Melissa Jäger

Raetia


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hatte ein Einsehen mit ihm. Rufus war verhindert, er hatte seinen Besuch zum Festessen abgesagt. Sein Sohn hatte Geburtstag, weshalb er auch bereits die Einladung zur Hochzeit am vorherigen Tag abgelehnt hatte. Einzig zum Opfer vor dem Tempel der kapitolinischen Götter war er kurz erschienen, hatte dem Brautpaar Glück gewünscht und seine Unterschrift und sein Siegel unter den Ehevertrag gesetzt.

      Als Ilara aus ihrer Kammer kam, sah sie sehr gut aus. Lucius musste anerkennen, dass Celsa sie sehr schön frisiert hatte. Die Stirnhaare waren zu engen Locken aufgedreht, die langen Haare in einem langen Zopf schneckenartig auf den Hinterkopf gelegt und festgesteckt worden. Die blaue Tunika stand ihr hervorragend, wenn sie damit auch noch ein wenig blasser wirkte. Lucius trat auf sie zu und küsste sie auf die Wange. Ilara lächelte, vermied aber jeden Blickkontakt.

      Sie übernahm die Rolle der Hausherrin und versorgte alle Gäste aufs Vortrefflichste. Lucius begann sich zu freuen, eine so patente Frau gewählt zu haben. Sie ging völlig in ihrer neuen Funktion auf.

      Als es dunkelte, wurde er nervös. Die Schauspieler waren noch nicht da. Wieder und wieder fragte er die Hausdiener, doch keiner von ihnen wusste mehr. Schließlich erschien ein kleiner Trupp – allerdings ohne Glycera. Lucius war außer sich. Chloe war als einzige der Dienerinnen der schönen Schauspielerin dabei. Er nahm sie beiseite und fuhr sie an: „Wo ist Glycera? Es war ausgemacht, dass sie kommt! Sie sollte die Ariadne geben in dem Mimus, das ich mir zur Hochzeit gewünscht habe.“

      Chloe versuchte sich aus dem Klammergriff des kräftigen Kaufmanns zu winden. „Sie fühlt sich nicht wohl! Sie kann heute nicht auftreten!“

      Lucius holte aus, er war nahe daran, die Dienerin zu schlagen. Doch im letzten Moment besann er sich. Schließlich konnte die Dienerin nichts dafür. Es war Glycera, auf die er wütend war. „Richte ihr aus, dass ich sehr enttäuscht bin! Es hätte ihr Hochzeitsgeschenk an mich sein sollen. Nun denn.“

      Er drehte sich energisch um und rauschte davon.

      ***

      Claudius hatte sich sehr über das unsensible Verhalten seines Freundes Lucius am Hochzeitstag geärgert. Gleich nach der Entjungferung allen das blutige Zeugnis seiner Manneskraft zu zeigen, glich einer Machtdemonstration. Es war höchst demütigend für seine junge Frau Ilara. Claudius hatte versucht, mit seinem Freund darüber zu reden, aber Lucius war nicht bereit gewesen, ihm zuzuhören. Die ungesunde Mischung aus Wein, Adrenalin und schwarzer Galle, die in seinen Adern floss, machte ihn blind und taub. Ein Glück, dass Alpina sofort nach ihrer Schwester gesehen hatte. Leider blieb sie bei Ilara, und Claudius konnte nur auf das Festessen am kommenden Tag hoffen, um Alpina wieder zu sehen.

      Überraschend gelöst und selbstsicher präsentierte sich Ilara bei der Feier am darauffolgenden Tag. Sie überspielte Schmerzen und Kränkung gekonnt. Alpina trug die malvenfarbene Tunika, die er ihr geschenkt hatte und war so beschäftigt damit, ihrer Schwester zu helfen, dass es lange dauerte, bis er die Gelegenheit bekam, sie allein zu sprechen. Sie hatte sich auf einem Stuhl niedergelassen und betrachtete die vielen Geschenke, die für das Brautpaar auf einem Tisch im Atrium lagen.

      „Auch deine Hochzeit wird einen solchen Gabentisch haben, Alpina.“

      Sie erschrak, weil sie ihn nicht hatte kommen hören und drehte ruckartig den Kopf hoch. Dann entspannten sich ihre Gesichtszüge. „Nachdem du gestern das Flammeum von deiner Schwester erhalten hast, wirst du nun wohl die nächste Braut sein - wenn man dem alten Aberglauben trauen darf.“

      Alpina winkte ab. „Ich sagte dir doch bereits, Claudius, dass ich noch nicht vorhabe zu heiraten. Mein größter Wunsch ist es, weiter zu lernen. Ich möchte noch viel mehr lesen und verstehen und vor allem will ich von meiner Mutter das Handwerk der Obstetrix erlernen. Das braucht viel Zeit. Es ist schwer, in einer Situation, wo es um Leben und Tod geht, in der die Gebärende Angst und Schmerzen hat, die richtige Entscheidung zu treffen.“

      Nachdenklich blickte sie auf die Gläser, Kannen, Tonservice und Bronzeteller.

      Claudius wollte noch nicht aufgeben. „Was ist, wenn jemand deinen Vater um deine Hand bittet? Du bist dreizehn, das ist durchaus kein ungewöhnliches Alter für eine Verlobung oder gar eine Heirat.“

      „Wer sollte denn um meine Hand anhalten?“, fragte sie ungläubig und amüsiert. Sie sah dem jungen Ritter belustigt in die Augen.

      Sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Merkte sie denn nicht, dass er sie liebte? Ja, so war es! Er konnte sich nun endlich eingestehen, dass er sich in das widerspenstige Mädchen verliebt hatte.

      „Kannst du dir nicht vorstellen, dass du für Männer attraktiv bist, Alpina?“

      Sie schüttelte energisch den Kopf. „Sie mich doch an, Claudius! Ich bin nicht so schön und selbstsicher wie Ilara. Ist sie nicht eine wunderbare Ehefrau?“ Sie wartete ab, bis er zustimmend nickte. „Und ich habe auch nicht die erotische Ausstrahlung wie Glycera und ihre Dienerinnen, die allein durch ihre Anwesenheit die Blicke aller Männer auf sich ziehen. Ich bin ein Mauerblümchen! Ein raetischer Bauerntrampel mit einer seltsamen Vorliebe für lateinische und griechische Literatur und Wissenschaften. Der Mann, der mich einmal heiraten soll, muss auch ein seltsamer Kerl sein!“

      Ihre Blicke trafen sich erneut, und Claudius hätte Alpina am liebsten an sich gezogen und geküsst. Stattdessen sagte er lächelnd: „Ja, du hast sicher recht. Er ist ein seltsamer Kerl!“

      Er wollte gerade ansetzten, ihr zu gestehen, dass er sie liebte und sich nichts sehnlicher wünschte, als sie zur Frau zu bekommen, als sie jäh unterbrochen wurden. Lucius kam angepoltert und warf ein spöttisches Lächeln auf das Pärchen, das sich so angeregt unterhielt. „Also hier bist du, Claudius. Komm mit, ich muss unbedingt mit dir reden!“

      Zu gerne hätte Claudius den Freund ignoriert, doch Lucius griff ihn am Arm und zog ihn mit sich. Er fand an diesem Abend keine weitere Gelegenheit, um mit Alpina zu reden. Der Zauber des Augenblicks war ungenutzt verronnen.

      ***

      Dass Glycera nicht zum Mimus erschienen war und dafür Chloe die Ariadne in der Hochzeitszeremonie des Gottes Dionysos darstellte, ließ Ilara aufatmen. Sie konnte auch sehen, wie wütend Lucius über die Absage der Schauspielerin war. Ein Glück, dass er sie nicht anrühren durfte. So geladen wie ihr Mann war, würde sie sicher wieder Schmerzen und Schürfwunden davontragen. Das kleine Theaterstück war schön. Ilara liebte den Mythos von der Hochzeit des Weingottes mit der schönen kretischen Prinzessin, die so tapfer dem Theseus geholfen hatte und dann so schmählich von ihm im Stich gelassen worden war. Der gesamte Festabend verlief wunderbar. Sie füllte die Rolle der Hausherrin zur Zufriedenheit aller aus, wie die Gäste und die Familie bescheinigten.

      Balbina umarmte ihre Freundin herzlich, als sie sich von ihr verabschiedete. „Du bist Lucius eine wunderbare Frau! Er wird dich von Tag zu Tag mehr lieben – ganz sicher!“

      Ilara lächelte tapfer. Sie brachte es nicht übers Herz, ihre beste Freundin zu enttäuschen. „Das weiß ich!“, sagte sie und verabredete sich mit Balbina zum Thermenbesuch am kommenden Markttag. Bis dahin sollten ihre Wunden verheilt sein.

      Nachdem alle Gäste gegangen waren, und sie die Diener zu einer schnellen Aufräumaktion angetrieben hatte, zog sich Ilara in ihre Kammer zurück. Celsa hatte ihr bereits ein Sitzbad bereitet, und Ilara nahm es im hauseigenen Balneum, während sie einen Becher des wohltuenden Gebräus aus Elvas‘ Kräuterküche schlürfte. Sie fühlte sich besser nach diesem erfolgreichen Abend. Vielleicht könnte sie ja doch noch die Zuneigung ihres Gatten gewinnen!

      Auf dem Weg ins Cubiculum begegnete sie Lucius. Sie strahlte ihn an, und er nahm sie vorsichtig in den Arm. „Du bist wunderbar, Ilara!“ Er gab ihr einen Kuss und säuselte ihr ins Ohr: „Das nächst Mal wird es besser sein, Liebes! Außerdem gibt es ja noch mehr Methoden, meinen besten Freund glücklich zu machen!“ Seine Hände tätschelten ihr Hinterteil. Ilara schluckte. Sie war sich sicher, dass sie es nicht eilig damit hatte, diese Methoden zu erlernen. Statt auf seine Anspielung einzugehen, hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange und ging in ihr Cubiculum.

      Einige Zeit nachdem Ilara die Lampe gelöscht hatte, vernahm