Hedwig v. Knorre

DAS Erste Große BetrugsOpferBUCH


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      Soziale Tendenz

      Die Fachterminologie der Sozialwissenschaften unterscheidet sich von der Umgangssprache. „Sozialverhalten“ benennt in der Fachsprache jegliches Verhalten von Mensch zu Mensch. Beispiel: „ich schlage dich tot“, auch das ist im Fachverständnis Sozialverhalten: „ich mache etwas mit dir“. Der Begriff „Prosoziales Verhalten" entspricht dem umgangsprachlichen Begriff „Sozialverhalten“ und bedeutet: ein Mensch tut etwas zum Wohl einen anderen Menschen oder strebt es an.

      Der Begriff „soziale Tendenz“ bezeichnet die innere Motivation zum Sozialverhalten. Eine prosoziale Tendenz ist demnach das innere Bedürfnis, dass es anderen Menschen gut gehen soll. Die prosoziale Tendenz motiviert, etwas für andere Menschen zu tun. Die soziale Tendenz gilt in einem gewissen Spektrum als angeboren.

      Beispiel aus der Forschung

      Während meines Studiums lehrte auch ein erfahrener Pädagogikprofessor. Er hat mit seinen Studenten ein sehr inte-ressantes Gebiet erforscht: die menschliche Veranlagung in Bezug auf die soziale Orientierung.

      Geforscht wurde in Kindertagesstätten, wo kleine Kinder versorgt wurden, zwischen 9 Monaten und 2 Jahren. Selbstverständlich wurde der soziale Hintergrund jedes Kindes gründlich erhoben - alleinerziehende, überlastete Mutter – oder liebevolle – oder süchtig-aggressive Großfamilie usw.

      Auffällig war, dass dieser soziale Hintergrund in der Kinder-gruppe in diesem Alter tatsächlich noch kaum zum Tragen kam. Dies beginnt erst deutlich sichtbar ab dem Alter von ca. 2 Jah-ren. So war es möglich, zu beobachten, in wie weit Tendenzen des Sozialverhaltens angeboren sind.

      Die Studenten beobachteten das Sozialverhalten dieser kleinen Kinder. Sie saßen nur mit ihren Beobachtungsbögen an der Seite, nahmen keinen Blickkontakt auf und wurden darum von den Kleinen nicht wahrgenommen. JedeR StudentIn beobach-tete ein Kind und notierte jede Handlung minutengenau. Später wurden die Daten im Seminar zusammen getragen.

      Zum Beispiel tat sich ein Kleines weh und weinte.

      Wie reagierten die anderen?

       Eins fährt gerade mit einem Spielzeugauto umher. Es stockt, hält im Fahren inne, rührt sich aber auch nicht vom Fleck. Es nimmt wahr: "Störung“, spielt nicht weiter, ist blockiert, handelt aber nicht.

       Ein anderes Kind hält kurz inne in seinem Spiel, „Störung“, schaut zur Seite auf das weinende Kind. Nicht wichtig – es spielt weiter.

       Ein weiteres Kind lässt stehen und liegen, was es gerade tut, bewegt sich zu dem weinenden Kind hin und wird aktiv: streichelt, tröstet, macht eine Erzieherin aufmerksam – es probiert, es klappt.

       Wieder ein anderes findet das Weinen interessant. Haut nochmal drauf - "das kann ich auch, macht Spaß!" - ja, sogar das kam vor.

      Diese unterschiedlichen Veranlagungen machen keine Heiligen aus den einen und keine sadistischen Verbrechern aus den anderen. Entwicklungspsychologisch hier ist gute Erziehung gefragt, die individuell die Stärken und Schwächen des einzelnen Kindes lenkt, Grenzen setzt, Verständnis und Werte vermittelt.

      Prägung • Erworben

      Zu dem, was ein Mensch mitbringt, kommt das, was die Umgebung aus dem Menschen macht, die bekannte „Prägung“. Mutter und Familie, Nachbarschaft und Gesellschaft, peer-groups und Schule, all diese hinterlassen Spuren, prägen gewissermaßen die Persönlichkeiten – wobei Menschen wiederum unterschiedlich auf diese Inputs reagieren.

      In diktatorischen Strukturen werden die einen zu Mitläufern, die anderen zu aktiven Mit-Tätern, wieder andere zu Widerständ-lern. Wie kommt das?

      Mehrere Forschungsbereiche widmen sich diesen Phänomenen, zum Beispiel die Zwillingsforschung an eineiigen Zwillingen, die in unterschiedlicher Umgebung aufwuchsen.

      Wie entsteht Psychopathie?

      M.Stout bezeichnet als Soziopathie, was allgemein unter Psychopathie verstanden wird. Nach ihrer Terminologie entspricht es der antisozialen Persönlichkeitsstörung. Doch dazu später mehr.

      Aus ihrer Sicht spielen kulturelle Einflüsse offenkundig eine wichtige Rolle bei der Entstehung oder dem Ausbleiben von Soziopathie in einer gegebenen Bevölkerung. Nach ihrer Recherche liegt der ungefähre Durchschnitt bei 4 % in der westlichen Welt. Dagegen scheint Soziopathie in einigen ostasiatischen Ländern relativ selten aufzutreten, insbesondere in Japan und in China. In ländlichen Regionen wie auch in Städten Taiwans wurde mit 0,03 bis 0,14% eine bemerkenswert niedrige Verbreitung der antisozialen Persönlichkeitsstörung festgestellt. Dies erklärt sich M.Stout mit der Tatsache, dass dort destruktives Verhalten einfach nicht toleriert wird. Beispielsweise lässt dort niemand zu, dass Tiere gequält werden. Im Gegensatz dazu „...scheint die Verbindung der Soziopathie in den USA zuzunehmen. Die vom <National Institute of Mental Health> (Staatliches Institut für geistige Gesundheit) 1991 durchgeführte <Epidemoologic Catchment Area Study> (Studie zur Ermittlung von Inzidenz- und Prävalenzraten wichtiger psychiatrischer Störungen) berichtet, dass sich die Verbreitung der antisozialen Persönlichkeits-störung unter jungen US-Bürgern in den 15 Jahren vor der Studie fast verdoppelt habe. Es wäre schwierig, wenn nicht gar unmöglich, einen so dramatischen Anstieg genetisch oder neurobiologisch zu erklären.“

      (M.Stout, Der Soziopath von nebenan, S.168/169)

       2013. Englischsprachiger Raum. Lehrerin einer Sonderschulklasse für verhaltensauffällige Kinder, Mitte 50, sehr gut fortgebildete, erfahrene und engagierte Lehrkraft. Sie besorgt dem hochbegab-ten Viertklässler die Matheaufgaben für Abiturienten, damit er ausgelastet ist, und ist Lerntherapeutin für Lernverweigerer: „bei mir lernt jedes Kind lesen, und wenn's auf den Samentütchen für den Garten ist!“

       Einer ihrer Schüler, 8 Jahre alt, bringt sie an ihre Grenzen. Er zerstört regelmäßig und systematisch, ist gewalttätig. Keine ihrer phantasievollen konstruktiven Angebote erreichte diesen Jungen. Er hat einen guten familiären Hintergrund, zwei Schwestern, nette normale Eltern – die inzwischen längst an ihren Grenzen sind mit dem Sohn. Nicht einmal nachts ist Ruhe. Mitten in der Nacht steht er auf, geht ins Zimmer der Schwestern, zieht der jüngeren die Decke weg und sticht sie mit einem Küchenmesser. Sowas kommt ihm öfters in den Sinn, es ist keine Ausnahme. Inzwischen schläft das Mädchen im Kleiderschrank eingeschlossen aus Angst vor ihrem Bruder.

       Einmal verliert diese hervorragende Lehrerin die Nerven. Sie schmeißt den Jungen aufs Matratzenpolster und schreit ihn an, „mit dir ist es nicht zum Aushalten, du bist schrecklich und widerlich und ich wünschte, dich gäbe es nicht!“ Gleichzeitig weiß sie, dass sie sich unmöglich verhält: „wenn mich jemand gesehen hätte, das hätt' mich meinen Job gekostet!“ So geht sie sonst nie mit Kindern um.

       Doch von diesem Moment an „ging“ es in ihrer Klasse mit diesem Jungen. Er benahm sich. Er wirkte auch nicht verunsichert, verstört, irritiert, verhalten aggressiv.

      Ich frage mich natürlich, ob sie es mit einem psychopathischen oder gar soziopathisch veranlagten Jungen zu tun hat. Vieles spricht dafür. Allerdings könnte auch eine versteckte Traumatisierung vorhanden sein, die nach einer klaren Grenze verlangte, wobei diese außerordentlich gute Lehrkraft selbstverständlich ein großes Repertoire an guten Möglichkei-ten hat, gesunde Grenzen zu setzen. Das alles hatte bei diesem Jungen ja nicht gewirkt. Zurzeit haben wir keine Möglichkeit, diese Unterschiede eindeutig festzustellen.

      In Bezug auf unsere Thematik gibt es große Forschungslücken, viel Fehlinformation und darum unproportionale Darstellungen. Dies Buch soll wesentliche Informationen vermitteln, offene Fragen thematisieren und einige Lücken füllen, wenn es auch nur grob möglich ist, nicht in jedem Teilbereich detailliert. Damit verhilft es zu größerer Klarheit und regt hoffentlich zu weiterer detaillierter Forschung an mit dem Ziel, das Zusammenleben der Menschen auf diesem Globus von menschlicher Destruk-tivität zu befreien.

      Differentialdagnostik