Patrice Parlon

Eine Lüge für die Freiheit


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zurück, befahl Johanna: „Bring sie zum Auto. Andreas wartet schon.“ Coline quollen die Tränen aus den Augen. Doch Johanna ließ es kalt. „Das hättest du dir vorher überlegen sollen.“ knurrte sie.

      Als Coline in Johannas Auto saß, gab es kein Zurück mehr. Nach kurzem Wortwechsel zwischen den Entführern ging es los. Coline zitterte am ganzen Leib. Verzweifelt versuchte sie zu fliehen. Sie wollte die Tür aufmachen, vergebens. Sie wollte das Fenster herunter kurbeln, vergebens. Es bestand kein Zweifel, Johanna hatte sich bestens vorbereitet. Coline redete sich ein, dass alles nur eine Illusion wäre, und dass ihre Albträume nicht wahr würden. Sie verfluchte den Tag, an dem ihr der Erste die Nacht zur Hölle machte.

      Sie fuhren in den Wald, bis zu einer Hütte. Dort wartete ein weiterer Mann. Plötzlich sagte Johanna: „Ich brauche dir die Beiden bestimmt nicht vorzustellen. Du hast sie ja bis ins Detail beschrieben. Aber ich frische deine Erinnerungen gerne auf. Wie du sicher weißt, dieses Kraftpaket ist David und der andere Herr heißt Andreas!“ Die Namen hallten wie ein böses Omen durch Colines Ohren. Irgendwie verband sie schreckliche Angst mit diesen Namen. David griff nach ihr. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück und stieß gegen Johanna. Angewidert machte sie wieder einen Schritt in seine Richtung.

      Johanna befahl ihr, in die Hütte zu gehen und sich zu setzen. Stur weigerte sie sich, aber David half nach. Kaum saß sie auf einem Stuhl, kam Johanna mit dem Buch. Sie fragte offen: „Was hast du dir dabei gedacht? Habe ich so etwas verdient? Wie kannst du mir so etwas unterstellen?“ Coline hörte ihr nicht zu. Sie sah sich jeden Winkel der Hütte an und suchte nach einem Ausweg. Plötzlich packte Johanna nach ihrem Kinn und drehte ihren Kopf herum. Sofort kniff Coline die Lider zusammen. Angewidert hielt sie mit aller Kraft dagegen und verzog ihr Gesicht zu einer schmerzerfüllten Fratze. Johanna redete weiter auf sie ein. „Sieh mich an! Hörst du nicht? Sieh mich an! Was hast du dir dabei gedacht? Hast du geglaubt, ich würde tatenlos mit ansehen, wie du mir mein Leben zerstörst? Antworte mir!“ Doch Coline erwiderte nichts. Johanna wurde zorniger. „Verdammt noch mal! Ich lass mich nicht von dir verarschen! Gib zu, dass du das Buch geschrieben hast. Ich habe dich gesehen, als du es in meinen Briefkasten geworfen hast.“ Coline fragte frech: „Wie hätte ich das anstellen sollen? Die Nachbarschaft hätte mich doch gesehen.“

      Johanna forderte sofort eine aufrichtige Entschuldigung und eine Wiedergutmachung. Coline verstummte abermals. Sie gab nichts zu und reagierte auch nicht auf Strafandrohungen. Plötzlich schlug Johanna auf den Tisch. „Dir ist hoffentlich klar, dass du deine Familie niemals wieder sehen wirst!“ Coline erschrak, sie war gefangen. Bevor sie etwas erwidern konnte, verließ Johanna die Hütte. David trat näher und legte ihr Fesseln an. Dann ließ er sie allein.

      Draußen wartete Johanna. David ging an ihr vorbei und setzte sich auf einen Baumstamm. Er stütze seine Ellenbogen auf die Knie und legte seine Finger aufeinander. Nachdenklich senkte er seinen Kopf auf die Fingerspitzen und schielte zu Johanna hin. „Sind Sie sich absolut sicher, dass das der richtige Weg ist?“ Johanna warf ihn einen bösen Blick zu, nahm das Buch und ging wieder zu Coline. Sie redete weiter auf sie ein: „Ich will von dir wissen, was das soll. Ich begreife einfach nicht, wieso du mir so etwas unterstellst. Was habe ich dir getan? Warum tust du mir so etwas an?“

      Coline starrte stur an die Wand und sobald Johanna in ihren Blickwinkel trat, schloss sie die Augen oder drehte den Kopf weg. Zornig packte Johanna Colines Kinn und bohrte ihr die Finger in die Wangen. Ihre Worte klangen endgültig: „Dir werd ich Gehorsam beibringen. Ich gebe dir eine Bedenkzeit und dann werden wir sehen, wofür du dich entscheidest.“ Wenig später, setzten sie ihre Reise fort. Coline sah keinen anderen Ausweg, als die Autoscheibe einzutreten und Andreas hatte Mühe sie davon abzuhalten. Notgedrungen hielten sie am Straßenrand an. Aber statt einer Chance zur Flucht, erhielt Coline Hand- und Fußfesseln. Johanna fauchte sie an: „Du weißt wohl nicht, was du dir damit antust? Soll ich dir erklären, was ich meine? Gestehe oder mach dich auf was gefasst.“ Coline erwiderte barsch. „Das habe ich schon längst.“ Johanna glaubte nicht richtig zu hören. „Du gibst also zu, dass du dieses verdammte Buch geschrieben hast.“ Sie sah erwartungsvoll auf Coline herab, die höhnisch antwortete: „Warum sollte ich? Ich schreibe nicht über so widerliche Bestien.“ Johanna musste ihren Zorn zügeln. Sie wollte nicht zuschlagen. Noch nicht!

      Tagelang fuhren sie weiter. Wieder führte der Weg in einen Wald. Nach einer großen Lichtung sah Coline eine vier Meter hohe Mauer mit einer Krone aus Stacheldraht. Dahinter befand sich die Besserungsanstalt. Das stählerne Tor öffnete sich, sie fuhren hinein und sofort schloss es sich wieder. Auf einem Hof aus Beton und Teer verteilten sich kleine Grüppchen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Viele nicht älter als zwanzig Jahre. Sie tuschelten und Coline wusste, dass es um sie ging. Als Johanna aus dem Auto stieg, verstummten alle. Wie scheue Rehe wichen sie zurück und beobachteten das Geschehen aus sicherer Entfernung. Johanna grinste überlegen und sagte zu Coline: „Nimm dir ein Beispiel an denen.“ Coline reagierte nicht. Sie achtete nur auf das Verhalten der Insassen. Dabei bemerkte sie nicht, wie Johanna im Haus verschwand. Plötzlich wurde wieder geflüstert und gemunkelt. Gebannt saß Coline da und übersah David, der darauf wartete, dass sie endlich ausstieg. Schließlich zog er sie heraus und stieß sie vorwärts.

      Erschrocken fuhr Coline herum und holte ungewollt dabei aus. Sie traf ihn mitten ins Gesicht. Er zuckte nicht einmal, aber er wurde wütend. Mit enormer Kraft gab er die Ohrfeige zurück. Sein Schlag war so heftig, dass Coline stürzte. Noch ehe sie sich aufraffen konnte, packte er sie am Zopf und zerrte sie ins Gebäude. Erst drinnen hatte sie die Chance, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Sofort riss sie sich los und stürmte zum Ausgang. Als sie auf die Tür zu rannte, streckte Andreas gelassen den Arm aus und stoppte sie. Verzweifelt schlug sie auf ihn ein. Sie versuchte sich vorbei zu zwängen, doch er schwankte nicht einmal. Geduldig nahm er ihren Wutausbruch hin. Dann schob er sie in die Aula.

      Coline sah sich nervös um, denn diese fremde und zugleich vertraute Umgebung weckte böse Erinnerungen. Plötzlich schlug eine Tür zu. Für einen Moment waren alle abgelenkt. Diese Chance wollte Coline nutzen, doch als sie den Rückzug antrat, tauchte David auf. Wie verabredet stellten sich weitere Männer in jeden erdenklichen Fluchtweg. Coline erstarrte. Jetzt würde sich ihr schlimmster Albtraum erfüllen. Da betrat Johanna den Saal. Coline wich unwillkürlich zurück. Johanna genoss das und drängte Coline immer weiter in die Enge. Coline hielt es nicht mehr aus und schlug zu. Johanna schwankte nach der Ohrfeige. Benommen schüttelte sie ihren Kopf und fluchte.

      Wütend zwang sie Coline auf den Stuhl, mitten im Raum. Johanna verließ die Aula, um weitere Vorbereitungen zu treffen. Rundherum warteten die restlichen Angestellten. Richter Morgan trat ein und nahm Platz. „So sieht man sich wieder. Ich möchte, dass du mir jetzt genau zuhörst.“ Coline sah ihn ratlos an. Dann fragte sie, seit wann vor Gericht geduzt wurde. Doch er stellte gleich klar: „Wir sind hier kein alltägliches Gericht. Du weißt sicherlich, warum wir hier sind. Oder muss ich dich daran erinnern?“ Sie stellte sich dumm.

      „Ich möchte dich fragen, ob du dir deiner Schuld bewusst bist? Oder muss ich dein Gedächtnis etwas auffrischen?“ Das war wohl nötig, denn noch immer leugnete Coline, etwas mit dem Buch zu tun zu haben. Sie entschloss sich aufzustehen und zu gehen. Richter Morgan fragte: „Wo willst du hin? Wir haben doch noch nicht einmal angefangen.“ Er drehte sich zu David: „Meister Worka, begleite sie wieder zu ihrem Stuhl.“ David hob den Finger und drohte ihr wortlos, als hätte er ein kleines Kind vor sich. Dann drehte er Coline um und schob sie zurück. Da rief sie: „Was wollt ihr eigentlich von mir?“

      „Wir? Wir wollen gar nichts.“ sagte Richter Morgan. „Wir sind nur hier, damit der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Du erinnerst dich doch sicher noch an Johanna Köhler? Das ist die Frau, deren Leben du zerstört hast.“ Weil sie nicht reagierte, fragte er noch einmal und Coline brüllte ein verzweifeltes „Nein“ heraus. Plötzlich hörte sie diese rhythmischen Schritte, die nur zu einer ganz bestimmten Person passten. Sie sah, wie die Türklinke nachgab. Da stand sie wieder! Ein flüchtiger Blick in ihre Richtung verriet ihre Rachsucht. Johanna kam langsam schaukelnd näher. Sofort kniff Coline die Augen zu und drehte sich angewidert fort. Je näher sie kam, desto größer wurde Colines Angst. Sie konnte den Gedanken nicht mehr ertragen, dass sie sie ansprechen würde und sprang auf. Da befahl Johanna: „Bleib sofort stehen!“

      Nichts