Patrice Parlon

Eine Lüge für die Freiheit


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stierte Van Dörren wortlos an, winkte ab, drehte sich um und ging. Sollte er selbst mit seiner Schuld klarkommen. Sie musste sich anderen Dingen widmen. Andreas brachte Coline in ihre Zelle und versorgte ihre Wunden. Als er sie verließ, trat Van Dörren ein. Er wollte sich entschuldigen. Doch er brachte keinen Ton heraus. Beschämt machte er kehrt und verkroch sich in sein Zimmer.

      Draußen begann es zu stürmen. Van Dörren starrte die alte Eiche auf dem Hof an und versank in seinen Gedanken. Plötzlich klopfte es an die Tür. Erschrocken sprang er auf. „Herein!“ Andreas betrat das Zimmer „Sie wird die Nacht wohl nicht überstehen. Das hat sie dir zu verdanken.“ „Ist es so schlimm?“ Als Antwort bekam er nur einen ungläubigen Blick. Van Dörren ging augenblicklich wieder in die Katakomben, schloss die Zellentür auf und leuchtete hinein. Coline lag wie eine Mumie umwickelt auf ihrem Bett und rührte sich nicht. Langsam näherte er sich ihr und kniete sich hin. Vorsichtig strich er über ihre Hand, doch sie reagierte nicht. Van Dörren versuchte mit ihr zu reden, sich zu entschuldigen. Alles schien vergebens. Er wusste nicht, dass Coline gewissermaßen unsterblich war. Eine Peitsche konnte sie nicht unter die Erde bringen. Für sie gab es nur einen Weg in den Tod.

      Plötzlich tauchte Johanna auf. „Was willst du hier?“ Van Dörren schwieg. Er senkte seinen Kopf und schimpfte leise vor sich hin. Er stand auf und drehte sich Johanna zu. „Das werden Sie büßen. Schon sehr bald.“ Johanna lachte spöttisch: „Ich? Habe ich sie fast tot geprügelt? Ich werde gar nichts büßen!“ Van Dörren war keine Bedrohung für sie. Nicht in diesen Hallen und schon gar nicht nach seinem Seitenwechsel. Was wollte er schon machen? Sie befahl ihm, Coline nach oben zu schaffen und ihr alles zu nehmen, inklusive der Verbände. Fassungslos sah er auf das Bett. Coline war nicht fähig irgendwo hinzugehen. Wenn er ihr alles nahm, dann drohte sie zu verbluten. Johanna duldete keine Widerworte. Notgedrungen gehorchte er. Er zerrte sie aus dem Bett, stellte sie auf die wackligen Beine und schob sie aus dem Zimmer. Wie eine Marionette ließ sie sich vorantreiben. Er brachte sie in eine Abstellkammer am Ende des Korridors. Er wagte nicht, sie anzufassen. Deshalb befahl er ihr, selbst die Verbände abzunehmen. Sie sah ihn nur verloren an. Van Dörren drängte: „Mach es nicht schlimmer, als es eh schon ist.“ Coline lehnte sich gegen die Wand und stierte ins Leere. Noch einmal bat er sie zu gehorchen, da sie dennoch nicht reagierte, rupfte er ihr die blutigen Stofffetzen vom Leib. Sie fing zu weinen an, immer lauter und kläglicher. Van Dörren musterte Coline von allen Seiten. Plötzlich verstummte ihr Wehgeschrei. Ihre Sinne schienen zurückgekehrt. „Ist es das, was du willst?“ Er zog sie an sich heran und streifte ihr ein knappes Hemd über. Dann führte er sie in einen Gebäudetrakt, den sie bis dahin noch nicht kannte. Dort gab es einen Zugang zum alten Klostergarten.

      Van Dörren öffnete die schwere Eichentür und schubste Coline hinaus. Sie hatte Mühe ihr Gleichgewicht zu halten. Kaum stand sie einigermaßen gerade, sah sie auf eine verwilderte Anlage mit mannshohem Gestrüpp. Nicht ein Baum stand frei, überall wucherte es. Keine Minute später tauchte Johanna auf. „Das ist ab sofort dein Reich. Du wirst diesen Garten wieder zum Blühen bringen, ansonsten blüht dir was. Bei guter Führung bekommst du Kleidung, Essen und einen gemütlichen Schlafplatz. Das ist deine allerletzte Chance. Überlege dir deine Entscheidung ganz genau. Wenn du dich wieder weigerst, geht es dir schlecht.“ Coline glaubte ihr nur den letzten Teil. Alles andere klang wie ein leeres Versprechen. Trotz Johannas Ausführung traute sie sich nach Werkzeug zu fragen und erhielt eine knappe Antwort. „Erst will ich sehen, ob du dich bemühst.“ Johanna verschwand wieder und überließ Coline Van Dörrens Obhut. Coline kehrte ihm den Rücken und sah sich um. Überall gediehen Brennnesseln und wilde Sträucher.

      Coline machte den ersten Schritt von der halb zerfallenen Treppe auf die bemoosten Platten. Von allen Seiten berührten die Nesseln ihre nackten Beine und tränkten sie mit ihrem Saft. Sofort begann es zu jucken, doch Coline störte es kaum. Langsam ging sie weiter und verschaffte sich einen Überblick. Immer wieder strich sie an den brennenden Kräutern entlang und schon bald schmerzte jede Faser ihres Leibes. Sie versuchte die Qual zu vergessen, in dem sie sich ein blühendes Idyll vorstellte. Sie vertiefte sich so in das, was sein könnte, dass sie alles andere vergaß. Sie beachtete weder Van Dörren, noch sah sie Johanna auf der Galerie umherlaufen.

      Coline rupft los und kämpfte sich hartnäckig voran, obwohl ihre Wunden immer heftiger schmerzten. Dieser eiserne Wille vernichtete Johannas Pläne, denn sie rechnete fest mit Widerstand. Sie musste einen neuen Weg finden, um ihre Blutgier zu befriedigen. Sie lief sofort in den Garten und überraschte Van Dörren, als er Coline bedrängte. Johanna schrie vor Zorn: „Was soll das werden? Du hast sie wohl nicht mehr alle? Finger weg!“ Erst David und dann er! Das war zu viel. In blinder Wut griff sie ein Bündel Brennnesseln und schlug Van Dörren ins Gesicht. Er jammerte und kuschte. Sogleich kam Coline dran und musste die Schmerzen am ganzen Leib ertragen. Wie von Sinnen schlug Johanna auf beide ein, bis sie sich vor ihr auf die Knie warfen. Van Dörren beteuerte seine Unschuld. Er behauptete, dass Coline ihn verführte. Johanna wollte nichts davon hören und schickte ihn weg. Dann widmete sie sich Coline. Mit erhobenem Finger wackelte sie auf sie zu. „Du wirst noch heute die Hälfte vom Unkraut rupfen, ansonsten kannst du was erleben.“ Nach dieser Drohung ließ sie Coline allein.

      Van Dörren schlich zurück, um sie zu holen. Coline wollte aber nicht mitgehen. Sie wusste, was er im Sinn hatte und wich ihm aus. Sie hatte ohnehin genug Probleme, da brauchte sie keinen zweiten David. Van Dörren ließ sich aber nicht einfach zurückweisen. Hart packte er zu, zerrte sie an sich heran und zischte: „Jetzt zeig ich dir etwas, das du noch nie erlebt hast.“ Er trieb sie in die Katakomben und sperrte sie in eine Kammer. Coline flehte ihn an, sie in Ruhe zu lassen, doch er lachte nur. Schwungvoll warf er die Türe zu und verschwand für eine knappe Stunde. Als er zurückkam, kauerte Coline am Boden. Van Dörren ging auf sie zu und streckte seine Hand nach ihr aus. „Komm mit, es ist so weit.“ Sie krümmte sich immer weiter zusammen, denn sie ahnte, was er mit ihr vorhatte. Er griff nach ihrem Arm und zog kurz daran. „Komm, die ganze Zeit hat dich deine Blöße auch nicht gestört.“ Plötzlich fiel er über sie her. Coline schrie, sie wand sich und versuchte vergeblich zu entkommen. Van Dörren streckte sie mit roher Gewalt am Boden aus. Er kettete ihre Glieder an, knebelte sie und begrapschte ihren Körper. Brutal stillte er seine Gier. Danach löste er ihre Fesseln und verließ die Kammer.

      Stunden später wollte Johanna nach Coline sehen. Sie ging in den Garten und suchte nach ihr. Sie dachte sofort an eine Flucht, doch gab es keinen Ausweg. Schließlich rief sie nach Van Dörren. Sie schrie durch alle Gänge, aber er antwortete nicht. Erst auf dem Weg in die Katakomben traf sie ihn. Sie stellte ihn zur Rede und fragte, wo Coline war. Van Dörren geriet ins Schlingern. „Ich habe sie in eine Zelle gesperrt, weil sie nicht hören wollte.“ „Wer gibt dir das Recht dazu?“ keifte ihn Johanna an. Van Dörren schwieg und Johanna machte sich auf den Weg nach unten. Als sie Colines Stammzelle leer vorfand, schrie sie durch alle Gänge: „Verdammt noch mal! Wo ist das Miststück?“ Schleunigst stürmte sie zu ihm zurück und bedrängte ihn mit Vorwürfen. Van Dörren versicherte, dass er sie einschloss und rang nach Erklärungen. Johanna drohte ihm energisch und verlangte, dass er sie holen sollte. Er schwor, dass sie nicht weglaufen konnte. Jedoch wollte Johanna nichts davon hören. Plötzlich wurde auch er wütend und schrie: „Hol sie doch selbst!“ Gerade noch rechtzeitig griff David ein. Nun stritten sie zu dritt. Endlich erinnerte sich Van Dörren, in welche Zelle er Coline sperrte und ging sie holen. Johanna ließ es sich aber nicht nehmen, ihm noch eine Warnung hinterher zu schreien: „Ich hoffe du bringst sie mir, sonst kannst du was erleben!“ Er nahm es gelassen. „Dann schlage ich vor, dass Sie einfach mitkommen.“ Van Dörren führte Johanna zur Zelle und steckte noch tiefer in der Klemme. Die Tür stand weit offen, Coline war nicht mehr da und Johanna entdeckte, was mit ihr geschehen war. Da hieß es nur: „Ab mit ihm, in den Saal!“

      David zerrte ihn durch die Gänge bis zum Altar, legte die Ketten an und ließ ihn allein zurück. Diesen Moment erwartete ein heimlicher Spion. Leise näherte er sich und schnaubte Van Dörren an. Erschrocken sah er zu ihm auf. Plötzlich ein kurzes Knurren und dann Van Dörrens jämmerlicher Schrei. Er empfing ein blutiges Andenken an Colines Vergewaltigung. Gleich darauf betrat Johanna den Saal. Sie sah die frischen Wunden und suchte nach dem Täter. Dafür sollte David büßen und Johanna fauchte ihn an: „Warum hast du nicht gewartet?“ Er wies jede Schuld von sich, aber sie glaubte