Melissa Jäger

Raetia


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nach Celsa. Als keine Antwort kam, schlug sie die Decke zurück und sah nach. Sie tastete sich zur Tür und dann weiter zum Bett der Sklavin. Es war leer.

      Monat Juli, am III. Tag vor den Nonen des Juli

      Alpina grübelte noch tagelang nach der letzten Begegnung mit Claudius über seine Worte. Er hatte Recht! Was war, wenn jemand um ihre Hand anhielte, oder ihr Vater auf die Idee kam, einen Bräutigam für sie zu suchen?

      Sie nahm sich vor, den Vater bei Gelegenheit darauf anzusprechen. Sie musste ihm klar machen, wie wichtig es ihr war, bei ihrer Mutter in die Lehre zu gehen. Nur so lange sie im Haus ihrer Eltern lebte und so ihre Mutter zu den Entbindungen begleiten konnte, war sichergestellt, dass sie lernen konnte, eine gute Obstetrix zu werden. Sie hörte bereits die warnende Stimme ihres Vaters, der orakelte, dass er keinen guten Mann mehr für sie finden würde, wenn sie zu alt sei. War Ilara nicht gerade erst Fünfzehn geworden? Plötzlich hatte Alpina das Gefühl, die Zeit liefe ihr davon. Sie nahm sich vor, noch mehr zu lesen und zu lernen, ihre Anstrengungen im Unterricht zu verdoppeln und jede Gelegenheit zu nutzen, um Elvas zu begleiten.

      Neben diesen Überlegungen versuchte sie sich immer wieder Claudius‘ Worte ins Gedächtnis zu rufen. Was hatte er von sich gesagt? Er sei ein seltsamer Kerl. Was hatte er damit gemeint? Ja, definitiv, er war ein seltsamer Kerl! Der einzige seltsame Kerl, der es schaffte, sie so oft zum Erröten zu bringen!

      Monat Juli, am Tag vor den Kalenden des August

      Am Tag vor ihrer Abreise nach Bratananium traf sich Alpina mit Ilara. Sie saßen im Peristyl des Hauses von Soterichus und tranken Essigwasser. Lucius war zu einem Treffen des Collegiums der Händler gegangen, und seine Eltern informierten sich über den Fortschritt der Baumaßnahmen an ihrer Villa rustica. Der Umzug war für den Spätsommer geplant. Die beiden Schwestern hatten also endlich einmal die Gelegenheit, sich ungestört zu unterhalten.

      „Wie geht es dir?“, fragte Alpina und meinte damit selbstverständlich weniger den körperlichen als den seelischen Zustand der älteren Schwester.

      Ilara wog den Kopf. „Nun ja, was soll ich sagen? Verletzungen habe ich keine mehr – keine sichtbaren.“

      „Komm, erzähl! Tut er dir noch immer Gewalt an, wenn er mit dir schläft?“

      Die junge Ehefrau schüttelte den Kopf. „Er rührt mich so gut wie gar nicht an. Seit meiner Hochzeitsnacht war er nur einmal bei mir. Es tut jetzt nicht mehr so weh wie beim ersten Mal, aber ich habe nach wie vor Angst vor ihm und seiner fordernden Art. Ich verkrampfe mich so sehr, dass es weder mir noch ihm Spaß macht.“

      Alpina konnte kaum glauben, was sie hörte. „Er rührt dich nicht an?“

      Ilara schüttelte den Kopf. „Wenn ich unrein bin, oder er nicht anderweitig „versorgt“ ist, geht er zu Celsa oder vielleicht auch einer der anderen Dienerinnen im Haus. Seit Rufus wieder auf Inspektionsreise ist, sehe ich ihn kaum noch. Ich nehme an, er ist meistens bei Glycera.“

      Das Gesicht ihrer Schwester wirkte leer und hoffnungslos. Alpina litt mit ihr. Es musste schlimm sein zu wissen, dass der eigene Mann eine andere Frau liebte und sogar die Sklavinnen als Sexualpartnerinnen vorzog.

      „Ist er denn sonst wenigstens nett zu dir?“

      Die Schwester nickte. „Er ist höflich, zumindest so lange er sich beobachtet fühlt. Wenn ich mit ihm alleine bin, schreit er manchmal oder verhöhnt mich. Alpina, ich bin so einsam! Obwohl meist viele Menschen um mich sind, fühle ich mich so verlassen! Ich weiß gar nicht, wie es werden soll, wenn Lucius‘ Eltern ausziehen. Tiberius und Tibulla sind sehr lieb zu mir, sehr herzlich. Ich sitze oft mit Tibulla zusammen, wir sticken oder weben Borten und unterhalten uns. Aber wenn sie ausgezogen sind, bleiben mir nur Celsa und die Hausmädchen, die nicht mit Tiberius und Tibulla gehen werden. Versprich mir, dass du mich oft besuchen kommst, ja?“

      Flehentlich sah die Ältere Alpina an.

      „Natürlich werde ich dich besuchen“, versprach Alpina schnell, „und du hast ja auch noch Balbina!“

      Verächtlich schnaubte Ilara. „Balbina, pah! Die hat doch keine Ahnung! Die glaubt ja, ihr lieber Bruder wäre der perfekte Ehemann! Außerdem macht sie mich neidisch. Sie führt eine wirklich gute Ehe mit Vindelicus. Immerzu säuselt sie, wie süß er ist. Er trägt sie wirklich auf Händen, lässt ihr viele Freiräume, ehrt und schätzt sie und ist offenbar so zärtlich, dass sie sogar die Zweisamkeit mit ihm genießen kann. Ich beneide sie so, Alpina! Glaub mir!“

      Die Jüngere biss sich auf die Lippen. Das war also der Grund, warum Ilara so hoffnungslos wirkte und warum sie in letzter Zeit die Treffen mit Balbina mied.

      „Du bestätigst meine Vermutung, dass die Ehe nichts anderes ist als ein komfortables Gefängnis.“

      Ilara nickte mutlos. „So ist es! Bleib du nur bei deinen Büchern und sieh zu, dass du Mutter nacheiferst, um eine gute Obstetrix zu werden!“

      Monat August, an den Kalenden des August

      Caius hatte das Kommando über die Gardereiter seinem Optio, Cornutus Marcellinus übergeben, damit er mit einem kleinen Trupp Reitersoldaten seine Familie nach Bratananium begleiten konnte. In den vergangenen Monaten hatte es häufiger Überfälle auf Händler und Reisende auf der Straße zwischen Augusta Vindelicum und Bratananium gegeben. Die Beneficiarii der Stadtverwaltung hatten genug mit der Ruhe und Ordnung in der Hauptstadt zu tun, und die Stationes der Beneficiarii entlang der Straße waren meist nur mit einem Mann besetzt, so dass sie die Verfolgung der Räuber kaum aufnehmen konnten. Das galt auch für die Statio an der Wirmina, deren Streckenabschnitte so lang waren, dass es dem wachhabenden Beneficiarius kaum möglich war, alles zu überwachen. Caius hatte sich vorgenommen, das Problem anzugehen, wenn er von der Inspektionsreise mit dem Statthalter zurück war. Rufus hatte bereits sein Einverständnis signalisiert. Der Statthalter befand sich momentan in Cambodunum bei einer Versammlung raetischer und vindelischer Stämme. Die unterworfenen Völker hatten Anspruch auf diese Zusammenkunft mit dem Vertreter Roms, die auf dem dafür eigens angelegten Platz im Stadtzentrum von Cambodunum abgehalten wurde. Caius Velius Rufus, der Vertreter Roms, musste sich die Sorgen und Nöte der Peregrinen anhören, Streit schlichten und Recht sprechen.

      Die Reise mit Elvas und Alpina war für den Centurio eine willkommene Abwechslung. Nur mit Mühe hatte Caius seine Frau dazu überreden können, erneut in den Reisewagen zu steigen. Ein Jahr zuvor hatte sie einen schweren Unfall mit dem Wagen gehabt. Am Nachmittag erreichten sie die Mutatio, die ihnen von den Ereignissen damals noch in schlimmer Erinnerung war. Aus der Werkstatt kam der Wagenbauer Marcus Essibnus. Er strahlte.

      „Ave, Centurio Achilleus! Schön Euch und Eure Familie wieder zu sehen!“

      „Salve, Essibnus! Ich hoffe, es geht dir gut. Wärst du so freundlich, die Aufhängungen an unserer Raeda zu überprüfen? Meine Frau ist beunruhigt, und ich möchte sicher sein, dass meine Familie gesund ankommt.“

      Essibnus lächelte verschmitzt. „Na klar, Centurio! Ich mache mich gleich an die Arbeit!“

      Ein Pferdeknecht kam aus dem Stall und half die Zugtiere auszuschirren. Schließlich erschien auch der neue Pächter des Rasthauses. Er war ein älterer Mann mit stark verkrümmter Wirbelsäule und einem wilden roten Bart. Freundlich grüßte er den Centurio und seine Familie. „Mein Name ist Titus Pontius Honoratus. Ich habe in der Legio XII Fulminata gedient. Zunächst in Britannia und dann in der Provincia Lugdunensis. Nun bin ich Veteran.“

      Caius nickte freundlich. „Ich habe dafür gesorgt, dass diese Mutatio neu besetzt wird. Die Zustände waren untragbar!“

      Der neue Stationarius lächelte verständnisvoll. „Darf sich meine Frau um Eure Familie kümmern?“

      Auch Caius folgte den Frauen. Als er an der Kammer vorbeikam, in der seine Frau so schwer verletzt gelegen hatte, zogen die Bilder der verhängnisvollen Fahrt erneut vor seinem inneren