Francisco J. Jacob

TOD IN DER HÖHLE


Скачать книгу

von der Plaza, dann gingen wir los. Auf dem Weg durch die engen, schönen Gassen, die mit Wäscheleinen von Balkon zu Balkon bespannt waren, erkannte ich vieles wieder. Ich erzählte Hellen von meinen Erinnerungen. Schließlich bogen wir um eine Hausecke und schauten auf die stattliche Kirche mit zwei hohen Glockentürmen und dem dahinter liegenden Kirchenschiff.

      »Das ist aber eine große Kirche!«, sagte Hellen staunend und schoss sofort Fotos.

      »Nicht wahr?«, erwiderte ich. »Und im Inneren ist sie besonders schön. Die Fresken an der Kuppeldecke sind bewundernswert.«

      Wir gingen durch ein großes Tor in die Kirche und der Geruch von Weihrauch begegnete uns. Hellen war von der inneren Schönheit hingerissen.

      »Wie hell und großzügig es hier drinnen ist. Und die Fresken sind wirklich faszinierend«, bemerkte sie.

      »Das freut mich aber sehr«, sagte der Priester, der uns von der Sakristei aus entgegenkam.

      Er kam gelassen auf uns zu und grüßte uns wieder mit einer leichten Verbeugung, während er seine Hände in Gebetshaltung hielt.

      »Hier habe ich meine erste heilige Kommunion empfangen«, sagte ich stolz und sah mich um, weil ich die gesamte Schönheit erfassen wollte.

      »Das freut mich besonders«, erwiderte er. »Wann genau sind Sie in die hiesige Schule gegangen?«, fragte er mich und sah mich an.

      »Es ist über vierzig Jahre her. Die ersten Klassen hatte ich bei Señor Ramos, so hieß der Klassenlehrer. Mit zwölf Jahren, also genau vor vierzig Jahren, bin ich mit meiner Familie nach Deutschland gezogen.«

      Der Priester zögerte.

      »Aber … bei Señor Ramos war ich doch auch. Und in derselben Zeit. Vor circa vierzig Jahren. Wie heißen Sie?«, fragte er mich erwartungsvoll.

      »Diego Lesemann, und Sie?«

      »Ángel Montés!«

      »Aber sicher«, sagte ich zögernd, »Ich erinnere mich an einen Ángel, der eine Brille trug und etwas untersetzt war.«

      »Das ist richtig! Das bin ich gewesen. Die Brille brauche ich nicht mehr und mein Körperbau hat sich mit meiner Lebensweise verändert. Umgekehrt kann ich mich auch an Sie erinnern. Ja, ich glaube mich an einen Diego mit einem deutschen Nachnamen erinnern zu können. Der Vater war, wenn ich nicht irre, Deutscher.«

      »Richtig.«

      »Ich muss gestehen, dass ich Sie nicht gleich wiedererkannt habe«, sagte er erfreut.

      Er breitete seine Arme aus.

      »Lieber Diego, lass uns duzen, das verringert die Distanz«, dann umarmte er mich wie einen Bruder. »Du musst mir alles über dich erzählen«, sagte er begeistert.

      »Darf ich dir meine Frau Hellen vorstellen?«

      Er sah sie gütig an und nahm ihre Hände.

      »Ich freue mich, Sie kennenzulernen.« Dann schaute er zu mir. »Wenn ich euch beide ansehe, so weiß ich, dass ihr euch gefunden habt.«

      Hellen gefiel diese Aussage ganz besonders.

      »Oh, vielen Dank«, erwiderte sie in einem glücklichen Ton. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

      »Ihr Spanisch ist sehr gut«, lobte er Hellen.

      »Vielen Dank«, gab sie zurück und wurde etwas verlegen.

      »Mir scheint, als hättest du deinen Weg als Priester gefunden«, bemerkte ich.

      »Ja, dem Herrn sei Dank.«

      Während er das sagte, hob er den Kopf, sah nach oben und bekreuzigte sich.

      »Ángel, ich habe noch zwei Schulkameraden in Erinnerung«, führte ich an. »Mateo Rey und Fernando de Vega. Weißt du, ob sie hier wohnen?«

      »Aber sicher«, sagte er erfreut. »Beide haben Ribadés nicht den Rücken gekehrt.«

      »Wirklich? Und was machen sie? Ich meine, sind sie verheiratet, welchen Beruf haben sie?«

      »Mateo ist verheiratet und ist Beamter. Fernando ist ledig und ist Comisario bei der Kriminalpolizei.«

      Bei dem Wort Comisario sahen Hellen und ich uns erstaunt an.

      »Oh, Fernando ist bei der Kriminalpolizei? Interessant! Passiert hier denn viel?«

      »Wenn du wissen willst, ob in Ribadés viele Kriminaltaten begangen werden, solltest du ihn besser fragen«, sagte er mit einem freundlichen Lächeln.

      »Natürlich.«

      Ich wechselte daraufhin das Thema.

      »Wie verbringst du deine Zeit?«, fragte ich. »Ich meine, du hast gewiss viel zu tun.«

      »Ich bin mit meiner Gemeinde den ganzen Tag über beschäftigt. Das erfüllt mich. Aber, welchen Dingen gehst du nach?«

      »Ich verbringe meine Zeit hauptsächlich mit meiner Familie. Wir reisen gern, gehen oft ins Theater, ich lese sehr viel und ich spiele leidenschaftlich gern Golf mit Hellen.«

      »Interessant! Und wo wohnt ihr?«

      »In München.«

      »Das ist schön. Leider war ich noch nie dort, aber es muss eine prächtige Stadt sein.«

      »Ja, wir lieben diese Stadt«, sagte Hellen.

      Ich nickte zustimmend.

      »Und was arbeitest du?«, fuhr er fort.

      »Ich arbeite nicht mehr. Ich bin Privatier.«

      »Wirklich?«, fragte er überrascht.

      »Ja! Ich habe nach meinem Ingenieurstudium viele aufregende Jahre in der Automobilindustrie verlebt und zeitig aufgehört.«

      »Du bist Ingeniero?«, fragte er erstaunt.

      »Ja«, antwortete ich nickend.

      »Aber, was bedeutet das, dass du aufgehört hast?«, fragte er verwundert. »Mit zweiundfünfzig Jahren bist du doch im besten Alter und hast einen großen Erfahrungsschatz.«

      »Weißt du, meine Arbeit hat mir sehr gefallen, sie hat mich sogar mitgerissen, aber sie hat viel von mir gefordert, so dass ich und meine Familie vieles entbehren mussten. Ich hatte einfach zu wenig Zeit für sie. Deshalb habe ich es frühzeitig beendet. Jetzt verbringe ich die meiste Zeit mit ihr.«

      »Du hast die Sache sozusagen umgedreht. Eine weise Entscheidung.«

      »Danke.«

      Er sah mich freudestrahlend an.

      »Mein Freund Diego. Es freut mich sehr, dass es dir nach so langer Zeit gut geht! Du bist groß, attraktiv und hast dunkelbraunes Haar wie ein Spanier.«

      Dabei sah er Hellen freundlich an, die ihm das Gesagte nickend bestätigte.

      »Und er ist intelligent und sympathisch dazu«, ergänzte sie.

      »Das kann ich mir vorstellen«, sagte der Priester.

      Dann sah er auf seine Uhr.

      »Oh! Es tut mir leid, ich habe noch einiges vorzubereiten«.

      »Es gibt so viel zu erzählen, Ángel. Ich würde zu gern Mateo und Fernando wiedersehen. Was meinst du, können wir uns mit ihnen treffen? Alle vier? Wir sind für zehn Tage in Ribadés.«

      »Ja, natürlich! Ich werde das arrangieren«, erwiderte er.

      »Können wir uns eventuell im Café Carmen treffen? Es scheint ein sehr nettes Café zu sein.«

      »Warum nicht? Ich kenne Señora Carmen gut. Sie ist ein treuer Mensch in meiner Gemeinde.«

      »Umso besser. Darf ich dir meine Mobiltelefonnummer geben?«

      Dann fiel mir die vorlaute Bemerkung von Elsa aus dem Café bezüglich Verono ein.