, die Bäumchen pink gefärbt – aber nur die Bäumchen, nicht der ganze Kopf – die in Pantoffeln in der Postamtschlange steht;

       ein dicker Elvis, im weißen Anzug mit Schlaghose und Riesensonnenbrille in der U-Bahn;

       Seifenopernstars an der Supermarktkasse;

       Kate Winslet

       ...

      Aber, egal was passiert und wen und was es zu sehen gibt: Londoner glotzen nicht und Londoner wundern sich nicht. Das hat manchmal damit zu tun, dass man sich keinen Ärger einhandeln will („Was glotzt du so? Willst du eine rein haben?“). Aber der Hauptgrund ist ein anderer: Londoner müssen vorgeben, dass sie nichts mehr überrascht, es nichts gibt, was sie nicht schon mal gesehen haben. Ein Mann mit zwei Köpfen? Gähn … Wer starrt, kichert, am Ende noch seine Begleiter anstupst oder gar mit dem Finger auf jemanden zeigt ist ganz klar Tourist oder Provinzler oder beides. Londoner bleiben cool und desinteressiert. Wenn mein Gegenüber meint, mit siebzig noch im metallic-glänzenden Gymnastikanzug im ÖPNV unterwegs sein zu wollen, dann steht ihr das frei.

      Falls diese Leute in auffälligem Aufzug („auffällig“ nur anderswo, versteht sich!) beabsichtigen, Aufmerksamkeit zu erregen und Blicke auf sich zu ziehen: Tough! Dann müssen sie sich woanders zeigen. Slough oder so. Londoner würden keine Miene verziehen, wenn ein paar kleine, grüne Männchen in die U-Bahn stiegen.

      Und doch … eigentlich platzen sie vor Neugierde. Wie gern würden sie sich den Hals verrenken oder die Augen aus dem Kopf fallen lassen, wenn es nicht der Contenance des Londoners entgegenstünde. So sitzt man halt mit unbewegtem Gesicht in der U-Bahn und versucht, durch den langen Pony oder über den Rand der Zeitung hinweg einen Blick auf den Sonderbaren zu werfen. Kommt einem jemand Sehenswertes entgegen oder spielt sich etwas Begaffenswürdiges auf dem Bürgersteig ab, geht man langsamer, denn Stehenbleiben oder Umdrehen ist ja nicht drin. Man kann nur so lange gucken, wie man dies als normales Verhalten tarnen kann.

      Dass Londoner trotzdem glotzen und das Gesehene registrieren, merkt man dann im Büro oder im Pub, wenn sie davon erzählen: „Du glaubst nicht, was heute für ein Typ in der U-Bahn saß …“ Das ist absolut legitim. Nur in der Öffentlichkeit, gegenüber Fremden muss man so tun, als könne einen nichts Erschüttern. Nur so geht man als abgebrühter Londoner durch. Cool!

      Blähbäuche und Flatulenzen

      Vor Jahren hatte ich ein kleines Büchlein mit dem Titel „Xenophobes Guide to the Germans” („Des Fremdenhassers Wegweiser zu den Deutschen” – gibt’s für alle möglichen Nationalitäten, also kein Grund zur Panik) und da stand (unter anderem) drin, dass Deutsche immer Kreislaufbeschwerden haben, ein Leiden, das in Großbritannien unbekannt ist. Und wisst ihr was? Das stimmt.

      Für Kreislaufbeschwerden gibt es hier nicht einmal ein Wort – oder jedenfalls nicht dasselbe. Wenn ich über „circulation problems“ klagen würde, würde mein britisches Gegenüber vermuten, ich hätte kalte Hände oder vielleicht eingeschlafene Füße. In Wirklichkeit handelt es sich ja um niedrigen oder plötzlich absinkenden Blutdruck. Das muss bei Briten wohl auch mal vorkommen, aber sie machen darum kein Trara. Ich habe auch noch nie gehört, dass jemandem der Genuss eines Glases Sekt empfohlen wurde, um den Kreislauf auf Trab zu bringen („to get your circulation moving“), denn in britischen Augen ist man bereits tot, wenn es notwendig werden sollte, den Kreislauf in Schwung zu bringen. Da wäre es eine Schande, auf den Patienten noch Sekt zu verschwenden.

      Was man auf Deutsch gemeinhin als „Herz-Kreislauf-Erkrankung“ bezeichnet, heißt auf Englisch „cardio-vascular disease“ (wörtlich: Herz-Gefäß-Erkrankung). Auch hier kommt der Kreislauf gar nicht vor.

      Stattdessen leiden Briten unter Verdauungsbeschwerden. Das ist ein weites Feld und bietet im Grunde eigentlich einen wesentlich abwechslungsreicheren Gesprächsstoff als langweilige Kreislaufbeschwerden, denn die hat man oder hat man nicht, sie variieren nicht sehr, wohingegen Verdauungsstörungen alle möglichen Formen annehmen können.

      Sehr verbreitet ist zum Beispiel „bloating“. Hier gibt es meiner Meinung nach wieder kein zufriedenstellendes deutsches Pendant. „To bloat“ heißt „blähen“. Mein Wörterbuch übersetzt bloating als „Blähungen“, aber das ist es nicht. Das wäre „flatulence“.

      Bloating ist ein „Blähbauch“. Ein Bauch, der dick, ja, manchmal sogar schwanger erscheint, aufgrund von Gasen, die sich im Verdauungstrakt ansammeln. Ich weiß, das klingt wie Blähungen, aber wenn dann sind es solche, die sich nicht durch Windentweichen erledigen.

      Wie gesagt ist das ein verbreitetes Leiden, aber vornehmlich unter Frauen. In einer Werbung für Joghurt mit Lebendkulturen sitzen vier oder fünf Frauen gemütlich zusammen und unterhalten sich über ihre Blähbäuche. Halt so eine Situation, wie wir sie alle kennen. Diese Probleme lässt dieser Joghurt natürlich verschwinden. In Deutschland „bringt [derselbe Joghurt] die Verdauung in Schwung“ – scheint also mehr gegen Verstopfung zu helfen.

      Männer hingegen werden eher von flatulence heimgesucht, was natürlich ein sehr eng verwandtes Leiden ist, nur männlicher. Ich glaube, ein Mann, der sich über bloating beklagen würde, würde schräg angesehen.

      Während Verdauungsbeschwerden wie diese in der Tat gelegentlich Gesprächsthema sind, so beschränken sich solche Unterhaltungen in der Regel auf Gesprächspartner vom selben Geschlecht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Dame in gemischter Runde bei einer Dinnerparty ihren Blähbauch vorzeigen oder ein Herr seine Flatulenz vorführen würde. Kreislaufbeschwerden sind da ja viel salonfähiger – und Sekt ist auch oft in greifbarer Nähe.

      Allein in der Seifenblase

      Engländer haben den Ruf, sehr reserviert zu sein. Lernt man sie auf einer Party kennen, kann man froh sein, wenn sie einem verraten, wie sie heißen. Was einer beruflich macht, ob er verheiratet ist oder Kinder hat, kommt nach stundenlangem Gespräch vielleicht einmal heraus. Aber gib ihnen ein Händi und schon erfährst du mehr als du jemals wissen wolltest.

      Den Händi-Gesprächen anderer im Zug zuzuhören ist eines meiner Lieblingsärgernisse. Lauthals erzählt da eine Frau, dass sie herausgefunden hat, dass ihr Mann ihr seit Jahren fremdgeht, der perverse alte Sack. Die Scheidung wird teuer, der kann sich auf was gefasst machen. Für die Neuzugestiegenen erzählt sie das alles auch gern noch mal, denn sie hat mindestens fünf Freundinnen, denen sie dieselbe Geschichte erzählen muss.

      Ebenso viele – wenn nicht mehr – Freunde und Bekannte hatte die Frau, deren Tochter demnächst in einer dieser vormittäglichen Talkshows auftritt. Sie ruft jeden an, den sie kennt, damit es bloß keiner verpasst. Dabei kann das ja eigentlich nur peinlich werden.

      Eine verhandelt beim Aussteigen mit einem Handwerker. Ob er morgen vielleicht vorbeikommen könnte und den Zaun reparieren. Sie sei zwar den ganzen Tag nicht da, aber sie würde das Bargeld in einem Umschlag unter ihrer Mülltonne verstecken. Hallo? Verstecken? Wenn sie das hier so am Händi durch die Gegend schreit, kann sie den Umschlag auch mit der Aufschrift „Bargeld“ an die Tonne kleben.

      Engländer sollen auch sehr bescheiden sein und zu Understatement neigen. Und doch brüllt ein Typ durch den Wagen, dass er nächste Woche ein Vorsprechen (–singen? –führen?) beim Royal Opera House hat. Eine Kampfszene. Da hat er die besten Chancen, denn schließlich hat er „Kämpfen“ als Fach auf der Schauspielschule belegt und hat das richtig gelernt. So einen wie ihn haben die da sicher noch nicht, und die anderen Aspiranten können ja gar nicht so gut sein wie er! Den Vertrag hat er im Sack.

      Außerdem sind Engländer höflich. Dafür sind sie bekannt, darauf sind sie stolz. Bittet ein Mitreisender im Zug, einen dieser Händibrüller, etwas leiser zu reden oder gar, das Gespräch zu beenden, weil wir hier nämlich zufällig im „Stillen Wagen“ (Das ist jeder vierte Wagen: Bitte keine Händis, MP3-Player und laute Unterhaltungen.) sitzen kommt – englisch höflich:

      „Ich kann selber lesen.“