K.P. Hand

Das Gold der Felder


Скачать книгу

stieß Gérard nun aus, Brix nachäffend, und grinste dem Capitaine in Manier eines Bengels mitten ins Gesicht. »Geblockt! Und nicht umgefallen.«

      Brix lächelte, als hätte er Mitleid mit ihm. Dann zog er Gérard einfach die Beine mit dem Fuß weg und ließ gelassen das Genick rollen, als wäre er gerade aus einem Mittagsschlaf erwacht, und müsste sich erst einmal strecken.

      Gérard landete mit einem Grunzen auf dem Rücken, Staub wirbelte auf, und er konnte den Aufprall sogar als Kratzen in der Lunge spüren. Er hustete trocken.

      »Immer auf die Beine achten«, sagte Brix, der neben ihm ragte und von diesem Blickwinkel ebenso unwiderstehlich anziehend wie unausstehlich überheblich aussah.

      »Ihr seid kein wirklich zuvorkommender Lehrer«, stieß Gérard entkräftet aus. Ihm war zu heiß, er war gedemütigt und er wollte einfach liegen bleiben.

      Brix sah auf ihn herab. »Das mag daran liegen, dass ich Soldat und kein Lehrer bin.«

      Gérard konnte es sich nicht verkneifen, zu erwähnen: »Das sieht die Armee wohl anders.«

      Mit einer eisernen Miene ging Brix neben ihm in die Hocke, sodass Gérard bereits die Augen zusammen petzte, weil er befürchtete, für sein freches Mundwerk gerügt zu werden.

      Brix stieß die Spitze seines Schwerts in den trockenen Boden, drehte es hin und her, als müsste er sich davon abhalten, es zu gebrauchen, und sah Gérard mit einem sehr ernsten, fast grimmigen Blick in die dunkelblauen Augen. Dann beugte er sich zu ihm runter und sagte leise mit rauer Stimme: »Ich weiß, dass du mich beobachtest.« Brix stand abrupt auf und ging mit großen, schweren Schritten ohne ein weiteres Wort davon.

      Gérard schloss die Augen und rammte den Hinterkopf auf den Boden. »Merde …«

      ***

      Seit diesem Vorfall ging Gérard morgens nicht mehr zum Bach, um Brix zu beobachten.

      Gérard versuchte, ihm weitestgehend aus dem Weg zu gehen, was überhaupt nicht einfach war, da er ihn über alles in Kenntnis setzen musste, was in der Kompanie vor sich ging, und weil er ihm sozusagen ständig zur Verfügung stehen musste.

      Jeden Nachmittag suchte Brix nach ihm und beorderte ihn zu den Übungsplätzen. Brix war ein strenger Lehrer, der es liebte, seine Autorität zu unterstreichen, in dem er Gérard immer wieder auf den Boden beförderte. Außerdem hielt er nichts von Übungsschwertern aus Holz, weshalb Gérard vermehrt Schnittwunden von den Lehrstunden davontrug, auch eine Schutzrüstung durfte er nicht überziehen. Sie kämpften mit echten Schwertern, mit nichts als Leinenhemden und Lederhosen am Leib.

      »Lernt, Euch zu verteidigen, wenn Ihr keinen Schutz tragt«, erklärte Brix in seinem üblich autoritären Tonfall, »lernt, gegen einen Gegner zu kämpfen, der ohne Rüstung viel schneller ist. Wenn ihr nackt kämpfen könnt, ist Eure Rüstung nur noch eine Absicherung. Ein Schutz, der Euch beruhigt.«

      Gérard war ein ungenügsamer Schüler. Je mehr Zeit er mit Brix auf dem staubigen Boden des Übungsplatzes verbrachte, je mürrischer wurde er.

      Brix war unausstehlich, er hatte ständig das Bedürfnis, Gérards Fehler aufzuspüren und dann ohne Gnade auszunutzen. Gérard kam natürlich nicht in den Sinn, dass Brix ihm damit half, sich zu verbessern. Aber in jener Hinsicht war Gérard ebenso trotzig, wie Brix überheblich war.

      Ich bin ein guter Kämpfer! Sonst hätten sie ihn wohl nicht zum Sergent gemacht. Er wollte nur, dass Brix seine Talente anerkannte. Brix sollte ihn nur ein einziges Mal loben und seine Fähigkeiten bewundern. Mehr wünschte er sich gar nicht.

      Stattdessen wurde er wie ein Kind behandelt, dass gezüchtigt werden musste.

      Brix schien gewillt, seine Wut über sein derzeitiges Dasein an Gérard auszulassen, der von allen am wenigsten etwas dafürkonnte, dass er Brix` Schüler und möglicher Nachfolger sein sollte.

      Seine fünfte Lehrstunde endete damit, dass Brix ihm das Schwert aus der Hand schlug.

      Gérard zischte scharf und presste die blutende Hand gegen die Brust. Umgehend färbte sich sein Hemd rot, und in seinem Handballen breitete sich ein schmerzhaftes Brennen aus.

      Brix seufzte unglücklich, mal wieder enttäuscht von Gérard.

      »Wie oft soll ich Euch noch zeigen, wie Ihr einen nach unten geführten Schlag pariert, Sergent?«

      Dass Gérard seinen Daumen hätte verlieren können, schien Brix nicht zu interessieren.

      Gérard starrte nur wutentbrannt zu Boden, weil er sich zunehmend zusammenreißen musste, nicht seiner Weißglut zu verfallen und dem Capitaine einen Faustschlag ins Gesicht zu verpassen.

      Oh wie gerne er gerade in jenem Moment auf ihn eingedroschen hätte.

      Brix trat auf ihn zu und streckte fordernd die Hand aus. »Zeig mal her!«

      Immer dann, wenn er so nahekam, dass nur Gérard ihn hören konnte, wurde seine Stimme rauer und seine Anreden vertrauter. Aus dem förmlichen Sergent wurde dann einfach Gérard.

      »Jetzt zeig schon her!«, meckerte Brix, als Gérard ihn nur anstarrte. Er packte Gérards Handgelenk und riss die verletzte Hand zu sich heran. Doch er ging erstaunlich behutsam vor, als er die Handfläche schließlich nach oben drehte und den Schnitt in der warmen Sonne begutachtete. Er strich sanft mit dem Daumen das Blut aus der Wunde, um zu sehen, wie tief seine Klinge ins Fleisch geschnitten hatte.

      Gérard konnte derweil nicht seine verträumten Augen von Brix` Gesicht nehmen, er sperrte sogar den Mund auf wie ein Nesthäkchen, das auf Futter wartete, da ihm der Atem wegblieb. Brix war ihm so nahe, er konnte jedes Fältchen und jeden Tropfen Schweiß auf dessen Gesicht erkennen, seine Wärme spüren, die von ihm abstrahlte, und seinen würzigen Geruch nach Leder und Staub einatmen. Gérard hatte nie etwas Aufregenderes erlebt, als jenen Moment, als er Brix so nahe war, dass er sich nur hätte vorbeigen müssen, um dessen Wange mit den Lippen zu berühren. Schmerzen spürte er plötzlich keine mehr, allerhöchstens sehr gedämpft, wie das Verhallen eines Brüllens in den Bergen.

      »Halb so wild«, entschied Brix. Seltsamerweise schien es so, als beruhigte ihn das. Vielleicht hatte er sich Sorgen gemacht, dass er gerügt werden würde, wenn er seinem Sergent den Daumen abgetrennt hätte.

      »Genug für heute«, entschied Brix. Gérard hätte ohnehin nicht weiterkämpfen können. »Lass die Wunde versorgen. Morgen werden wir wieder an deiner Haltung arbeiten.«

      Es lag wohl einfach in Brix` strengem Wesen, seinem Sergent selbst bei einer Verletzung keinen Ruhetag zu gönnen. Aber Gérard störte sich nicht daran, denn auch wenn ihm seine Gefühle gegenüber Brix peinlich waren und er sich mächtig über dessen Verhalten ärgern konnte, kostete er doch jeden winzigen Augenblick mit ihm zusammen aus.

      Gérard sah ihm nach, als er verschwand und spürte noch lange dessen Berührung auf seiner Haut nachbrennen. Der blutige Schnitt tat längst nicht so weh wie die unerfüllte Sehnsucht, die seinen Magen mehr und mehr verkrampfte.

      ***

      Das nahegelegene Dorf feierte am Abend eine Hochzeit, zu deren Fest aus Höflichkeit auch die Kompanie eingeladen wurde. Die Provinzler sahen sich wohl in einer Art Pflicht, die Männer der Armee mit Respekt zu behandeln. Als hätten sie Furcht davor, sollte wiedererwarten irgendjemand dem Dorf schaden wollen, dass die Soldaten ihnen nicht helfen würden, weil sie nicht zu einem Fest gebeten wurden.

      Nichtsdestotrotz wurden finstere und argwöhnische Blicke der Väter hin und her geworfen, während sie ihre jungfräulichen Töchter, deren Weiblichkeit bereits erblüht war, hüteten wie ihre Augäpfel.

      Gérard hielt sich abseits, während seine Kameraden Wein tranken, vom einem köstlich aussehenden Braten kosteten, lachten, mit den Damen tanzten und schäkerten. Je tiefer die Nacht wurde, je mehr Männer verkrochen sich mit ihrer Angebeteten in irgendeiner Scheune oder Hütte.

      Gérard hielt sie nicht auf, sie würden ohnehin nicht auf ihn hören. Sie hätten vielleicht auf Brix gehört, doch der Capitaine