Patrice Parlon

Eine Lüge für die Freiheit


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verschwinde. Nur einmal nachgucken. Bitte!“ Coline wunderte sich über seine Hartnäckigkeit. Sie wusste, dass es ein Fehler war, dennoch gab sie nach. „Dann komm!“ Er verstand sie nicht und fragte nach. Sie wiederholte ihre Worte in einem wütenden Ton und erschreckte ihn. Dennoch näherte er sich und je mehr er von ihr sah, desto weniger wollte er wissen. Als er endlich die Verletzungen sah, wurden seine Augen immer größer. Dieses Grauen hatte er nicht erwartet. Vielleicht ein Paar Striemen, aber kein solches Ausmaß an Verstümmelung. Van Dörren machte einen Schritt rückwärts und doch verspürte er einen gewissen Drang nochmals hinzusehen.

      Coline zeigte zur Tür und verwies ihn aus dem Saal, doch im gleichen Moment stürmte Johanna und Gefolge herein. Ihn ihren Augen funkelte die Blutgier. Johanna schickte Andreas zum Altar, um Coline festzunehmen. Dann schaukelte sie auf Van Dörren zu. „Was wollen Sie hier? Wer hat Ihnen gestattet, allein herumzuschnüffeln?“ Kreidebleich stand er vor ihr und wusste nichts zu sagen. Johanna schrie ihn heftig an und drohte, dass er diesen Saal niemals wieder verlassen würde. Plötzlich kam ihm eine Idee. Die einzige Chance, um sich zu retten. „Ich will mitmachen!“ Johanna sah ihn verdutzt an. „Was?“ „Ich weiß, dass Ihr Folterknecht verhindert ist. Ich bin genau der Richtige für diesen Job. Ich bin stark, ausdauernd und zu allem bereit.“ Coline taumelte. Diese Worte konnten mehr verletzen, als alle Hiebe zusammen. Immer wieder hallten sie in ihren Ohren nach. So sehr, dass sie zusammenbrach. Sie weinte, schluchzte und konnte sich nicht mehr beruhigen. Andreas hob sie unsanft hoch und schleppte sie in ihr Verlies. Mit letzter Kraft versuchte sie sich loszureißen, doch es gab kein Entkommen. Er schlug sie mit einer Ohrfeige nieder und sperrte sie ein.

      Währenddessen verhandelte Johanna mit Van Dörren. Sie stellte ihm einige Fragen, drohte ihm aber auch gleich harte Strafen an, wenn er sie verraten würde. Irgendwie misstraute sie ihm, was sie sich auch deutlich anmerken ließ. Van Dörren stellte sein Wort unter Beweis, indem er seinen Kollegen fort schickte. Er erklärte ihm, dass er später nachkommen würde, da er noch einiges zu prüfen hätte. Sein Kollege verstand das zwar nicht, aber er gehorchte. Kaum verschwand die schwarze Limousine, begann der Horror für alle Insassen. Van Dörren trat sein Amt mit flauen Gefühlen an. Er wusste nicht, was Johanna von ihm erwartete und drohte denen, die sich gegen seinen Willen stellten. Es dauerte keine drei Tage und er drohte jedem Insassen Prügel an. Noch blieb es bei Drohungen, denn er fürchtete die Konsequenzen.

      Schnell fand er heraus, dass alle respektvoll den Weg frei machten, um einer Strafe zu entgehen. Schon bald suhlte er sich in seinem Status. Nach und nach machte er seine Drohungen wahr und verteilte die ersten Stockhiebe. Johanna duldete sie sein Verhalten, aber sehr schnell langweilten sie seine Versuche, die anderen zu erziehen. Sie wollte endlich wissen, was hinter seinen großen Versprechungen steckte und ließ ihn zu sich kommen. Ihr Blick war eisig, als er ihr Büro betrat. Sie kam einen Schritt näher und sagte: „Ich will einen Beweis deiner Qualitäten. Deshalb wirst du Coline gefügig machen. Wie du das anstellst, ist mir völlig egal. Doch wage ja nicht zu versagen!“ Van Dörren nahm es gelassen. „Wie viel Zeit habe ich?“ „Zwei Wochen!“ Leichtfertig ging er darauf ein. Ihm musste ja nur etwas einfallen, damit Coline jedem Befehl gehorchte. Die passende Idee kam ihm wenig später.

      Gegen Abend machte er sich auf den Weg zu Coline. Sie hockte frierend in der hintersten Ecke ihrer Zelle und hob nicht einmal den Kopf, als er eintrat. Van Dörren versuchte es zunächst mit gutem Zureden, doch Coline reagierte nicht. Also kam er näher und griff vorsichtig nach ihrem Arm. Coline zog ihn unwillig zurück und nannte ihn Verräter. Van Dörren kniete sich hin und redete weiter auf sie ein. Es schien beinahe, als entschuldigte er sich für seinen Fehler. Coline irritierte sein Verhalten, denn es passte so gar nicht zu seiner Aussage. Plötzlich änderte er seine Taktik und stellte sich ihr persönlich vor. „Mein Name ist Georg. Georg Van Dörren. Ich habe zwar Davids Platz eingenommen, aber ich werde nicht so weitermachen wie er.“ Coline glaubte nicht wirklich an eine helfende Hand. Also zeigte sie ihm die kalte Schulter.

      Er versprach ihr zu helfen, wenn sie Johannas Befehlen gehorchte. Gerade das war für sie unmöglich. Ihre Abscheu gegenüber Johanna wurde zur Angst, zur panischen Angst. Angewidert von ihrer Fratze, wagte sie keinen Schritt in ihre Richtung und das änderte auch ein Van Dörren nicht. Also scheiterte auch er an Colines Sturheit. Doch auch er wollte nicht so leicht aufgeben. Irgendwie musste er sie zum Gehorsam zwingen, denn sein Leben hing davon ab. Van Dörren sorgte erst einmal dafür, dass Coline wieder zu Kräften kam. Er setzte ihr die besten Speisen vor, versorgte ihre Wunden und kleidete sie neu ein. Alles ohne Johannas Zustimmung. Er musste zwar täglich Bericht erstatten, doch den fälschte er mit Meisterhand.

      Spät abends brachte er Coline in eine andere Zelle. Sie war sauber, beleuchtet und beheizt. Es gab sogar ein halbwegs bequemes Bett. Allerdings hatte diese Zelle noch immer kein Fenster und von freiem Ausgang konnte Coline nur träumen. Trotz alledem sah Van Dörren darin die Chance, Colines Vertrauen zu gewinnen. Sie nahm jedoch kaum Notiz von ihrer neuen Umgebung und legte sich einfach auf ihr neues Bett. Van Dörren schloss die Tür und verriegelte sie mit fünf Schlössern.

      Mitten in der Nacht schob sich ein Riegel nach dem anderen zurück. Coline sah erwartungsvoll zur Tür. Nach Minuten öffnete sie sich und im grellen Licht des Korridors stand Van Dörren. Er reichte ihr die Hand und Coline musste sich entscheiden. Entweder sie vertraute ihm oder sie zog auch seinen Zorn auf sich. Mit einiger Anstrengung stand sie auf und legte ihre Hand auf seine. Dann führte er sie in den Speisesaal. Er erklärte ihr, wie er Johanna austricksen wollte und Coline willigte blindlings ein. Allerdings dachte sie nicht über die Folgen nach.

      Johanna machte eine letzte Runde durch die Katakomben. Auf dem Rückweg überkam sie ein kleines Hungergefühl. Also wollte sie sich etwas zu Essen holen. Als sie dann die Beiden im Speisesaal antraf, verzog sich ihr Gesicht zu einer verbissenen Fratze. Schweigend stand sie da und starrte Van Dörren an. Er senkte den Kopf und wartete auf ihr Gebrüll. Wortlos drehte sie sich um und ging. Coline ahnte Schlimmes und bombardierte ihn mit Vorwürfen. „War das dein Plan? Du willst mir gar nicht helfen! Du willst mich genauso quälen, wie diese Ratte!“ Er sah sie verwirrt an, denn Johanna tat doch gar nichts. Er wehrte sich entschieden gegen ihre Anschuldigungen. „Was willst du von mir? Ich werde dich nicht schlagen. Ich will dir helfen.“ Coline glaubte ihm kein Wort und so eskalierte es zum Streit. Noch während sie zankten, sprang die Tür auf und Andreas stand vor ihnen. Coline zitterte augenblicklich am ganzen Leib, denn einer weiteren Folter konnte sie keinesfalls entgehen. Also fügte sie sich freiwillig.

      Auf dem Weg in den Saal, rieb sie sich nervös die Hände, denn hinter der Tür wartete Johanna auf eine weitere Chance, ihre Blutgier zu befriedigen. Am Saaleingang hielten sie an. Die Pforte öffnete sich langsam. Andreas schob Coline hinein und rechnete damit, dass Van Dörren nachkam. Doch er stand wie angewurzelt im Gang und stierte durch den Türspalt. Andreas forderte ihn auf, hineinzugehen. Keine Reaktion! Schließlich half er nach.

      Da trat Johanna aus einer Nische hervor. Sie verzog keine Miene und beobachtete die Drei. Vor allem Van Dörren wurde gemustert. Johanna zeigte schweigend auf den Altar. Er begriff nicht, was sie wollte und hob die Augenbrauen. Johanna zögerte nicht lange und machte es ihm unmissverständlich klar. „Zeig mir, was du kannst! Ich will, dass du ihr 25 Hiebe verpasst und zwar plötzlich.“ Jetzt war es so weit. Georg Van Dörren musste seine Versprechungen erfüllen. Doch welche? Sollte er zum brutalen Folterer werden und seine Haut retten oder sollte er Coline helfen? Coline sah ihn vorwurfsvoll an. Sie wollte nicht glauben, dass er fähig wäre, eine hilflose Frau zu verprügeln. Mit einem Mal war er wie verwandelt. Er stürmte auf Coline los, riss ihr die Kleider vom Leib und zerrte sie zum Altar. Sein Verhalten schockierte selbst Johanna.

      Um Coline herum wurde alles schwarz. Plötzlich stand sie neben sich, im wahrsten Sinne des Wortes. Wieder zeigte sich die Macht des Fluches. Coline entstieg ihrem Körper und bewegte sich frei im Raum. Niemand sah sie, keiner beachtete ihren Geist. Sie konnte zusehen, wie Van Dörren mit der NSDK auf ihren gefesselten Körper einschlug. Wie ein Wahnsinniger drosch er los. Johanna sah ihm entsetzt zu. Sie konnte nicht begreifen, wieso er so ausrastete. Unzählige Male sausten die Bänder nieder und rissen die vielen Narben auf. Viel öfter, als sie sollten. Dann endlich schritt Johanna ein. „Es reicht! Aufhören!“ Schweißnass ließ er die Peitsche fallen und ging beschämt in die Knie. Johanna trat an Coline heran und griff nach ihrer