dem Abendbrot sahen sie gemeinsam fern. Danach gingen die beiden Jungen in Andis Zimmer.
Während der Ferien teilte sich Andi sein Zimmer mit Ferdi. Es war so geräumig, dass beide ausreichend Platz hatten, ohne sich drängen zu müssen. Andi hatte dort ein bequemes Klappbett für seinen Cousin aufgestellt.
„Na, war das genug Abwechselung für heute, oder war dir etwa langweilig?“, fragte Andi Ferdi, als die beiden Jungen alleine im Raum waren.
„Entschuldige, dass ihr meinetwegen so viel mitmachen musstet. Vor allem Otto tut mir leid“, antwortete Ferdi beschämt.
„Quatsch!“, entgegnete Andi. „Wir sind alle freiwillig zum Schrottplatz gegangen. Jeder von uns hatte seinen Spaß gehabt. Also haben wir auch alle selbst Schuld an dem, was passiert ist.“
Von den Anstrengungen des Tages war Andi müde und ging früh ins Bett. Ferdi legte sich ebenfalls hin, blätterte aber noch in einem wissenschaftlichen Magazin.
„Weißt du, was uns Otto zeigen wollte, als sie uns rief, kurz bevor sie zwischen die Auto gefallen ist?“, fragte Ferdi.
„Keine Ahnung“, antwortete Andi im Halbschlaf, „das interessiert mich nicht nach dem, was geschehen ist.“
„Es muss etwas Besonderes gewesen sein. Otto war ganz außer sich“, ließ Ferdi nicht locker.
„Gute Nacht, schlaf gut! Ich bin müde. Mir reicht es für heute“, sagte Andi und schlief ein.
Obwohl Andi sich selbst einen Teil der Schuld an den Ereignissen des heutigen Tages gab, fühlte er sich trotzdem wie ein kleiner Held.
4. Der Besuch
Am nächsten Morgen war Andi lange vor seinem Cousin wach. Ferdi war ein Langschläfer und schlief tief und fest, als Andi aufstand. Im Vorbeigehen nahm sich Andi eine Kleinigkeit zu Essen aus der Küche und fuhr mit seinem Fahrrad zu Otto. Er hielt es nicht aus, denn er wollte wissen, wie es ihr ging. Ottos Mutter öffnete ihm. Sie war jünger als Andis Mutter und sie sah ihrer Tochter sehr ähnlich. Andi fragte sie, ob er Otto besuchen durfte.
Ottos Mutter versuchte, streng zu wirken, und entgegnete: „Nein, tut mir leid. Otto hat eine Woche Hausarrest.“
„Es ist kein gewöhnlicher Besuch. Es ist ein Krankenbesuch, sozusagen eine medizinisch notwendige Maßnahme“, konterte der Junge schlagfertig.
Ottos Mutter war von Andis Einfallsreichtum verblüfft und sagte: „Na gut, aber höchstens eine halbe Stunde. Komm herein!“
Ottos Zimmer befand sich im ersten Stockwerk des Einfamilienhauses. Als Andi den Raum betrat, lag Otto auf ihrem Bett und las ein Buch. Da es warm war, hatte sie sich nicht zugedeckt. Sie hatte sich die Bettdecke in einer dicken Rolle hinter ihren Rücken gestopft, damit sie beim Lesen bequemer sitzen konnte. Das Kopfkissen hatte sie unter ihr verletztes Bein gelegt, um es zu entlasten. Sie trug ein buntes Sommernachthemd, das so kurz war, dass es ihre Oberschenkel nicht bedeckte und somit den Verband nicht verbarg. Auf diese Weise dargeboten sah die dicke Bandage an ihrem schlanken Mädchenbein gefährlich aus.
Otto war frisch gewaschen. Die dicke Dreckschicht, die gestern das Mädchen bedeckt hatte, war verschwunden. Andi konnte erkennen, dass ihr Körper mit kleineren Blessuren übersäht war. Der Junge fand, dass sie trotzdem hübsch aussah. Otto freute sich, als sie Andi erblickte. Sie strich sich ihr offenes Haar aus dem Gesicht und lächelte. Ihre Augen leuchteten und ihre weißen Zähne blitzten.
„Hallo Otto, wie geht es dir?“, fragte Andi.
„Hallo Andi, schön, dass du da bist“, antwortete sie. „Mir geht es gut. Solange ich liege, tut es nicht weh. Nur aufstehen kann ich nicht.“
Andi hatte Otto etwas mitgebracht. Er holte aus seinem Rucksack eine Tüte Bonbons, die er heute Morgen zu Hause im Küchenschrank gefunden hatte, und sein neustes Comicheft. Das Heft hatte er sich vorgestern am Bahnhof gekauft, als er mit seinem Vater Ferdi abgeholt hatte. Er gab beides dem Mädchen. Otto freute sich darüber und bedankte sich. Andi setzte sich zu ihr auf die Bettkante. Dann begannen beide eine längere Unterhaltung.
„Deine Mutter meinte, du hast eine Woche Hausarrest. Hast du ihr erzählt, wo wir gestern waren?“, fragte Andi.
„Nein selbstverständlich nicht, kein Sterbenswörtchen habe ich gesagt“, erwiderte Otto entrüstet. „Aber das brauchte ich nicht. Meine Sachen waren so voller Dreck und stanken nach Altöl, dass meine Mutter es ohnehin sofort wusste. Dazu kam meine ungeschickte Ausrede, dass ich mich verletzt habe, als ich mit dem Fahrrad gestürzt bin. Dabei hat mein Fahrrad nicht den kleinsten Kratzer. Meine Mutter ist nicht doof. Sie hat sofort gemerkt, dass da etwas nicht stimmt. Dr. Müller wusste gestern auch gleich, woher wir kamen, als wir bei ihm waren. Erwachsene riechen so etwas sofort.“
„Blöd für dich, ausgerechnet in den Ferien Hausarrest zu haben“, bedauerte Andi das Mädchen.
„Es ist nicht schlimm, da ich sowieso im Bett liegen muss“, beruhigte Otto ihn und fragte: „Möchtest du etwas trinken? Es ist so warm, obwohl wir erst frühen Morgen haben.“
„Gerne“, antwortete Andi, „aber du brauchst dich meinetwegen nicht zu bemühen.“
Otto lachte, wobei ihre Zähne aufblitzten. „Ich werde sicherlich nicht aufstehen. Ich wollte dich bitten, uns beiden etwas zu bringen.“
Sie beschrieb Andi, wo er in der Küche etwas zum Trinken und auch Gläser finden konnte.
Als Andi ins Erdgeschoss ging, um die Getränke zu holen, traf er dort auf Ottos Mutter. Sie gab ihm eine Flasche gekühlten Saft und zwei Trinkgläser, sodass er nicht suchen musste.
„Danke, dass du dich um meine Tochter gekümmert hast“, sagte sie zu ihm. „Es wäre mir jedoch lieber gewesen, wenn sie nicht erst in Schwierigkeiten gekommen wäre. Versprich mir, dass du in Zukunft besser auf sie aufpasst!“
Andi fühlte sich betroffen, denn was Ottos Mutter sagte, klang nicht wie ein Vorwurf, sondern nach echter Sorge um ihre Tochter.
„Das werde ich. Versprochen!“, sagte er leise, aber bestimmt.
Andi setzte sich zu Otto auf die Kante von ihrem Bett und goss Saft in die beiden Gläser. Sie tranken mit großen Schlucken.
„Manchmal haben die Verbote der Eltern ihren Sinn und auch ihre Berechtigung“, sagte Otto. „Ich werde nie wieder zum Schrottplatz gehen. Ich dachte gestern echt, ich müsste dort sterben, als ich zwischen den Autos eingeklemmt war.“
„Verzeih mir!“, erwiderte Andi. „Ohne mich wärest du nicht in diese Lage geraten. Nur weil ich vor meinem Cousin angeben wollte, habe ich euch überredet, zum Schrottplatz mitzukommen.“
„Das stimmt nicht“, protestierte Otto. „Ferdi wollte unbedingt dorthin. Du hast sogar versucht, es ihm auszureden. Außerdem sind wir freiwillig mitgegangen. Wir hätten ja nicht mitkommen müssen.“
„Zumindest habe ich es nicht verhindert“, räumte Andi ein. „Es tut mir leid, was du alles durchmachen musstest.“
„Wir alle hatten trotzdem unseren Spaß“ erwiderte Otto. „Ich fand es schön, wie wir vorher zusammen gespielt haben. Jeder hat seinen Teil dazu beigetragen, ohne dass wir uns absprechen mussten. Obwohl wir uns erst einige Stunden vorher kennengelernt hatten, waren wir alle vertraut miteinander, als wenn wir uns schon ewig kennen würden. Eigentlich sind wir für solche Spiele schon zu alt, aber es war schön. Ich war sehr glücklich.“
„Ich fand es auch schön und ich war auch sehr glücklich“, erwiderte Andi.
„Und dann, als ihr mich gerettet habt, habt ihr wie ein eingespieltes Team zusammengearbeitet. Jeder wusste, was zu tun war. Keiner hat Panik gemacht. Du hast den Überblick behalten und den anderen klare Anweisungen gegeben. Ich bin stolz auf dich“, fügte Otto hinzu.
Sie schwiegen einen Moment. Danach unterhielten sie sich über andere Dinge. Nach einer längeren Weile stellten beide überrascht fest, dass sie die gesamte Zeit einander ihre Hände hielten. Als sie es bemerkten, wurden beide verlegen.