Francisco J. Jacob

TOD IN DER HÖHLE


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wandte sich zu mir und sah mich gütig an.

      »Ich bin als Kind in Ribadés zur Schule gegangen und nun suche ich nach ehemaligen Mitschülern.«

      Er begrüßte uns ebenfalls mit einer leichten Verbeugung und brachte die Hände wieder in Gebetshaltung.

      »¡Buenos días! Das ist interessant.«

      »Buenos días«, entgegnete ich. »Leider konnte ich bisher keine Auskunft bekommen«, gab ich enttäuscht von mir.

      Er sah zu der alten Dame.

      »Konnte Ihnen Señora Jiménez nicht helfen?«

      »Erinnern Sie sich noch, Hochwürden?«, warf sie schnell und aufgeregt ein. »Der Brand vor sechs Jahren? Da sind viele Akten vernichtet worden.«

      »Ja, das stimmt!«, bestätigte er ruhig. »Hmm, ich bin selbst hier zur Schule gegangen und kenne einige meiner ehemaligen Mitschüler«, ergänzte er nach kurzem Nachdenken. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«

      »Das ist wunderbar«, sagte ich erfreut.

      »Am besten Sie kommen zu mir in die Kirche. Passt Ihnen heute Nachmittag, gegen vier?«

      »Ja, natürlich. Vielen Dank.«

      Das war vortrefflich! In einer kleinen katholischen Stadt wie Ribadés kannte ein Priester mit Sicherheit sehr viele Menschen.

      »¡Hasta luego!«, sagte er und ging die Treppe hinauf.

      »¡Hasta luego!«, wiederholte ich seinen Gruß.

      »Du bist ein Glückspilz«, meinte Hellen zu mir, als wir hinausgingen. »Der Priester kann dir bestimmt weiterhelfen.«

      Ich nickte erfreut und zog sie wortlos an mich.

      Ohne Umwege gingen wir dann ins Café Carmen. Dort angekommen, rochen wir den aromatischen Kaffeeduft und spürten die angenehme Kühle der Klimaanlage. Das Café war mit roten Tischen und Stühlen, sowie großen Pop Art Bildern an den Wänden, sehr modern eingerichtet. Selbst das Geschirr bestand aus rotglänzender Keramik. Im Hintergrund war leise Lounge Musik zu hören, die das angenehme Ambiente untermalte. Beim Blick auf die Kuchenvitrine, ging mir das Herz auf. Sie war gefüllt mit allerlei Pasteles de merengue.

      Wir setzten uns ans Fenster, mit Blick auf die Plaza.

      »Hier ist es aber sehr schick«, sagte Hellen begeistert.

      »Ja, ein wunderbares Ambiente«, pflichtete ich ihr freudig bei.

      Ich winkte der Bedienung zu, die daraufhin Kaugummi kauend und etwas lustlos zu uns kam.

      »¡Hola! Was möchten Sie?«, fragte sie in einem gelangweilten Ton. Sie war ungefähr fünfundzwanzig, spindeldürr und hatte strohige blonde, kurze Haare.

      »¡Hola! Wir hätten gern zwei Kaffee«, erwiderte ich und schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

      »Noch was?«

      »Elsa, du musst netter zu den Gästen sein«, sagte eine elegante, untersetzte Dame mit hochtoupiertem Haar über sechzig, die unverhofft hinter ihr stand.

      »Entschuldigen Sie, aber sie meint es nicht so«, sagte die schick gekleidete Dame freundlich zu uns.

      »Es ist alles in Ordnung«, beruhigte ich sie.

      »Ich heiße Carmen und bin die Besitzerin des Cafés. Sind Sie zu Besuch in Ribadés?«

      Da erkannte ich eine weitere Gelegenheit. In einem Café gingen Leute ein und aus und wegen der sympathischen Art der Dame, musste sie über einen großen Bekanntenkreis verfügen.

      »Ja!«, antwortete ich ohne Umwege. »Sie können uns vielleicht helfen, die Leute zu finden, die wir besuchen möchten.«

      Natürlich verstand sie meine Aussage nicht.

      »¿Cómo?« (Bitte?), fragte sie.

      »Ich erkläre es Ihnen.«

      Und so erzählte ich ihr den Grund unserer Reise nach Ribadés.

      »Sí, comprendo«, sagte sie daraufhin, wenn auch etwas zögerlich.

      »Kennen Sie denn Leute, die vor vierzig Jahren hier zur Schule gegangen sind?«, fragte Hellen sie.

      »Ich kenne jemanden«, mischte sich Elsa vorlaut ein.

      Carmen sah sie mit ernster Mine an.

      »¡Caramba! Zu der Zeit warst du nicht ’mal geboren. Wie willst du da jemanden kennen?«

      »Ich kenne aber jemanden und sein Vater ist aus dieser Gegend«, sagte Elsa und grinste.

      Carmen wurde ungeduldig.

      »¡Pues dínoslo!«, forderte sie sie stürmisch auf, es uns zu sagen.

      »Du kennst doch Ramón.«

      »Welcher Ramón denn?«, fragte sie mit ausgestreckten Armen.

      »Na, Ramón Verono!«

      »Was? Der, von der Modefirma?«

      »Ja, stell dir vor, der!«, sagte Elsa stolz. »Und sein Vater könnte ja auch hier zur Schule gegangen sein.«

      »Unsinn! Wie kommst du überhaupt darauf? (…) Sag‘ mal, hast du was mit Ramón?«, fragte Carmen streng und stemmte ihre Hände in die Hüften.

      »Nein! Was du schon wieder denkst«, entgegnete Elsa empört. »Ramón ist manchmal in Ribadés, um seinen Großvater zu besuchen. Und wenn er hier im Café ist, redet er mit mir.«

      Carmen setzte sich.

      »Stimmt, er ist manchmal hier.«

      »Kommt er regelmäßig her?«, wollte ich wissen.

      »Nein! Ab und zu«, antwortete Elsa.

      »Wann war er das letzte Mal hier?«

      Elsa dachte nach.

      »Ich glaube am Montag.«

      »Können Sie mich bitte anrufen, wenn Ramón Verono das nächste Mal hier ist? Ich würde ihn gern fragen, ob sein Vater hier zur Schule gegangen ist? Ich gebe Ihnen meine Karte mit meiner Mobiltelefonnummer.«

      Nachdem Elsa uns den Kaffee gebracht hatte, genossen wir noch eine Zeit lang die angenehme Atmosphäre und unterhielten uns über das frühere Ribadés.

      »Du hast Glück, das wir Elsa getroffen haben«, sagte Hellen, als wir anschließend über die Plaza bummelten. »Vielleicht ist Ramóns Vater tatsächlich einer deiner ehemaligen Schulfreunde.«

      »Wer weiß?«, erwiderte ich. »Obwohl ich Elsa für etwas redselig halte, könnte sie uns weiterhelfen.«

      Wir setzten uns auf eine Bank. Ich legte meinen Arm um ihre Schulter und dachte erneut an meine Kindheit.

      »Sonntags kam ich immer hierher und las meine Comics. Capitán Trueno hieß der edelmütige Held aus dem Mittelalter, der gegen die Bösen kämpfte und selbstverständlich immer im Namen der Gerechtigkeit siegte. Es ist gut möglich, dass ich die Heftchen auf dieser Bank gelesen habe, auf der wir gerade sitzen.«

      »Das kann ich mir gut vorstellen«, sagte Hellen begeistert. »Ich bin sogar sicher, dass es diese Bank war.«

      Sie holte ihre Kamera aus der Tasche und gab mir ihren Reiseführer in die Hand.

      »Das ist dein Comic-Heftchen und jetzt lies.«

      Hellen machte mehrere gestellte Fotos von mir, wie ich auf der Bank saß und so tat, als würde ich ein Capitán Trueno Comic lesen. Sie hatte oft solch äußerst spontane Ideen.

      »Es ist gleich vier!«, sagte sie, als sie auf ihre Uhr sah. »Wir sollten zur Kirche gehen.«

      »Sicher«, bestätigte ich, noch in Gedanken an meine Kindheit.