Frank Springer

Andi und die Außerirdischen


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nur Otto ist verletzt“, antwortete die Jungen im Chor.

      „Nah, dann kommt herein!“, sagte der Arzt.

      Die Praxis von Dr. Müller befand sich in seinem Wohnhaus, besaß aber einen eigenen Eingang. Dr. Müller ging auf die Praxistür zu, nahm einen Schlüssel aus der Tasche seiner Bermudashorts und schloss auf. In der Zwischenzeit lehnten die Kinder ihre Fahrräder an den Gartenzaun. Andi und Ferdi stützten Otto und Karl öffnete ihnen die Pforte.

      In der Praxis schlüpfte Dr. Müller aus seinen Gartenpantoffeln und hinein in seine Arztsandalen. Über sein buntes Hawaiihemd streifte er einen weißen Kittel und führte die Kinder ins Behandlungszimmer. Dort wusch er zuerst seine Hände gründlich und zog sich Einweghandschuhe an. Danach nahm er von einer Rolle an der Wand einen Streifen aus sauberem, weißem Papier und breitete ihn auf einer Behandlungsliege aus.

      „Legt das Mädchen bitte darauf!“, befahl er sachlich.

      Andi und Ferdi setzten Otto auf der Liege ab. Karl hob ihre Beine auf die Liegefläche. Der Arzt schaute sich die Wunde an Ottos Oberschenkel genau an. Manchmal, wenn er ihr Bein betastete, zuckte Otto vor Schmerz zusammen und sog schnell die Luft ein.

      „Ihr habt großes Glück gehabt“, sagte Dr. Müller nach einer Weile. „Das sieht schlimmer aus, als es tatsächlich ist. Die Blutung hat fast von alleine aufgehört und der Riss geht nicht so tief, dass er genäht werden muss. Ich werde die Wunde nur gründlich reinigen und desinfizieren, damit sie sich nicht entzündet. Außerdem bleibt sonst vielleicht eine hässliche Narbe und das wollen wir doch bei so einem hübschen Mädchen nicht. Ich verwende zwar ein mildes Desinfektionsmittel, aber es kann trotzdem etwas wehtun. Außerdem habe ich heute keine Arzthelferin hier. Ihr Jungs müsst mir also bei der Versorgung der Patientin assistieren.“

      Dr. Müller gab den drei Jungen knappe, aber genaue Anweisungen. Andi musste sich an das Kopfende der Behandlungsliege setzen, so dass sich Otto mit ihrem Rücken an ihn anlehnen konnte. Er legte seine Arme um ihren Oberkörper und fasste mit seinen beiden Händen ihre beiden Hände. Karl hielt Ottos Bein am Unterschenkel fest. Ferdi musste sich seine Hände gründlich waschen und anschließend einen Einmalkittel und Einweghandschuhe anziehen. Er sollte dem Arzt zur Hand gehen.

      „Ich kann doch kein Blut sehen“, protestierte er.

      „Stell dich nicht so an! Denk an deine Freundin, was sie durchmachen muss. Willst du ihr nicht helfen?“, erwiderte Dr. Müller mürrisch.

      Im Stich lassen wollte Ferdi Otto nicht und er tat, wie ihm befohlen wurde. Er reichte dem Arzt ein Gefäß mit Desinfektionslösung und mit Hilfe einer Pinzette sterile Tupfer. Damit säuberte der Dr. Müller sorgfältig die Wunde an Ottos Bein. Ferdi musste seinen Brechreiz unterdrücken. Die Anspannung und Konzentration halfen ihm dabei.

      Andi spürte, dass Otto jedes Mal zusammenzuckte und heftig durchatmete, wenn der Arzt die Verletzung mit dem Tupfer berührte. Sie umklammerte mit ihren Händen Andis Hände fest. Der Junge sah, dass ab und zu Tränen über ihr mit Dreck verschmiertes Gesicht rannen. Es musste für Otto sehr schmerzhaft gewesen sein, aber sie sagte keinen einzigen Mucks.

      ‚Für ein Mädchen ist sie sehr tapfer’, dachte sich Andi. ‚Ich hätte an ihrer Stelle vermutlich geschrien wie am Spieß.’

      Endlich war die Wunde sauber. Andi spürte, dass Otto schweißgebadet war. Außerdem war sie abgekämpft und am Ende ihrer Kräfte.

      „So, nun hast du das Schlimmste überstanden“, sagte Dr. Müller zu Otto.

      Er legte ihr einen Verband um den Oberschenkel an. Ferdi musste ihm dabei behilflich sein. Dann gab der Arzt ihr eine Spritze gegen mögliche Infektionen. Otto ruhte sich von der Behandlung aus und Ferdi durfte seinen Kittel und Handschuhe ablegen.

      Dr. Müller stand auf und sprach in ruhigem Ton mit den Kindern: „Was habt ihr Kinder trotz aller strengen Verbote auf dem Schrottplatz zu suchen? Ich hoffe, dass wird euch eine Lehre sein. Dabei habt ihr Glück gehabt. Es hätte euch viel schlimmer treffen können.“

      „Woher wissen Sie ... ?“, fragte Andi erstaunt.

      „Woher solltet ihr denn sonst kommen, so wie ihr ausseht?“, unterbrach ihn der Arzt.

      „Sagen Sie bitte nichts unseren Eltern!“, beschwor Otto ihn.

      „Keine Angst, ich sage nichts“, beruhigte sie der Arzt. „Meine Schweigepflicht gilt auch bei Kindern. Ihr solltet euch jedoch eine gute Ausrede überlegen.“

      Zu Otto gewandt sagte er: „Ich werde deinen Eltern aber eine Mitteilung wegen der Abrechnung schicken müssen. Außerdem wirst du den Verband kaum vor ihnen verstecken können. Lass dich von deinen Freunden nach Hause bringen! Lege dein Bein hoch und belaste es möglichst nicht! Komme bitte am Montag zum Verbandswechsel in meine Sprechstunde! Nach einigen Tagen Bettruhe wird es deinem Bein wieder besser gehen.“

      Mit diesen Worten entließ der Arzt die Kinder.

      Andi und Ferdi halfen Otto beim Aufstehen und stützten das Mädchen von beiden Seiten beim Gehen. Karl hielt ihnen die Türen auf. Otto setzte sich vor Andi auf die Stange des Fahrrades und Ferdi übernahm Ottos Rad in gewohnter Weise. Von hier war es nicht weit bis zu dem Haus, in dem Otto wohnte. Die Kinder hielten davor an.

      „Ferdi, bring bitte mein Fahrrad in die Garage! Die Tür ist nicht verschlossen“, bat Otto.

      Bereitwillig verstaute Ferdi Ottos Rad. Um nicht unnötig bei ihren Nachbarn aufzufallen, stützte sich Otto alleine auf Andi. Dazu legte sie ihren Arm um seine Schultern. So hätte ein Beobachter die beiden für ein Paar halten können. Das sah längst nicht so gefährlich aus, als wenn sie von zwei Jungen gestützt worden wäre. Karl hielt währenddessen die Fahrräder von Andi und Ferdi.

      Andi brachte Otto den Weg bis vor die Haustür. Dort bleiben beide einen Moment stehen.

      „Danke, dass du mir geholfen und mich gerettet hast“, sagte Otto leise zu Andi.

      Dann gab sie ihm einen zarten Kuss auf seine Wange, sodass es die anderen beiden Jungen nicht sehen konnten.

      „Das war doch selbstverständlich. Das habe ich gerne für dich getan“, antwortete Andi verlegen. „Soll ich mit hineinkommen?“

      „Nein, auf keinen Fall. Das würde alles nur komplizierter machen. Jetzt kann mir keiner weiterhelfen. Das muss ich alleine durchstehen. Geht bitte!“, erwiderte das Mädchen entschieden.

      Erschöpft verabschiedete Otto sich von den Jungen. Sie wartete ab, bis die drei mit ihren Rädern um die nächste Straßenecke verschwunden waren, bevor sie den Klingelknopf drückte.

      Die drei Jungen sprachen nicht viel miteinander. Karl bog an der übernächsten Ecke ab und fuhr zu sich nach Hause. Sein Vater war für ein halbes Jahr im Ausland auf Montage und seine Mutter arbeitete im Schichtdienst. Als Karl nach Hause kam, fand er dort nur seinen älteren Bruder Leo vor. Der war achtzehn Jahre alt und damit volljährig. Eigentlich sollte er auf Karl aufpassen, wenn die Eltern nicht da waren, aber er saß den gesamten Tag vor dem Computer und spielte stumpfsinnigen Ballerspiele. Leo bemerkte daher nicht, als Karl das Haus betrat. Ihm war nicht einmal aufgefallen, dass sein Bruder weg war.

      Andi und Ferdi fuhren direkt nach Hause. Nachdem sie ihre Fahrräder in die Garage gestellt hatten, schauten sie sich gegenseitig an. Erst jetzt wurde ihnen bewusst, dass sie von Kopf bis Fuß verdreckt waren. Sie waren über und über mit Staub und Schmutz bedeckt und mit Öl und sogar Blut verschmiert. So konnten sie sich nicht bei Andis Eltern sehen lassen. Die Jungen schlichen heimlich ins Haus und ohne Umweg ins Badezimmer. Dort zogen sie ihre schmutzigen Sachen aus. Andi stopfte sie nach tief unten in den Korb für Schmutzwäsche. Dann duschten beide ausgiebig. Anschließend zogen sie sich saubere Kleidung an und gingen hinunter.

      Andis Eltern saßen im Wohnzimmer. Die beiden Jungen begrüßten sie.

      „Ach, ihr seid schon da. Wir haben euch nicht nach Hause kommen gehört“, sagten Andis Eltern fast gleichzeitig.

      „Na, dann werde ich für uns ein schönes Abendbrot machen“, fügte Andis Mutter hinzu.

      Beim Abendessen wollte Andis Vater