schenkte ihre Trinkgläser nach.
„Nach so viel zu Trinken muss ich aufs Klo“, sagte Otto. „Ich kann nicht ohne Hilfe gehen. Könntest du mich bitte dorthin bringen?“
Andi half ihr beim Aufstehen und stützte sie. Sie legte ihren Arm um seine Schultern und humpelte auf ihrem anderen Bein. Das Bad befand sich direkt gegenüber von Ottos Zimmer. Er brachte sie bis zum Klobecken.
„Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte Andi.
„Nein“, antwortete Otto, „das schaffe ich alleine. Könntest du bitte draußen warten! Ich rufe dich, wenn ich dich brauche.“
„Ja, selbstverständlich“, entgegnete Andi und ging hinaus.
Er wartete vor der Badezimmertür und passte auf. Nach einiger Zeit rief Otto ihn. Sie stand neben dem Klo, als Andi den Raum betrat. Er führte sie zum Waschbecken. Dort wusch Otto ihre Hände und spritzte sich kaltes Wasser in ihr Gesicht.
„Es ist unangenehm bei dem warmen Wetter krank zu sein und im Bett liegen zu müssen“, beschwerte sich Otto.
Sie legte ihren Arm um den Jungen und ließ sich von ihm zurück in ihr Zimmer bringen. Dort schüttelte Andi ihre Kissen auf und machte es ihr bequem in ihrem Bett.
„Was ich dich unbedingt fragen wollte“, begann Andi erneut das Gespräch, „was wolltest du uns auf dem Schrottplatz zeigen, als du abgestürzt bist?“
„Stimmt, das hatte ich bei all der Aufregung vergessen“, antwortete Otto. „Dort lagen nicht nur alte Autos. Dort lag auch ein komisches Maschinenteil. Ich dachte, Ferdi könnte uns sofort sagen, was das ist, wenn ich es ihm zeige.“
„Was war an diesem Teil komisch?“, wollte Andi wissen.
An dieser Stelle wurde ihre Unterhaltung unterbrochen. Bevor Otto antworten konnte, klopfte ihre Mutter an die Zimmertür und kam herein.
„So, nun ist die Besuchszeit zu Ende“, sagte sie energisch. „Andi muss jetzt leider gehen. Ihr könnt euch in einer Woche wiedersehen, wenn Ottos Hausarrest beendet ist.“
Andi sah ein, dass er keinen Spielraum für Diskussionen hatte, und verabschiedete sich von Otto und ihrer Mutter.
Ferdi verdrückte gerade sein drittes Frühstücksbrötchen, als Andi nach Hause kam. Er setzte sich zu ihm und aß mit.
„Wo hast du gesteckt? Ich habe dich vermisst“, fragte Ferdi mit vollem Mund.
Andi erzählte ihm von seinem Besuch bei Otto und von seinem Misserfolg bei dem Versuch herauszufinden, was Otto ihnen am Vortag auf dem Schrottplatz hatte zeigen wollen. In dieser Frage waren sie nicht weitergekommen. Ferdi war darüber mehr enttäuscht als Andi.
Andi war traurig, dass er Otto in den nächsten Tagen nicht besuchen durfte. Er wusste nicht, warum er gerade deshalb betrübt war. Er wusste ebenfalls nicht, wieso er sich in Ottos Nähe wohl fühlte und weshalb er es als angenehm empfand, wenn er sie oder sie ihn berührte. Andi betastete den blauen Fleck an seinem Oberarm dort, wohin das Mädchen ihn geschlagen hatte. Er war Otto deswegen nicht böse, im Gegenteil freute er sich darüber, dass er wenigstens dieses kleine Andenken an das Mädchen hatte. Andi ahnte nicht, dass er verliebt war. Woher hätte er es wissen sollen, wie sich das anfühlt, denn er war noch nie in seinem Leben verliebt gewesen. So war er der Meinung, dass Otto ein guter Kumpel war, obwohl sie ein Mädchen war. Sie hatte zwar einen Jungennamen, aber sie war trotzdem kein echter Junge.
5. Das Sonntagsfrühstück
In den nächsten Tagen versuchte Andi mehrfach, Otto zu besuchen oder bei ihr anzurufen. Ihre Mutter blieb aber hart und wies ihn mit dem Hinweis auf den bestehenden Hausarrest ab. Trotzdem wurde es Andi nicht langweilig. Er unternahm viel mit Ferdi. An einem Tag fuhren die beiden Jungen mit dem Bus in die Stadt, um zu shoppen. Leider waren die meisten interessanten Sachen zu teuer, sodass ihr Taschengeld dafür nicht ausreichte. Andi kaufte sich die neuste Musik-CD einer Band, deren Musik er gerne hörte. Ferdi fand die aktuelle Ausgabe einer wissenschaftlichen Zeitschrift und deckte sich mit Süßigkeiten ein.
Am Samstag unternahmen Andis Eltern mit den beiden einen Ausflug. Es ging zu einem Automobilmuseum. Ferdi war begeistert. Andi verstand zunächst nicht weshalb, weil dort nur alte Autos herumstanden. Dann erklärte ihm Ferdi aber, was an den einzelnen Fahrzeugen jeweils so besonders war. Ferdi konnte auch komplizierte Dinge anschaulich begreiflich machen. Andi verstand es sofort. Wenn in der Schule alle seine Lehrer so gut erklären könnten, dann hätte er in allen Fächer eine Eins. Andi hoffte, dass Ferdi einmal Lehrer würde. Der wollte aber lieber Wissenschaftler oder Forscher werden. Dabei erkannte Andi auch Ferdis Sinn für Humor. Ferdi liebte intelligente Witze, über die man erst nachdenken musste, bevor man darüber lachen konnte. Obwohl Andi manchmal länger grübeln musste, lachten sie trotzdem viel gemeinsam.
Andi war froh, dass Ferdi da war. Sie verstanden sich immer besser, obwohl sie so verschieden waren. Zweimal trafen sie sich mit Karl. Zu dritt fuhren sie mit ihren Rädern durch die Siedlung. Einmal machten sie eine kleine Radtour zum Nachbarort. Über ihre Erlebnisse auf dem Schrottplatz sprachen sie nicht. Auch Otto erwähnten sie selten und wenn, dann beiläufig. Andi musste oft an sie denken, aber er sagte niemandem etwas davon. Er versuchte sich vorzustellen, wie es ihr ging und was sie gerade machte. Der Junge konnte es nicht abwarten, sie endlich wiederzusehen.
Otto hatte im Vergleich zu den Jungen eine langweilige Woche verbracht. Alle zwei Tage musste sie zum Verbandwechsel. Obwohl die Praxis von Dr. Müller nur wenige Straßen entfernt war, fuhr ihre Mutter sie mit dem Auto zum Arzt, damit Otto nicht laufen musste. Abgesehen davon durfte Otto das Haus wegen ihres Arrestes nicht verlassen. Es störte sie kaum, da sie ohnehin nicht umherlaufen konnte. Ab Mittwoch durfte sie aufstehen, konnte aber keine weiten Strecken gehen. Otto dachte oft an die drei Jungen und freute sich auf ein Wiedersehen.
Endlich war es soweit und Ottos Hausarrest hatte ein Ende. Es war ein schöner Sonntagmorgen. Andi und Ferdi saßen auf der Terrasse und frühstückten frische Brötchen mit Erdbeermarmelade. Andis Eltern besuchten eine Matinee, sodass die Jungen allein waren. Sie waren fast mit ihrem Frühstück fertig, als Otto auf ihrem Fahrrad angeradelt kam. Von der Terrasse aus konnten die beiden sehen, wie Otto ihr Rad in die Einfahrt schob. Sie ging, ohne zu humpeln. Nur einem aufmerksamen Beobachter wäre aufgefallen, dass sie ihren rechten Fuß etwas vorsichtig aufsetzte. Das Mädchen winkte von Weitem fröhlich und rief den Jungen einen freundlichen Gruß zu. Die Jungen erwiderten den Gruß und winkten vor Freude zurück.
Otto betrat die Terrasse und umarmte beide Jungen zur Begrüßung. In ihrem roten Sommerkleid und mit ihrem roten Haarreifen sah sie wie ein niedliches, kleines Mädchen aus. Wenn man ihre zarten Füße in ihren offenen Sandalen sah, konnte man kaum glauben, dass sie vor einer Woche beim Fußballspielen die Jungen damit hoffnungslos ausgedribbelt hatte.
Andi fragte sie nach ihrer Verletzung. Otto hob ihr knielanges Kleid hoch, so dass beide Jungen sich ihren Oberschenkel anschauen konnten. Der Verband war weg. Stattdessen klebte ein langes Pflaster auf ihrem Bein, das von ihrem Knie bis kurz vor ihr Höschen reichte. Das Pflaster verdeckte ihre Wunde, sodass die Jungen sie nicht sehen konnten. Doch die beiden waren sich einig, dass Ottos Bein längst nicht mehr so gefährlich aussah wie zuvor mit der dicken Bandage.
Otto setzte sich neben Andi und gegenüber von Ferdi an den Frühstückstisch. Andi bot ihr zu Essen an. Otto nahm sich sogleich eines der Brötchen. Sie wartete nicht, bis Andi ihr Teller und Besteck gebracht hatte, sondern legte das Brötchen auf die Tischdecke. Dann griff sie sich Andis Messer, um das Brötchen aufzuschneiden und zu schmieren. Mit großem Appetit verschlang sie es. Ferdi aß aus Sympathie ein Brötchen mit, obwohl er bereits satt war.
Andi holte für Otto eine Tasse heißen Kakao aus der Küche. Otto trank davon und leckte sich anschließend genüsslich den Schokoladenbart von ihrer Oberlippe. Sie nahm sich, ohne zu fragen, ein zweites Brötchen und schmierte Butter und Marmelade darauf, bevor sie es aufaß.
„Es scheint, dir gut zu schmecken“, sagte Andi.
„Ja“, antwortete Otto, „immer wenn ich krank bin, habe