Francisco J. Jacob

TOD IN DER HÖHLE


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aus und bereits nach kurzer Zeit standen wir in der ersten Schlange, vor der Passkontrolle. Vor uns stand eine kleine, ganz in Schwarz gekleidete, in etwa siebzig Jahre alte Frau, die zitternd ihre Dokumente in der Hand hielt. Hellen und ich waren im Gespräch vertieft, als jemand laut durch die Halle schrie.

      »¡Alto!« (Halt!)

      Überrascht drehten wir uns alle in die Richtung, aus der die Stimme kam. Zwei Polizisten der Guardia Civil, der spanischen paramilitärischen Polizei, verfolgten einen Mann mit einen Rucksack in der Hand. Sie rannten quer durch das Gebäude.

      »Stehenbleiben!«, schrie erbost einer der Beamten wiederholt.

      Am Ende der Halle kamen zwei weitere Polizisten dazu. So wurde der Flüchtende gestellt. Einer der Beamten keuchte fürchterlich und fluchte laut, bevor er den Delinquenten abführte.

      Die alte Dame vor uns drehte sich prompt um und sagte nervös zu uns:

      »Seguramente es uno de la ETA«, und meinte, dass es sicher einer von der ETA sei, der baskischen Untergrundorganisation.

      Hellen sah mich verwundert an.

      »Glauben Sie wirklich?«, fragte sie die alte Dame.

      Die kleine Frau stampfte mit einem Fuß energisch auf den Boden.

      »¡Naturalmente!«, sagte sie aus voller Überzeugung.

      »Passiert das oft hier?«, fragte ich.

      »Síííí«, erwiderte sie mit einem lang andauernden Kopfnicken und einer schrecklich ernsten Mimik.

      Dann drehte sie sich prompt wieder um.

      »Das fängt ja gut an!«, flüsterte Hellen leise mir zu.

      »Hast du Fotos geschossen?«, fragte ich sie.

      »Nein! Das ging alles so schnell«, sagte sie enttäuscht.

      »Schade.«

      Die Warteschlange setzte sich langsam wieder in Bewegung. Als die alte Dame vor uns zu einem freigewordenen Schalter der Passkontrolle abbog, sprach uns ein kleiner stämmiger Mann mit Baskenmütze an. Er war sicher über sechzig und hatte ein mit Falten zerfurchtes Gesicht. Mit seiner verschlissenen Cordjacke und weiten Hosen, die enormes Hochwasser aufwiesen, war er recht rustikal gekleidet.

      »¡La vieja está loca!«, sagte er griesgrämig und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe. »Die Alte spinnt! Die ETA gibt´s doch gar nicht mehr«.

      »Wirklich?«, fragte ich.

      »¡Naturalmente! Das war ganz bestimmt nur ein kleiner Taschendieb. Machen Sie sich da keine Sorgen.« Sagte er und winkte ab.

      »Und der Rucksack?«, wollte ich wissen.

      »Was ist mit dem Rucksack? Glauben Sie, da war ’ne Bombe drin?«

      »Wieso nicht?«, fragte ihn Hellen beunruhigt.

      Er sah sie mit seinen großen braunen Augen an, die unter den buschigen Augenbrauen hervortraten.

      »’Ne Bombe kann man ja auch in eine Handtasche stecken«, sagte er aufgeregt und zeigte auf die Ihre.

      Hellen und ich sahen uns an und verstanden seine Logik.

      »Lass uns weitergehen«, sagte ich und zog sie an der Hand zum frei gewordenen Schalter der Passkontrolle.

      Ein äußerst eitel aussehender Beamter mit Oberlippenbärtchen erwartete uns. Sitzend stützte er beide Ellbogen auf den Tisch ab und hielt einen Bleistift waagerecht zwischen beiden Händen. Den drehte er mit den Fingern einmal linksherum und einmal rechtsherum.

      »Hast du gesehen, wie arrogant mich dieser Mensch bemustert hat?«, sagte ich missgelaunt zu Hellen, nachdem wir die Passkontrolle hinter uns gelassen hatten.

      »Du weißt, wie ich dieses Autoritätsgetue hasse!«

      »Hast du ihm das eventuell gezeigt?«

      »Ja, schon möglich!«, entgegnete ich verärgert. »Wieso fragt er mich, ob ich in Gijón geboren bin? Das steht doch in meinem Pass!«

      »Er hat bestimmt nicht verstanden, dass du in Spanien geboren bist, wie ein Spanier sprichst, wie ein Spanier wirkst und trotzdem einen deutschen Pass hast - und auch noch besser aussiehst als er.«

      Hellen lächelte mich an und ich wusste sofort, dass meine Verärgerung völlig unnötig gewesen war.

      Als Nächstes standen wir in der Schlange der Leihwagenfirma, die zum Glück nicht allzu lang war.

      »Was für ein Auto wollen Sie?«, fragte uns der Herr am Schalter mit tiefer Stimme.

      Der Mann war um die vierzig, hatte einen kahl rasierten Kopf und die Statur eines Wrestlers. Seine Anzugjacke spannte gehörig um den Bauch. Außerdem schwitzte er beträchtlich und atmete schwer.

      »Am besten einen wie ich ihn reserviert habe«, antwortete ich respektvoll.

      Ich zeigte zugleich auf die Dokumente, die ich ihm auf den Tresen gelegt hatte. Er las träge und führte seinen Zeigefinger langsam über die Zeilen. Der Schmutz unter dem Fingernagel kam dabei zur Geltung.

      »¡No!«, sagte er kopfschüttelnd. »So ein Auto haben wir nicht mehr!«

      »Was bieten Sie uns dann an?«

      »Was wollen Sie haben?«, fragte er schwerfällig zurück.

      Ich schaute Hellen an und dachte, warum solch ein einfältiger Mensch hinter dem Counter einer Leihwagenfirma stehen konnte, an dem täglich beschäftigte Leute ihre Fahrzeuge abholten und mit Sicherheit keine Zeit hatten, mit ihm Auto-Quartett zu spielen. Er mochte gewiss die Fahrzeuge hin- und herfahren oder sie volltanken. Er konnte mit Sicherheit auch einen Wagen mit leerem Tank allein an die Tankstelle schieben, aber hinter einem Counter war er definitiv fehl am Platz.

      Die Antwort auf meine Fragen kam sogleich sprichwörtlich durch die Tür geschwebt. Sie war um die dreißig, schlank und sehr sympathisch. Sie trug eines dieser figurbetonten roten Kostüme, wie sie von Stewardessen getragen werden, mit einem kleinen Namensschild auf Höhe der linken Brust. Sie hieß Tamara. Sie sprach kurz mit ihrem Kollegen oder was auch immer dieser Bursche war, dann übernahm sie die Papiere.

      »¡Buenos días!«, sagte sie mit charmanter Stimme. »Das Auto, das Sie gebucht haben, haben wir leider nicht mehr. Auch nichts anderes in der Klasse. Darf ich Ihnen ein Upgrade anbieten?«

      Da ich von ihrem Anblick entzückt war, brauchte ich etwas Zeit zum Reagieren.

      »Ja, natürlich!«, antwortete Hellen spontan, da sie meine Reaktion, besser gesagt, meine Untätigkeit bemerkt hatte.

      »Selbstverständlich tragen wir die Mehrkosten«, ergänzte Tamara charmant.

      »Ja …, welchen Wagen können Sie uns anbieten?«, fragte ich dann engagiert und lächelte Hellen zu.

      »Wir haben einen BMW 535i Automatik mit Navigation oder einen …«

      »Das ist sehr entgegenkommend von Ihnen, den nehmen wir«, unterbrach ich sie und dachte sofort an den 6-Zylinder Turbo Motor mit circa dreihundert PS.

      Draußen brütete die Septemberhitze. Ich setzte meinen Panamahut auf. Wir gingen mit unserem Gepäck zur Fahrzeugabholung auf den großen Parkplatz. Da er nur teilweise überdacht war, suchten wir schnell Schutz vor der heißen Sonne.

      »Die junge Dame hat aber großen Eindruck auf dich gemacht«, sagte Hellen grinsend.

      »Was meinst du?«, mimte ich den Ahnungslosen.

      Ich wusste, dass sie früher oder später eine derartige Bemerkung fallen lassen würde. Wir kannten uns glückliche dreißig Jahre.

      »Ich meine Tamara!«

      »Ach, die Dame am Counter«, sagte ich mit gleichgültiger Mine.

      Liebe Güte! Der Kontrast hinter dem Ladentisch