Dr. Phil. Monika Eichenauer

Scheinheilung und Patientenerschaffung - Die heillose Kultur - Band 3


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      Die Praxis zeigt, dass Kostenübernahmen gern hin- und her geschoben werden, Verantwortlichkeiten haarfein nach gesetzlichen Zusatzregeln gegliedert und argumentativ abgeschmettert an andere Kostenträger weiter verwiesen werden, die dann ihrerseits nicht zuständig sind. Kommen Migranten als Patienten dann tatsächlich in ärztliche oder psychotherapeutische Praxen an, stellt sich die Hürde der sprachlichen Vermittlung.

      Generell existieren Auflagen im Gesundheitswesen, wie Behandlungen nach den ökonomischen Leitlinien in ambulanten Praxen und Kliniken zu bewerkstelligen sind. Ärzte sind nun aufgefordert, möglichst noch eigene Vorschläge einzureichen, wie Organisation, Bürokratie und Behandlungen von MigrantInnen besser laufen könnten. Wie diese Anforderungen von Ärzten und Psychologische Psychotherapeuten in einem Arbeitstag untergebracht werden sollen, bleibt unerfindlich. Zumal die Motivation, derartige Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten, sehr gering ist, denn, die Frage ist doch, wohin sie geschickt werden sollen: Der Adressat dürfte seinerseits wohlgeordnet in einem Zimmerchen der Staatsbürokratie sitzen, der Vorschläge liest und befindet, dass dafür sowieso kein Geld vorhanden ist und sie damit abheftreif locht. Natürlich sind derartige Leistungen durch Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten in Eigeninitiative und kostenlos zu erledigen. Frei nach dem Motto: Für lau, jau!

      Der einzelne Arzt und Psychologische Psychotherapeut kann andererseits von der Politik nicht erwarten, angemessenen bezahlt und in seiner Arbeit unterstützt zu werden. Im Gegenteil sind Ärzte ständiger Kritik ausgesetzt. Wie die Stellung der Psychologischen Psychotherapeuten gesellschaftlich aussieht, stellte ich bereits in Band 2 dar und wird im vorliegenden Buch vertieft. Vorschläge von ihnen wandern zu den Akten ohne Auswirkungen auf eine Verbesserung der Versorgungsstruktur zu haben. Denn bei Prüfung von Vorschlägen stellt man wieder fest, es passt nicht zum Gesetz. Das aber passt zum generellen Procedere in Deutschland: Man soll zwar Vorschläge machen, Handlungsspielraum ist aber keiner vorhanden – von Geld, mit denen Lösungsmodelle zu bezahlen wären, ganz zu schweigen. Also erbringen Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten zahlreiche Leistungen kostenlos, weil sie schlicht für Patienten notwendig sind. Wenn dann in der Versorgung etwas schief läuft, ist der Arzt schuld und wird diffamiert. Wie praktisch. Die MigrantInnen, so müsste man sagen, werden angesichts der Kompliziertheit der vielen Hürden in Versorgungsstrukturen besser freiwillig gesund – so wie deutsche Patienten auch. Sie lassen sich abschrecken von den zahlreichen Differenzierungen und Ausschlüssen.

      Zufragen bleibt: Wie verrückt ist das Ganze eigentlich? Wir haben, wie eben oben zitiert, noch immer eines der besten Gesundheitssystem der Welt, das nur nicht nutzbar ist, weil es zu kompliziert ist und Menschen, ob Patienten oder Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten verschreckt? Die Stunden, die man als Behandler mit Institutionen telefoniert, um den richtigen Kostenträger zu ermitteln, sind so ungezählt wie unbezahlt. Wenn ich von deutscher Aushängeschildpolitik spreche, ist auch der folgende Zusammenhang von Interesse: Als ich meine Praxis 1988 aufbaute, kämpfte ich für jeden meiner Patienten um die Kostenübernahme bei den Krankenkassen. Das war nicht einfach. Eines Tages beantragten wir für einen ausländischen Patienten die Kosten für eine Psychotherapie im Kostenerstattungsverfahren. Wir bekamen sie wider jede Erwartung flott bewilligt. Tags zuvor hatten wir die Ablehnung für einen deutschen Patienten von der AOK bekommen. Das war Grund genug für mich, doch mal nachzufragen, wie so eine unterschiedliche Bearbeitungs- und Bewilligungspraxis möglich ist. Die Sachbearbeiter meiner Patienten konnten mir keine Auskunft erteilen. Daraufhin ließ ich mich mit dem Leiter der AOK verbinden. Meine Frage war, wie es zu verstehen sei, dass für ausländische Mitbürger Psychotherapie bewilligt würde und für deutsche nicht. Eine klare Antwort erhielt ich nicht, aber den Hinweis, man wolle diesen Vorgang prüfen. Von dem Augenblick an wurden auch für deutsche AOK-Patienten in meiner Praxis die Psychotherapiekosten erstattet. Ein Kommentar erübrigt sich aufgrund der deutschen Nachkriegspolitik an dieser Stelle. Andererseits kann ich nicht sagen, ob die Änderung der Kostenübernahme Praxis für deutsche Patienten bei der AOK aufgrund meiner Nachfrage eine Änderung erfuhr.

      Die heillose Kultur“ ist insgesamt als umfassender Mängelbericht im Hinblick auf Menschen, Patienten, Ärzte- und Psychotherapeutenschaft und Kultur zu lesen. Wird für ausländische Patienten in die oft zitierte populistische Diagnosekiste gegriffen und „Managerkrankheit“ herausgezogen wird, so möchte ich doch feststellen, dass 3/4 der Bevölkerung in Deutschland gegenwärtig ähnliche Symptome aufweisen dürften – insbesondere auch Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten: Aufstiegsstress, Abstiegsstress und Anpassungsstress, allgemein körperlicher Stress, hoher sozialer, finanzieller und psychischer Druck, der sich in unterschiedlichen Krankheiten äußert. Bei Migranten zeigen sich höhere Raten hinsichtlich Unfällen, Fettleibigkeit, Diabetes, Hepatitis, Suchtkrankheiten, HIV, Karies – und psychische Störungen. Die Dokumentation bezüglich der Folgen von Migration liegt vor (Vgl. Gesundheit und Integration, 7/2007).

      Eine Bestandsaufnahme, wie es deutschen Menschen in Deutschland unter der Zweiklassengesellschaft geht, fehlt hingegen. Gleichfalls fehlen, neben dem allgemeinen Angebot für medizinische und psychologische Psychotherapie, weitere Versorgungsstrukturen, die diesen Menschen psychisch in existenziellen Nöten zur Seite stünden. Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten werden niederfinanziert und mit ihrer eigenen beruflichen Situation aufgrund ständiger Zunahme von Bürokratie und neuen Abrechnungsziffern und Reformen überfordert. Statt das sich Verbesserungen für Patienten, Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten abzeichnen würden, ist das Gegenteil zu konstatieren. Das deutsche Gesundheitswesen brilliert im Aufzählen dessen, was an Gesetzen oder Dokumentationen auf dem Papier steht – was es für die Beteiligten im Gesundheitswesen bedeutet, wie man damit lebt und behandelt, ist eine völlig andere Fragestellung, die Nerven, Kraft, Stress und dauernde konflikthafte Auseinandersetzungsbereitschaft erfordert.

      Diese Art von Politik fällt für mich in das Ressort „Scheinheiligkeit“ – denn käme ein ausländischer Bürger, um den man sich politisch bemüht und eigens eine Dokumentation auf höchster Ebene anstrengt, zu einem Arzt, würde er trotz größter Schwierigkeiten mühsam behandelt. Warum? Weil er ein Ausländer ist und weil man in Deutschland Angst vor Diskriminierung ausländischer Menschen hat. Die Frage verlängert sich dahin gehend, wie sie behandelt werden? Selbst wenn der ausländische Patient nicht (oder nicht richtig) versichert wäre und selbst unter der Voraussetzung, er hätte einen eigenen Dolmetscher und Kultur- wie Religionsübersetzer dabei, hieße das noch lange nicht, das er entsprechend dessen, was er tatsächlich hat, behandelt werden könnte, weil keine Abrechnungsziffern dafür vorhanden sind – trotz aller guter Absichten des Arztes. Denn hinter den Symptomen verbergen sich tiefgründigere Probleme, als Symptome und Dolmetscher erzählen könnten, und über die deutschen, ökonomisierten Abrechnungsziffern behandlungsreif abrechnungsfähig wären. Oftmals sind erst Psychologische Psychotherapeuten in der Lage, mühsam Gründe für Erkrankungen auszugraben, bei ausländischen wie deutschen Patienten, um dann nach passenden Behandlungsmethoden Ausschau zu halten. Aber es gibt auch Schlitzohren unter ausländischen Patienten, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben und ihren neuen Immunitätsschutz aufgrund ihres primär nicht deutschen Kulturhintergrundes als Waffe einsetzen. So wollte mich doch jüngst ein 55jähriger Grieche unter Druck setzen, ich hätte ihn jetzt zu behandeln und wenn nicht, wolle er an die Presse gehen. Er hatte sich mit einer falschen Information hinsichtlich seiner Versicherung einen schnellen Termin mit der Lüge, er sei Privatpatient, ergattert und versuchte mich, mit 50 Euro zu erpressen, ich müsse ihn behandeln. Er schriebe ein Buch, wie man ausländische Menschen in Deutschland behandle! Mir platzte dann der Kragen und ich teilte ihm mit, er solle mal schnell zur Presse laufen und ihr das mitteilen. Denn damit gäbe er mir die Möglichkeit klar zu stellen, was er gerade hier mit mir exerzieren wolle und wie zuweilen ausländische Menschen Ärzte behandeln, in dem sie ihre Rechnungen nicht bezahlten oder sich so verhielten, wie er! Nicht nur er schriebe ein Buch über Verhältnisse in Deutschland, sondern ich auch! Und wenn er sich so in seiner eigenen Familie aufführen würde, könnte ich verstehen, weshalb niemand in der Familie mehr Kontakt mit ihm wolle. Gute Beziehungen ließen sich nicht erzwingen und eine psychotherapeutische Beziehung schon gar nicht! Ein paar Minuten später verließ er unter meinem Geleit meine Praxis.

      Die Auswirkungen der ökonomisierten Leitlinien greifen