Hedwig v. Knorre

DAS Erste Große BetrugsOpferBUCH


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kritisch diskutiert. Meine Kommiliton-Innen erlebten ihre eigene Verantwortlichkeit geringer als meine, auch in Testverfahren wurde es sichtbar. Ich weiß selbst, dass ich mich mitverantwortlich fühle, wo andere in meinem Umfeld keine Mitverantwortung erkennen. Ich akzeptiere mich selbst mit dem Maß meiner Verantwortlichkeit und achte darauf, mich nicht zu überfordern. Wenn es mir gelingt, meiner mir innewohnenden Verantwortlichkeit zu genügen, fühle ich mich zufrieden. Dabei ist mir klar, dass Menschen verschieden sind, auch in Bezug auf das Maß ihrer Verantwortlichkeit. Es ist kein Problem für mich, zu akzeptieren, dass andere Menschen weniger Verantwortung übernehmen als ich. Da ist meine Philosophie „jedeR tut, was er kann, dann kommen wir voran!“

      Macht im Sinne von Verantwortung

      Macht ist ursprünglich ein neutraler Begriff. Als Mutter hatte ich Macht über meine kleinen Kinder. Das bedeutete für mich in erster Linie und als einziges: Verantwortung. Ich war dafür verantwortlich,

       meinen Kindern zu Essen zu geben

       meinen Kindern eine warme behagliche hygienische Wohnumgebung zu bieten

       meinen Kindern alle ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen zukommen zu lassen

       meine Kinder regelmäßig zum Zahnarzt zu bringen

       meine Kinder im Krankheitsfall zu pflegen

       meinen Kindern bei Bedarf ärztliche Versorgung zu ermöglichen

       dass meine Kinder zu Kindergarten und Schule gehen

       mit allen Sachen, die sie dafür brauchen

       dass meine Kinder Kleidung für jede Gelegenheit im Schrank haben

       dass meine Kinder Geburtstag feiern mit Geschenken und ihren Freunden

       und schöne Geschenke mitbringen auf die Geburtstagsfeiern ihrer Freunde

       für die psychische Gesundheit meiner Kinder

       für die Erziehung meiner Kinder: Höflichkeit, Tischmanieren usw

       kurz: für ihr Wohlergehen, ihr gesundes integres Heranwachsen

      Damit war ich sehr beschäftigt. Wenn es mir annähernd gelang, all diesen Anforderungen gerecht zu werden, war ich zufrieden mit mir. Phasenweise erlaubten es die Umstände nicht: musste ich arbeiten, kam ich „halbtot“ vom stressigen Dienst nach Hause zu den vereinsamten Kindern. War ich fort, konnte ich mich nicht um sie kümmern. War ich dann für kurze Zeit zu Hause, konnte ich mich auch nicht um sie kümmern, weil die Zeit kaum für die nötigste Hausarbeit reichte. Auch das Geld reichte nicht für den Bedarf heranwachsender Kinder. In diesen Zeiten „erdrückte“ mich meine Verantwortung. Ich fühlte mich überfordert und war es auch. Es mündete richtig gehend in Verzweiflung. Dennoch hörte ich nicht auf, mich verantwortlich zu fühlen. Es war mir bewusst. Verantwortlichkeit war meine Grundhaltung.

      Als Hebamme hatte ich Macht über die Säuglinge und Mütter in „meinen“ Zimmern in der Klinik. Auf sie traf das gleiche zu wie auf meine Kinder. Auf meiner Arbeit wusste und fühlte ich mich verantwortlich für die Säuglinge und ihre Mütter. Auf alles, was sie betraf, achtete ich, lief viele Wege und ließ Pausen ausfallen, um ihnen zukommen zu lassen, was sie brauchen.

      So fühlen und erleben sich verantwortliche Menschen in Machtpositionen, egal auf welcher Hierarchieebene. Gewöhn-lich reflektieren sie das nicht, es ist selbstverständlich. Ebenso fühlt auch der verantwortliche Chef eines Unternehmens wie z.B. Herr Schmutz von „Putzmeister“ oder Herr Werner von „dm“. Und eigentlich erwarten normale Menschen von denen in hohen Positionen, dass sie sich ihrer großen Verantwortung bewusst sind.

       Betriebsführung, 1987, Herstellung von Fässern. Zum Teil wurde in diesen Fässern leicht brennbare, hoch explosive Flüssigkeit nach Übersee transportiert, darum waren die Vorschriften an Material und Herstellung sehr streng. „Wenn ein Fass bei Seegang aus mehreren Metern Höhe herunter auf die Kante fällt, muss es absolut dicht blieben! Kein Sprung darf entstehen, nicht mal ein Zehntel Millimeter, sonst steht sofort das ganze Schiff in Flammen – und dann bin ich dran!“ erklärte unser Führer, ein Geschäfts-führer. Ich erschrak. „Können Sie denn nachts noch schlafen?“ fragte ich. Angerührt und leicht verunsichert antwortete er ehrlich: „wenn ich weiß, dass so eine Ladung unterwegs ist, lieg' ich wach und erst, wenn sie gut angekommen ist, schlafe ich wieder. Das geht an die Substanz!“

      Aus diesem Grund streben viele hoch kompetente Personen keine hohe Position an. Ich habe viele, viele Menschen kennen gelernt, die aufgrund ihrer überragenden Fähigkeiten plus Berufserfahrung für höhere Positionen geeignet waren, sie aber nicht anstrebten. Sie sagten: „der Verantwortungsdruck wäre mir zu groß“.

      Es gibt allerdings auch heute noch Systeme, in denen die Führungspositionen von verantwortlichen Personen bekleidet werden. Meist sind das gewachsene Strukturen, in denen die „untergebenen“ MitarbeiterInnen die Verantwortlichkeit ihrer Führung durchgängig erleben und sich entsprechend mit dem Unternehmen identifizieren. Diese Unternehmen zeichnen sich durch geringe Mitarbeiterfluktuation und hohe Mitarbeiter-zufriedenheit aus.

      Die DESTRUKTIVEN an der Macht

      Psychopathen und Betrüger, die Menschen ohne Gewissen, können als destruktive Persönlichkeiten definiert werden, kurz „die DESTRUKTIVEN“. Sie kennen keine Verantwortung, weder Eigenverantwortung noch Mitverantwortung. Verantwortung ist für sie Dummheit, ebenso wie Liebe und Wahrheit und andere gute Werte. Hohe Positionen schrecken sie demnach nicht mit ihrem „Verantwortungsdruck“. Machtpositionen sind für sie einzig und allein dazu da, um missbraucht zu werden – so nenne ich es, so nennen es normale Menschen. Die DESTRUKTI-VEN sehen das natürlich anders. In ihren Augen ist das der einzig mögliche und sinnvolle Gebrauch einer Machtposition: „dazu strengt man sich doch an, da hin zu kommen!“ Sie nutzen ihre Machtposition, um Menschen zu erniedrigen und auszu-beuten, veruntreuen immense Geldsummen und wissen all das phantasievoll auf charmante Weise zu vertuschen. Dieser MachtMISSBRAUCH, an den wir alle gewöhnt sind, klebt längst untrennbar am ursprünglich wertneutralen „Macht“-Begriff und ist umgangssprachlich damit gefüllt.

      Gewissen und Gehorsam

      Normale Menschen, die ein Gewissen haben und in Hierarchien eingebunden sind – und das sind fast alle - neigen dazu, dem Gehorsam Priorität einzuräumen gegenüber ihrem Gewissen.

      Das zeigte sich in besonderer Brutalität in Deutschland während des dritten Reiches: die Deutschen waren ja ein ganz normales Volk voller normaler Menschen, von denen sich doch beängsti-gend viele an der Vernichtung ihrer Mitmenschen beteiligten. Dies Phänomen wurde später Gegenstand zahlreicher Untersu-chungen und Veröffentlichungen: „wie konnte das sein?“ Auch andere Völker betrieben oder betreiben ihre Völkermorde, doch das dritte Reich war gut geeignet für Untersuchungen: es lag nicht lange zurück; es war definitiv beendet; viele Deutsche öffneten sich der kritischen Geschichtsforschung und der Reue. Darum gibt es viel Literatur, die „die Banalität des Bösen“ (Han-nah Arendt) zum Inhalt hat: „ich hab' nur meine Pflicht getan“ sprich: gehorcht.

      Diesen Mechanismus weist auch das Milgram-Experiment detailliert nach. In unserem Zusammenhang ist das, was dieses Experiment nachweist, ein Kernstück fürs Gesamtbild.

      Das Milgram – Experiment...

       ...wies nach,

       dass Menschen dazu neigen,

       in Hierarchien

       nicht eigenverantwortlich zu agieren,

       sondern

       Anweisungen / Befehlen zu gehorchen.

      Der ganze Ablauf des Milgram-Experiments ist wie ein Theaterstück inszeniert, bei dem alle eingeweiht sind, nur nicht