K.P. Hand

Das Gold der Felder


Скачать книгу

werden mich nicht mehr an die Front versetzen und kämpfen lassen«, murmelte Capitaine Brix und schüttelte frustriert den Kopf, »stattdessen soll ich andere auf das Kämpfen vorbereiten.«

      Die darauffolgende Stille im Raum sprach Bände. Gérard wurde allmählich bewusst, worum es bei seiner Anwesenheit ging. Er hatte den Drang, sich zu entschuldigen, doch da schien sich der Capitaine zusammen zu reißen und wandte ihm mit einem dünnen Lächeln das Gesicht zu.

      »Nun denn …«, er las den Namen von dem Dokument ab, da er ihn vergessen hatte, » … Gérard. Wisst Ihr, welchen Aufgaben ein Sergent nachgehen muss?«

      »Der Sergent ist dem Capitaine verantwortlich und sorgt für die Ordnung in der Kompanie«, antwortete Gérard einstudiert.

      Der Capitaine lächelte dem anderen Soldaten zu, sie tauschten stumme Blicke aus, die vor Belustigung nur so sprühten.

      Sie schienen sich über seine Worte zu amüsieren, dabei konnte Gérard sich beim besten Willen nicht erklären, was er so falsches gesagt haben könnte. Man hatte ihm exakte Anweisungen gegeben, bevor man ihn hergeschickt hatte, und genau jene hatte er lediglich wiederholt.

      Er befolgte nur Befehle.

      »Verzeiht, Capitaine Brix«, wagte Gérard das Wort an diesen zu richten und sah zwischen den beiden Männern unsicher hin und her, »aber vielleicht sollte ich mich einfach meinen Aufgaben widmen. Kann ich irgendetwas für Euch tun?«

      Der Capitaine zog die dunklen Augenbrauen soweit nach oben, dass sie fast seinen Haaransatz berührten. »Etwas für mich tun?«

      Gérard nickte voller Tatendrang. »Wobei kann ich Euch helfen? Ich würde mich gerne sofort nützlich und mit allem vertraut machen.«

      Wieder tauschte der Capitaine mit dem anderen Soldaten ein Lächeln aus. Sie amüsierten sich ganz offensichtlich über Gérard, den die Arroganz seines Vorgesetzten allmählich auf eine Art zu reizen begann, die er so in jener ausgeprägten Form noch nie verspürt hatte. Er konnte sich nicht entsinnen, sich jemals derart über einen anderen Menschen geärgert zu haben wie über Brix, dabei konnte er nicht einmal benennen, was ihn eigentlich genau an diesem missfiel.

      »Ihr wollt etwas tun?« Der Capitaine fuhr sich mit seiner Hand über den Mund, um sich das Schmunzeln aus dem Gesicht zu wischen, doch das belustigte Funkeln in seinen hellbraunen Augen wollte einfach nicht abnehmen. »Na dann kommt mal mit.«

      Der Capitaine krümmte lockend einen Finger und bedeutete Gérard, ihm zu folgen.

      Er führte ihn durch das Lager, ohne ihm jedoch irgendetwas zu zeigen oder zu erklären. Mit einem erhobenen Kinn, die Hände in seinem leichten Hohlkreuz verschränkt, stolzierte er Gérard voraus, bis sie am Rande des Lagers ankamen.

      »Hier!« Der Capitaine gab den Blick auf die vollkommen friedliche Landschaft preis.

      Verwirrt trat Gérard neben ihn und betrachtete mit gerunzelter Stirn das Meer aus Pfirsichbäumen, das sich vor ihm am Fuße des Pic du Canigou ergoss. Eine leichte Windbrise blies durch die Baumkronen und zerrte an den rosafarbenen Blüten, einige segelten wie farbiger Schnee zu Boden. Mehr war nicht zu sehen.

      Fragend sah er den Capitaine wieder an.

      »Ihr wolltet doch etwas tun«, schmunzelte dieser humorlos und klopfte Gérard zum Abschied grob auf die Schulter. »Ihr könnt den Pfirsichen beim Wachsen zusehen.«

      ***

      Gérard konnte Brix nicht ausstehen. Und seine Meinung über den Capitaine schien sich mit jedem dahinfließenden Tag zu festigen.

      Es lag keineswegs daran, dass Gérard ihn für einen Faulpelz hielt, denn schon nach nur einer Nacht hatte er feststellen müssen, dass es in diesem Lager bis auf die üblichen kleinen Aufgaben überhaupt nichts zu erledigen gab. Der Capitaine hatte sich nicht nur über ihn lustig machen wollen, als er ihm vorschlug, den Pfirsichen beim Wachsen zuzusehen, er hatte ihm damit lediglich zeigen wollen, was es hier zutun gab: Nämlich gar nichts.

      Kein Feindesheer war in Sicht oder hatte gar die Absicht, hier einzufallen, keine aufständischen Bauern gingen umher, nicht einmal die wilden Tiere trieben ihr Unwesen. Es gab hier nichts und niemanden, den sie hätten zur Ordnung rufen müssen.

      Roussillon wurde vor vielen Jahren von den Engländern als Pfand an den König abgetreten, und der einzige Grund, weshalb hier überhaupt Kompanien stationiert wurden, war, um einfach nur präsent zu sein. Sie waren nur anwesend, um mit der Flagge des Königs zu winken.

      Was natürlich dazu führte, dass es rein gar nichts zu tun gab, außer in der Sonne zu liegen und den Bauernmädchen zuzusehen, wie sie über die Felder tanzten oder unten am Bächlein die schmerzenden Füße ins kalte Wasser hielten.

      Gérard versuchte, das Beste daraus zu machen, und anders als der erste Eindruck erweckt hatte, schien es dem Capitaine ebenso zu ergehen. Sie suchten Aufgaben für ihre Kompanie, um die Männer bei Laune zu halten, und sorgten dafür, dass sie nicht zu auffällig den Mädchen nachstellten, damit die Bauern nicht revoltierten. Der Capitaine ließ nicht zu, dass seine Männer aus der Übung kamen und striezte sie täglich bei einem kurzen aber intensiven Training.

      Brix war in der Kompanie sehr angesehen, was Gérard überhaupt nicht verstehen konnte. Der Capitaine war viel zu arrogant.

       Warum war er nur so gleichgültig?

      Und immer diese kühlen Blicke, mit denen er alles überwachte. Immer dieser gewisse Argwohn, der in seinen hellbraunen Augen schimmerte, wenn er sich mit jemanden unterhielt. Sein leicht hochgestrecktes, langes und spitzes Kinn, seine hochnäsige Nase und ihr markanter Hocker, der davon zeugte, dass der Knochen schon des Öfteren gebrochen worden war.

      Und natürlich seine unerschütterliche Fähigkeit, Gérard bis auf das Notwendigste zu ignorieren, selbst wenn dieser mit ihm sprach. Der Capitaine hatte sich bereits mehrfach mitten im Gespräch einfach abgewandt und war gegangen, Gérard mitten im Satz stehen lassend.

      War das zu fassen? Dieser arrogante Mann!

      Gérard fühlte sich hintergangen. Er hatte geglaubt, nach Roussillon versetzt zu werden, damit er echte Kampferfahrungen sammelte, stattdessen kam es ihm eher so vor, als hätten sie ihn schon aus dem Dienst entlassen.

      Es fühlte sich wie ein vorzeitiger Ruhestand an, obwohl Gérard sich seit dem Beginn seiner Ausbildung zum Schwertkämpfer nichts sehnlichster gewünscht hatte, als in eine echte Schlacht zu ziehen. Das musste offensichtlich warten.

      Um die Kunst des Schwerkampfes noch besser zu erlernen, hatte er sich weiter erniedrigen und den Capitaine geradezu anflehen müssen, ihn zu trainieren. Erst am dritten Tag hatte dieser sich erbarmt und sich Gérard in einem Duell gestellt.

      Doch statt ihm etwas beizubringen, hatte Brix ihn lediglich vor seinen neuen Kameraden innerhalb eines Wimpernschlags zu Fall gebracht und die Übungen damit beendet.

      »Übt lieber noch ein wenig mit den anderen, Bursche«, hatte er ihm geraten, sein Schwert in die Scheide gesteckt und war über ihn hinweggestiegen.

      Auch die restlichen Soldaten nahmen Gérard als Sergent überhaupt nicht ernst. Er war viel zu jung, um geachtet zu werden, und hatte noch in keiner Schlacht gedient, um sich ihren Respekt zu verdienen. Nur einer der Jüngeren war nachsichtig mit ihm. Der freundliche Jean mit den hellbraunen Haaren, die er immer zu einem Zopf zusammenband, nahm sich ein Herz und sprach wenigstens gelegentlich mit Gérard. Dieser war auch jener Soldat gewesen, der bei dem Capitaine gestanden hatte, als Gérard ihm die Empfehlung der Krone überreichte.

      Am Abend nach Gérards Blamage bei dem Duell, setzte sich Jean zu ihm. Er klopfte ihm auf die Schulter und ließ sich mit einem Seufzen neben ihm nieder. »Trink einen Becher davon, dann vergeht die Schmach.«

      Ohne hinzusehen, nahm Gérard den Becher Wein an sich und nahm einen kräftigen Schluck.

      Er lehnte mit den Armen auf einem Fass bei den Vorräten, starrte hinüber zu dem entfachten Lagerfeuer, dessen Funken in den nachtschwarzen Himmel schwebten, und beobachtete aus schmalen Augen