Jochen Sommer

Carmen im Kopfhörer


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im letzten Geschäft fand er ein Modell, das ihm und auch Anouschka zusagte. Es erinnerte an eine Kassenbrille aus den dreißiger Jahren, hatte kleine, ovale Gläser, die seine Augen knapp verdeckten.

      „Die sieht lustig aus“, fand Anouschka, „wie die Pennälerbrille von Heinz Rühmann in der Feuerzangenbowle. Die passt zu Ihnen.“

      Rainer war geschmeichelt. „Die nehme ich“, sagte er und warf einen Abschiedsblick in Anouschkas Ausschnitt.

      Irgendwie waren diese heimlichen Blicke spannender und erotischer als die mühelose Betrachtung am Strand, dachte Rainer. Anouschkas Assoziation zu Heinz Rühmann fand er aufschlussreich. Schließlich war der in diesem Film auch deutlich älter gewesen als das Mädchen, in das er sich verliebt hatte.

      Als sie an den Strand zurückkamen, lagen die Badesachen noch da, Beate nicht.

      „Sie ist bestimmt im Strandcafe´“, vermutete Anouschka und ging ebenfalls hin.

      Rainer blieb zurück und sah ihr nach. Er konnte sich nicht erinnern, in den Jahren seiner Ehe jemals mit einer so hübschen Frau in Kontakt gekommen zu sein; vorher auch nicht. Es war schon verrückt, dass er Anouschka ausgerechnet durch Beate kennengelernt hatte. Sie hatte eben auch ihre guten Seiten, dachte Rainer versöhnlich.

      Beate saß tatsächlich auf ihrem Stammplatz vorn an der Brüstung, Anouschka setzte sich zu ihr.

      „Habt ihr eine Sonnenbrille gefunden?“ fragte Beate.

      Anouschka nickte. „Nach langem Suchen, im letzten Souvenirladen.“

      „Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie ihm die eklige Brille ausgeredet haben. Auf Sie hört er wenigstens. Wir könnten uns übrigens duzen“, schlug sie vor.

      „Einverstanden“, sagte Anouschka.

      Beate winkte dem Kellner, der brachte Campari.

      „War es sehr nervig?“, erkundigte sich Beate.

      „Überhaupt nicht. Dein Mann war ausgesprochen folgsam“, sagte Anouschka. „Ich glaube, er hat sich ein wenig in mich verguckt. Oder zumindest in meinen Ausschnitt.“

      Beate staunte über Anouschkas Offenheit. „Das überrascht mich nicht“, sagte sie. „Wenn ich mein Mann wäre, ginge es mir bestimmt genauso.“

      „Danke für das Kompliment“, lächelte Anouschka und sah Beate nachdenklich in die Augen. „Und wenn du nicht dein Mann wärest?“ fragte sie.

      Die Frage verwirrte Beate. Sie griff zu ihrem Campariglas, nippte mehrmals und stellte es zurück. Sie wusste nicht recht, ob sie die Frage so verstanden hatte, wie sie sie hätte verstehen können. Vorsichtshalber wechselte sie das Thema.

      „Was hattest du eigentlich damit gemeint: Afrika ist für mich ein Ort der Selbstfindung?“, fragte sie. „Was hast du dort Neues über dich herausgefunden?“

      „Zum Beispiel, dass ich nicht nur eine Schwäche für Männer habe, sondern auch für Frauen“, wurde Anouschka deutlicher. „Das war für mich neu. Ich glaube inzwischen, dass jede Frau bi ist, die meisten wissen es nur nicht. Aber es ist schwer im Kommen.“

      Beate wollte nicht verstehen. „Was ist schwer im Kommen?“

      „Die Bisexualität“, sagte Anouschka unmissverständlich. „Nach einem Pfeifchen geht es besonders gut; es hilft, die Hemmungen zu überwinden.“

      Das verstand Beate wirklich nicht. „Nach welchem Pfeifchen?“

      „Haschisch“, erklärte Anouschka geduldig. „Ich habe mir aus Tunesien ein Päckchen roten Afghanen mitgebracht. Das ist der beste. Du kannst ihn gern mal probieren."

      „Im Augenblick nicht“, lehnte Beate ab und bestellte Campari. „Ich habe keine Erfahrung mit Drogen und mit anderen Sachen auch nicht.“

      „Das lässt sich ändern“, sagte Anouschka. „Was eine Droge ist, ist letztlich eine Frage des Landes, in dem du lebst.“

      „Wieso?“, fragte Beate.

      „Wenn du in den arabischen Emiraten leben würdest“, erklärte Anouschka, „kämest du wegen einer Flasche Whisky ins Gefängnis. Der Prophet war Antialkoholiker. Hier in Holland interessiert sich niemand für dein Haschischpfeifchen, in Deutschland kommst du ab einer bestimmten Menge in den Knast. Seit Afrika bin ich meine Vorurteile auch auf diesem Gebiet los, seit Afrika bin ich frei.“

      „Auf allen Gebieten?“, vergewisserte sich Beate.

      „Du hast mich genau verstanden“, lächelte Anouschka und drückte warm und kurz Beates Hand. “Unter Frauen haben wir die Heterospielchen doch nicht nötig“, sagte sie. „Ich sage einer Frau ganz offen, wenn ich sie mag. Dich, Beate, mag ich. Du bist genau mein Typ.“

      Beate fühlte sich etwas unbehaglich. So deutlich hatte ihr noch nie jemand seine Sympathie gestanden und schon gar keine Frau. „Das ist alles ein bisschen viel“, sagte sie verlegen.

      „Lass dir Zeit“, empfahl Anouschka, winkte dem Kellner und bezahlte. Schweigend liefen sie nebeneinander her durch den warmen Sand.

      Rainer saß immer noch auf den Decken. Die kleinere Sonnenbrille stand ihm wirklich besser, dachte Beate und legte sich neben ihn. Sie legte sich auf den Bauch, die Stirn auf ihre verschränkten Unterarme.

      „Dein Rücken ist rot“, hörte sie Anouschka sagen, „ich creme ihn dir ein.“

      Anouschkas warme Hände verrieben sanft die Sonnencreme auf Beates Rücken. „Du bist ganz verspannt“, sagte Anouschka, „ich werde dich ein wenig massieren.“

      Wirbel für Wirbel beschäftigte sie sich mit Beates Rückgrat. Mit den Beckenwirbeln und deren Umfeld befasste sie sich besonders intensiv, dann glitten ihre Hände hoch zu Beates Schultern und Hals; trotz der Hitze bekam Beate Gänsehaut.

      „Hier oben ist alles steinhart“, hörte sie Anouschka sagen, „damit muss ich mich länger beschäftigen.“

      „Mein Rücken ist auch nicht der beste“, meldete sich Rainer zu Wort.

      „Schön der Reihe nach“, vertröstete ihn Anouschka urdeutsch und widmete sich ihm erst, als Beate wohlig schnarchend eingeschlafen war.

      Allerdings dauerte die Massage nur wenige Minuten. „Ihre Muskulatur ist total in Ordnung“, verkündete Anouschka.

      Rainer hatte es nicht anders erwartet, fand seine Fitness im Augenblick jedoch bedauerlich.

      Als die Sonne sank, packten sie ihre Badesachen zusammen, und die beiden Frauen verabredeten sich für den nächsten Vormittag zu einem gemeinsamen Einkaufsbummel. Am nächsten Abend wollten sie zusammen mit Rainer in eine Diskothek gehen.

      Beate ging sofort nach dem Frühstück in Anouschkas Hotel, während Rainer trödelnd durchs Zimmer lief und seine Strandsachen zusammensuchte.

      Die Badehose zog er gleich an, stellte sich vor den langen Spiegel des Kleiderschranks und musterte sich. Der Gedanke an den verabredeten Discobesuch war ihm unbehaglich, der an die sportlich braunen Männerkörper unten am Strand auch. Er würde heute nicht ans Meer gehen, beschloss er.

      Mit dem, was er vor sich im Spiegel sah, konnte er Anouschka nicht beeindrucken, dachte er illusionslos. Aber übertrieben männliche Formen, hatte er mal gelesen, waren auch nicht mehr gefragt, bei jüngeren Frauen. Gefragt waren heute innere Werte. Werte, die er sich nicht absprechen wollte. Nur im Spiegel sah er sie nicht.

      Ohne konkreten Vorsatz bummelte er dann die Einkaufsstraßen entlang, betrachtete die Auslagen der Boutiquen und kaufte als erstes ein Paar Schuhe. Die hohen Absätze streckten seine Figur, und am Nachmittag hatte sich sein Spiegelbild verändert: Eine neue Hose, ein Polohemd in animalischem Rot, ein Wasserglas voll Bourbon in der Linken und eine Körperhaltung, die Rainer unwillkürlich an Bogarts lässige Posen denken ließ.

      Etliche Whisky später glaubte er auch den zynischen Zug der Mundwinkel bei sich zu entdecken. Einen Hut wollte er sich aber