Jochen Sommer

Carmen im Kopfhörer


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und fernsehlos im Hintergrund zu sitzen, gewöhnte Rainer sich an, in ein nahe gelegenes Lokal zu gehen, wenn Ludwig kam. Zeitungslesend saß er am Tresen, beobachtete die anderen Männer, die bereits ihre Freiheit zurück hatten und wartete. Wartete auf das Nachhause gehen, wartete auf irgendein Anzeichen, dass Beate endlich auf die Idee gekommen war, ihr Verhältnis zu Ludwig in Rainers Sinn zu vervollständigen.

      Eines Abends, als Rainer aus seinem Stammlokal kam, war Ludwig bereits gegangen. Beate saß Wein nippend auf der Couch, und Rainer öffnete weit die Fenster. Der Abend war schwül gewesen, Gewitterwolken zogen von West nach Ost, doch hier im Zimmer war die Schwüle besonders drückend.

      Unter Beates abschätzendem Blick zog Rainer seinen Sessel näher zum Tisch und nahm sich ebenfalls ein Glas Wein. Er musste nicht erst überlegen, warum Beate ihn so abschätzig musterte, denn sie fragte sofort, wie viele Jahre sie eigentlich verheiratet seien.

      „Dreiundzwanzig glückliche Jahre, Schatz“, antwortete Rainer und war sicher, dass er die Kampfzone bald würde ausweiten können.

      „Dreiundzwanzig Jahre“, nickte Beate und nahm ein Schlückchen aus ihrem Glas, „dreiundzwanzig Jahre Glück.“

      „Glück und Treue“, betonte Rainer. „Das ist eine lange Zeit. Eine sehr lange Zeit.“

      Beate legte die Arme breit auf die Rückenlehne der Couch und sagte: „Ich glaube, dass nichts dieses Glück gefährden könnte.“

      „Nein“, lächelte Rainer und achtete darauf, dass sein Lächeln nicht triumphierend wirkte, „nichts. Dafür sind wir zu alt.“

      Zu alt war sie eigentlich nicht, dachte Beate, als sie am nächsten Nachmittag beim Friseur saß und in den bunten Zeitschriften blätterte, die dort auf dem Tisch lagen.

      Nur ein bisschen altmodisch kam sie sich im Augenblick vor. ‚Durch Horst erst lernte ich meinen Mann wieder lieben’, schrieb da eine Leserin dem Zeitschriftenpsychologen. In den übrigen Heften fand sie ähnliche Berichte, in denen alte Ehen durch Impulse von außen aufgefrischt wurden.

      Auch ihrer eigenen Ehe, fand Beate, täte eine Auffrischung bestimmt gut, denn Rainers Gleichgültigkeit hatte in den letzten Wochen deutlich zugenommen. Er kam offenbar nicht mehr auf die Idee, dass sie, Beate, auch für andere Männer attraktiv sein könnte. Es war kein Kompliment, wenn Rainer sie bedenkenlos mit Ludwig allein ließ und lieber in dieses stickige Lokal ging.

      Beleidigend, stellte Beate fest, war Rainers Vertrauen in jedem Fall. Und beleidigen ließe sie sich nicht.

      Der Count-down hatte begonnen; das spürte Rainer, ging zum Abteilungsleiter und beantragte Urlaub für die Zeit danach. Er hielt es für klüger, in den ersten Wochen nach der Trennung nicht greifbar zu sein, einfach fortzufahren, bis sich Beate an ein Leben ohne ihn gewöhnt hatte. Mallorca oder Gran Canaria schien ihm weit genug. Schäkernd und frei würde er an tropischen Tresen sitzen und sein Leben neu planen.

      Doch zuerst galt es Beate zu überführen. Die Abende, an denen Ludwig kam, schieden aus; dafür war Rainers Rückkehr aus seinem Stammlokal zu unregelmäßig. Zu regelmäßigen Zeiten kam er nur aus dem Büro zurück. Also würde es während der Arbeitszeit geschehen, folgerte Rainer.

      Es war ein Donnerstag, an dem Ludwig nicht im Büro erschien.

      „Der ist mal wieder beim Arzt“, sagte ein Kollege zu Rainer, als der in der Mittagspause erst Ludwigs Abwesenheit bemerkte.

      „Seltsam“, sagte Rainer, „mir ist heute auch elend.“ Er meldete sich schnell krank und fuhr nach Hause.

      Der Tag schien wie jeder andere zu sein. Rainer parkte sein Auto vor dem Haus, registrierte die von der Schule heimkehrenden Nachbarskinder und ließ sich Zeit. Ludwig saß in der Falle und konnte ihm nicht entkommen.

      Hinter der Wohnungstür im Erdgeschoss dröhnte laute Musik – Beethoven. Rainer fand das angemessen und schritt auch so die Treppen empor.

      Als er die Korridortür öffnete, sah er Beate, die sich, einen Packen Bettwäsche auf dem Arm, durch die Schlafzimmertür zwängte.

      „Du bist schon da?“, lächelte sie betroffen und stopfte die Wäsche in die Waschmaschine. Dann begrüßte sie ihn, wie sie ihn seit der Verlobungszeit nicht mehr begrüßt hatte.

      Rainer befreite sich mühsam und schritt misstrauisch durch die Wohnung. Doch Ludwig fand er nicht. Weder in den Zimmern, noch in den Schränken oder unter den Betten.

      Ludwig begegnete ihm erst wieder am nächsten Morgen, als der mit einem Versetzungsantrag zum Personalbüro ging.

      „Die Arbeit im Archiv hat mich schon immer interessiert“, murmelte Ludwig und deutete auf die Papiere in seiner Hand. Er sah heute ziemlich blass aus.

      Rainer dachte an die unerfüllten Hoffnungen, die er in diesen jungen Mann gesetzt hatte und sagte abweisend: „Ich glaube, die Ruhe da unten wird Ihnen guttun, gesundheitlich.“

      Das glaubte Ludwig inzwischen auch. Für einen Vormittag wie den gestrigen bei Beate war er eben nicht geschaffen. Wäre er doch bloß zum Arzt gegangen.

      B wie Bogart

      Er war wirklich ein seltener Vogel, dieser Fischreiher. Geschützt von Paragraphen und unbehelligt von den wesentlich kleineren Möwen flog er dicht über der Wasseroberfläche, schnappte mit einer beiläufigen Kopfbewegung einen Fisch und stieg bedächtig höher.

      Mit seiner glitzernden Beute im Schnabel überquerte er den Strand von Zandvoort, ohne sich um die vielen Lebewesen dort unten zu kümmern.

      Nicht einmal um Beate, die auf ihrem dunkelblauen Strandtuch saß und gerade beschlossen hatte, ebenso modern zu sein wie die anderen Frauen. Scheinbar selbstverständlich streifte sie die Träger ihres Badeanzugs über die Arme, drehte das Oberteil zu einer stützenden Rolle unter der Brust zusammen und cremte sich ein. Ganz dick trug sie das Sonnenöl auf, um die ungewohnte Freiheit schadlos zu überstehen.

      Barbusig saß sie nun da und befürchtete insgeheim, dass jemand daran Anstoß nehmen könnte. Doch das tat niemand – außer Rainer. Das Badetuch um die schmalen Schultern gelegt stand er plötzlich vor ihr, und Beate spürte die Empörung, die in seinem Blick lag.

      Sehen konnte sie sie allerdings nicht, denn er hatte sich eine dieser verspiegelten Sonnenbrillen gekauft.

      „Wartest du schon lange?“, fragte er, ihren glänzenden Busen ausdrücklich ignorierend.

      „Nicht so sehr lange“, lächelte sie und freute sich, dass ihr Gatte hier am Strand ebenso modern sein musste, wie sie selbst.

      „Außerdem hatte ich keine Langeweile“, sprach sie weiter, „ich genieße es sehr, das Meer und diese ungezwungenen freien Menschen zu betrachten.“

      „Ja“, bestätigte Rainer und sah sich betont gleichgültig um. „Es hat sich nicht viel verändert, seit wir das letzte Mal hier waren“, behauptete er, richtete die Gläser seiner Brille direkt auf Beates zusammengerolltes Oberteil und lächelte wehmütig. „Nur wir, wir haben uns verändert. Du warst damals fünfundzwanzig, nicht wahr?“

      Beate zog ihren Badeanzug beleidigt hoch und stand auf. „Ich gehe ins Wasser“, beendete sie das Gespräch und watete in die flache Nordsee. Sie musste ziemlich weit hinausgehen, bis sie schwimmen konnte. Wenn sie an den Strand zurückblickte, konnte sie Rainer gerade noch erkennen, der mit angezogenen Beinen dahockte und sich interessiert umschaute.

      An seiner Statur allein konnte es nicht liegen, dass er so armselig wirkte, überlegte Beate. Es war vielmehr die offensichtliche Unfreiheit, die seinen Körper erst richtig zur Geltung brachte. Sie umgab ihn wie ein aufdringliches Parfüm. Die kindische Sonnenbrille war das i- Tüpfelchen auf dieser Gestalt am Ufer.

      Beate watete zurück, ließ Rainer weiter gaffen und ging allein zu einem der Strandcafe´s. Auf der hölzernen Terrasse suchte sie sich einen Tisch vorn an der Brüstung und bestellte Campari. Den hatte sie zuletzt in Italien getrunken, vor vielen Jahren. Damals waren sie noch ins Ausland gefahren, später nur noch in die deutschen Mittelgebirge,