Patrice Parlon

Eine Lüge für die Freiheit


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sprang auf, um ihr zu helfen. Coline wehrte sich heftig und dabei riss ihr Nadja das Hemd von der Schulter. Sofort entdeckte sie die Tätowierung und rief: „Du bist das? Deinetwegen müssen wir uns verstecken!“ Coline starrte erschrocken in die grimmigen Gesichter. Sie fragte kleinlaut nach, was sie meinte und Nadja machte es ihr unmissverständlich klar. „Mit dem Tag, als diese Ratte hier auftauchte, hielt sie jedem das Buch mit deinem Zeichen unter die Nase. Sie drohte uns mit tausend Qualen, wenn wir nicht gehorchten. Wir wussten nicht, was sie wollte, und machten weiter wie vorher. Schnell lagen wir auf der Folterbank, nur weil sie wütend auf den Schreiberling war. Sie schwor, dass es kein Ende gibt, bis sie ihn gefunden hat.“

      Coline wusste, dass das Leid der anderen nur beendet werden konnte, wenn sie vor Johanna auf die Knie fiel. Doch das wollte sie auf keinem Fall. Da ließ sie nicht mit sich reden.

      Sie trat den Rückzug an. Nadja brüllte ihr noch hinterher: „Wo willst du hin? Hier sind überall Bewegungsmelder und Fallen.“ Doch Coline hörte sie nicht mehr. Sie wollte so schnell wie möglich weg. Eilig stürmte sie durch die Gänge und kletterte über viele Leitern nach oben. Sie stolperte über einen Draht und stürzte. Erschrocken rappelte sie sich auf und lief weiter. Sie erreichte eine dicke Holztür mit Eisenbeschlag. Sie ging hindurch und stand plötzlich auf einer Dachterrasse. Unten im Hof regte sich etwas und Coline wollte es genauer wissen. Sie näherte sich der Brüstung. Da stieß sie gegen ein Podest aus Metall. Sie betrat es und ging einen Schritt weiter. Als sie in der Mitte ankam, stand es plötzlich unter Strom. Schwache Stromstöße durchfuhren Colines Leib. Wie gebannt blieb sie auf der Platte stehen. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. So sehr sie sich auch bemühte. Der Strom wurde immer stärker und plötzlich durchzuckte sie ein so starker Stoß, dass sie zusammenbrach. Sie klebte förmlich darauf.

      Nur wenige Sekunden später kam Nadja zu ihr und sah das Unglück. Nadja kannte die Folgen und verschwand so schnell es ging. Sie hatte schon am eigenen Leib erfahren, was passierte, wenn David kam. Schon tauchte er auf. Er schaltete den Strom ab und wartete, bis Coline wieder zu sich kam. Dann hockte er sich neben sie und legte seine Hand unter ihr Kinn. Er hob ihren Kopf an und sagte ihr direkt ins Gesicht: „Wieso tust du so etwas? Du hast gegen Paragraph 41 verstoßen. Weißt du, welche Strafe darauf steht?“ Er baute sich vor ihr auf, streckte ihr die offene Hand entgegen und forderte: „Gib mir die Ringe!“ Coline wich ihm aus. Er trat einen Schritt näher, packte zu und beförderte sie unsanft zu einer winzigen Kammer, gefüllt mit stinkendem Abfall und totem Ungeziefer. Nur ein Luftloch gab es, das wenig nützte. Er stieß Coline hinein und verriegelte die Tür. Der Sauerstoff wurde immer knapper, dann tauchten auch noch ein paar Ratten auf und fraßen den Dreck. Coline spürte ihre Körper und hörte das Quieken. Immer widerlicher wurde der Gestank. So extrem, dass sich Coline mehrmals übergab. Das hastig verschlungen Essen spritzte auf den Abfallhaufen. Gleich darauf überkam Coline ein starkes Verlangen nach Flüssigkeit. Doch in dieser Kammer gab es kein Wasser. Coline sah überhaupt nichts, sie roch nur den fauligen Gestank.

      Ihr Durst wurde immer quälender. Wieder tauchte eine Ratte auf und Coline schnappte zu. Sie erwischte sie am Schwanz. Das erschrockene Tier biss nach ihr, doch Coline ließ nicht los. Mit der anderen Hand packte sie die kreischenden Ratte am Kopf und drehte ihr den Hals um. Jetzt zögerte sie keine Sekunde mehr und rammte ihre Zähne in das Tier. Sie riss ein Stück heraus und saugte sie aus. Es schmeckte widerlich, doch es half nichts. Sie brauchte etwas Flüssigkeit. Coline ließ den leblosen Körper fallen. Sie legte ihre Stirn auf die Knie und weinte sich in den Schlaf. Sie bemerkte nicht, dass David zurückkam. Mit finsterer Miene stand er in der Tür. Seine Arme lagen vor seiner starken Brust und er grinste schadenfroh. David beugte sich runter und griff nach Colines Arm. Er wollte sie hochziehen, doch da merkte er, dass sie eiskalt war. Er ließ sie los und im gleichen Moment fiel sie um, blieb aber so zusammen gekauert, wie sie saß. David erschrak. Sein erster Gedanke war, dass Coline an Unterkühlung starb. Doch sie lebte noch. Er hob sie auf und schleppte die steif gefrorene Frau in ein Krankenzimmer, zwei Etagen unter der Erde. Dort legte er sie auf eine Pritsche und deckte sie zu.

      Am nächsten Morgen kam er mit Johanna zurück. Sie stellte sich an Colines Krankenbett und brüllte: „Steh auf!“ Aber Coline reagierte nicht. Johannas Gesicht verzog sich zu einer ärgerlichen Grimasse. Sie befahl: „David! Bring sie hoch zum See und tauche sie rein, damit der gröbste Dreck abgeht. Dann bringst du sie in den alten Waschraum und ziehst ihr alles aus. Du schrubbst sie von oben bis unten, aber gründlich!“ Coline riss die Augen auf. Sie wollte aufspringen, aber ihr Körper gehorchte nicht. David half kurzerhand nach. Er zog sie hoch und stieß sie die Gänge entlang. Hinaus, hinter das Gebäude, bis zum steinigen Ufer. Rabiat warf sie in das eisige Wasser. Ein kurzer Schrei und sie versank im See. Coline konnte sich nicht über Wasser halten. David musste handeln. Er sprang sofort hinterher. Als er sie endlich greifen konnte, zog er nur noch einen bläulich kalten Klumpen heraus. Er legte sie ab und verschwand im Haus. Wenige Minuten später kam er trocken zurück.

      Vom Dreck verlor Coline nur wenig, dafür umso mehr Kraft. Er schleifte sie über den Schotter zurück ins Gebäude. Dort versuchte er ihr das Hemd vom Leib zu streifen, doch es war so steif, dass es sich keinen Millimeter bewegte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als es zu zerschneiden. Dann kam der Gürtel dran. David hastete zu Johanna. „Frau Köhler! Ich kann sie nicht waschen. Sie haben mir den Schlüssel für den Gürtel nicht gegeben.“ Sie sah ihn mit einem bitterbösen Blick an. „Dann nimm doch deinen!“ David tat verwundert. „Meinen?“ Johanna schob ihre Augenbrauen zusammen. „Meinst du ich weiß nicht was du treibst? Hast du vergessen, dass überall Kameras hängen?“ Verdutzt zog er wieder ab.

      Als er Coline erreichte, lag sie noch immer bewegungslos am Boden und schon wieder musste er verschwinden. Er holte Andreas, der helfen sollte. Aber als er zu ihr kam, schnaufte er unwillig: „Kannst du mir sagen, was ich da machen soll? Sie ist doch so gut wie tot. Die braucht was zu essen, zu trinken und vor allem Wärme!“ David schüttelte den Kopf. „Dazu ist keine Zeit.“ Andreas zuckte mit den Schultern. „Dann vergiss es.“ Er verschwand unverrichteter Dinge und David musste handeln. Er steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete den Gürtel. Doch als er ihn lösen wollte, gab es ein Problem. Coline trug dieses Ding schon so lange, dass alle Stacheln fest saßen. Jedes Mal, wenn er am Leder zog, schluchzte sie. Er wusste wie sehr sie bluten würde, wenn er die Stacheln einfach heraus riss. Es blieb ihm aber nichts anderes übrig. Befehl war Befehl und er konnte sich doch nicht widersetzen.

      Vorsichtig löste er fünf Zentimeter des schrecklichen Folterinstruments. Dann bog er die blutigen Stacheln um, umfasste sie und riss den Rest heraus. Coline schrie erbärmlich. So laut, dass David ein Trommelfell platzte. Rasch umwickelte er sie mit einem Tuch, welches das Blut aufsaugen sollte. Dann ließ er sie eine Weile allein. Andreas sollte sich sein Ohr ansehen. Gleich danach setzte er die grausame Wäsche fort. Diesmal nahm er heißes Wasser. Schließlich sollte alles eine Qual für Coline sein. Mit einem rauen Lappen schrubbte er die dreckige Kruste von ihrem Leib, wodurch viele Narben aufrissen. Alles in allem eine sinnlose, aber schmerzhaftes Prozedur. Zuerst schrie Coline wie am Spieß. David war es bald leid und stopfte ihr den Mund. Dann heulte sie unaufhörlich und zum Schluss winselte sie nur noch.

      Ganz gleich, wie sehr David auch schrubbte, der Dreck wollte nicht abgehen. Langsam packte ihn die Wut. Also suchte er nach einer Idee. Wenn es so nicht funktionierte, dann musste er sie eben einweichen. Er legte ihr Handschellen an und eine Schelle um den Hals. Dann warf er sie in eine Wanne mit heißem Seifenwasser. Den Knebel ließ er in ihrem Mund, denn er wusste, sie würde abermals schreien. So wurde es auch, denn das Wasser brannte fürchterlich in den unzähligen Wunden. Nicht allein wegen der Temperatur, auch der Seife wegen. Er befestigte eine Kette an der Halsschelle und hängte das andere Ende an die Decke, damit Coline nicht ertrank. So ließ er sie liegen. Eine Stunde später sah er wieder nach ihr. Sie lag schlafend in einer Brühe aus altem Blut, Staub und Abfallresten. Er weckte sie unsanft mit einer Ohrfeige, zog sie hoch und schrubbte die schleimigen Reste von ihrer zerschundenen Haut. Wieder wollte sie schreien, doch drang nur ein Seufzen aus ihrer Kehle.

      David hob sie aus der Wanne, nahm ein raues Handtuch und rieb ihr die Tropfen von der Haut. Dabei rissen die wenigen Narben auf, die bis dahin noch heil waren. Er versuchte Coline zu kämmen, doch die Haare waren so verfilzt und dreckig, dass er sie nur noch abrasieren konnte. Zum Schluss zwängte er sie in neue Kleidung. Kurz