Günter Billy Hollenbach

Das Ende der Knechtschaft


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die Gefahr hin, dass es Männer ängstigt. Wie ist das bei mir?, fragt sie. Lasse ich mich dadurch abschrecken?

      Sehr gern, wenn sie das möchte, gebe ich zurück.

      Nein, natürlich nicht. Mein Vorteil sei, dass ich kein Kollege bin. Mit einem von denen fängt sie nichts an. Und mit Zivilisten ...? Weil ... Privat kennt sie kaum noch Menschen aus anderen Lebensbereichen. Ihre Dienstzeiten sind nicht besonders sozialverträglich. Und der Beruf? Für Außenstehende mag das aufregend klingen. Wenn du damit lebst, wird es gelegentlich traurig. Trotzdem, sie ist gern Polizistin, kann nicht aus ihrer Haut.

      „Erklär mal, bitte. So kann ich damit wenig anfangen.“

      „Wie soll ich sagen, das ist kein normaler Beruf.“

      Du bist Polizistin, selbst wenn du nicht im Dienst bist. Ihre Nachbarn im Haus sind wirklich nette Leute; der Herr Wagner in der Wohnung zwei Stockwerke unter ihr kümmert sich um ihre Post, wenn sie verreist ist. Er kauft sogar für sie ein, wenn sie ihn bittet. Aber wenn sie sich zufällig begegnen, was sagt er? ,Dann legen Sie mal wieder schön den schweren Jungs das Handwerk, Frau Sandner.’

      „Er muss sich ja nicht unbedingt nach meinem Liebesleben erkundigen. Aber es gibt doch mehr, was man sagen kann, oder?“

      Geht es mir eigentlich viel anders?

      „Na ja, Arbeit und Beruf sind nun mal wichtig für die meisten Menschen. Da liegt es nahe, darüber zu reden. Mit meiner Tochter in Santa Fe, wir telefonieren einmal im Monat miteinander. Spätestens Claudias zweite Frage betrifft die Arbeit, zum Beispiel, ob sich ein neuer Klient zu mir verirrt hat.“

      „Was fragt sie vorher?“

      „Ob am Horizont eine Frau aufgetaucht ist, die sich unter meine Bettdecke traut?“

      „Und, was antwortest Du darauf?“

      „Claudia, der Horizont ist weit und wandert beständig vor mir her.“

      „Nett. Ihr mögt euch, stimmt ’s, deine Tochter und Du?“

      „Ja, kann man wohl sagen.“

      „Das sollte ich meinem Mona-Mädchen mal erzählen. Abgesehen von ihr – bei mir ist nicht viel mehr Privatleben.“

      Schon wegen der oft unvorhersehbaren Einsatzzeiten. Du willst das den Leuten nicht dauernd zumuten, den Freunden ... die werden nach und nach sowieso weniger.

      „Und in deiner Freizeit ...?“

      „Ich lese viel. Oder trödele durch Geschäfte. Am Obststand im Supermarkt nasche ich eine Weintraube, ohne dafür zu bezahlen.“

      Sie kichert aufgekratzt; ich freue mich, dass wir reden.

      „Das mache ich nämlich mindestens einmal die Woche. Mein Ausbruch aus den Zwängen der Gesetzeshüterin. Womit ich nicht nur einen Hinweis auf meine untadelige Berufsauffassung gebe, sondern auch meine vorzügliche Haushaltsführung nebst gesundheitsbewusster Nahrungsaufnahme gestehe.“

      „Corinna, deine Offenheit macht mich verlegen.“

      „Wehe Du verrätst mich! Fortgesetzter schwerer Raub. Ist schließlich mein Sachgebiet. Was soll ’s, das mache ich eh nicht mehr lange.“

      Sie seufzt vor sich hin.

      „Hörst Du auf? Oder wirst Du etwa weggemobbt?“

      Das soll ja schon vorgekommen sein in hessischen Polizeikreisen!

      Das Stichwort erheitert sie.

      „Oh toll, weggemobbt?! Prima Idee. Super, morgen früh verklage ich den Innenminister. Nein, Quatsch. Ich will wieder rüber in den Bereich K 11, Kapitalverbrechen gegen Leib und Leben. Gleiche Stelle, gleiche Welle; ich war da schon bis vor sechs Jahren, damals noch etwas anders organisiert und weniger computerisiert. Mein Wechsel dahin ist schon bewilligt.“

      Sie zögert, ergänzt bewusst betonend, bei ihnen gibt es kein Mobbing, amtlich beschlossen. Bösartige Verleumdung seitens des politischen Gegners. Sie und die Kollegen wissen nicht einmal, wie man das Wort schreibt.

      „Na logisch.“

      Ich frage mich, wie sich ihr Umgang mit dem Kollegen Schuster gestaltet, halte es aber für klüger, den Namen unerwähnt zu lassen.

      „Die neue Stelle, wird deine Arbeit dort gefährlicher?“

      „Nöh, bringt aber mehr Blut und Abscheu mit sich.“

      Sie überlegt hörbar, bevor sie anhängt:

      „Nebenbei ist damit das Rätsel gelöst, wieso eine Frau wie ich ohne einen Mann im Haus lebt. Falls Du daraus auf erotischen Vorlieben schließt, vergiss es?!“

      Seltsamer Gedankensprung. Sie spricht unbekümmert weiter. Und es wird klarer, was dahinter steckt.

      „Ich warne dich, ich bin so unnormal normal, das ist beinahe schon strafbar. Übrigens: Ich finde es gut, dass Du mich noch nicht gefragt hast, wie viele Leute ich erschossen habe.“

      Der Hinweis überrascht mich.

      „Wie bitte? Der Gedanke ist mir noch nicht gekommen.“

      „Freut mich für dich.“

      Sie schweigt. Ich warte, denke Vorsicht, wunder Punkt !

      „Du wolltest dazu noch etwas sagen, Corinna?!“

      Sie zögert. Dann kommt es lauter, unerwartet heftig.

      „Ich finde die Frage echt widerwärtig. Eklig.“

      Vor ein paar Jahren ist sie noch gelegentlich in die Disko gegangen. Klar erkundigen sich die Typen gleich nach ihrem Beruf. Um rauszukriegen, ob sie anschaffen geht. Anfangs, wenn sie Polizistin geantwortet hat, kriegten die meisten das Zittern und mussten dringend aufs Klo. Auch eine dieser wenig erheiternden Erfahrungen.

      „Mal ehrlich, das waren nicht alles Kunden meiner Firma.“

      „Oh je. Das finde wirklich doof von den Männern.“

      „Ja, nur, dabei blieb es nicht. Die besonders abgefahrenen Kerle kriegten schlagartig einen ganz komischen Blick. Prompt kam dann diese Frage. Einmal habe ich einem Typ spontan eine geknallt. Heute bin ich in der Hinsicht gelassener.“

      Trotzdem! Wer ist sie denn?! Eine Killerin? Als ob es diese Kerle aufgeilt, ein wahres Monsterweib vor sich zu haben, das um sich schießt.

      „Ehrlich gesagt habe ich darüber noch nie nachgedacht. Klingt reichlich merkwürdig.“

      Kunststück; Frau Hauptkommissarin ist die erste Ausübende dieses Berufs, mit der ich zu tun habe.

      Sie hängt immer noch an dem Thema.

      „Vor allen Dingen – es hat rein gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun.“ Nicht die Spur. Über 90 Prozent aller Polizisten geben in ihrer gesamten Dienstzeit, an die vierzig Jahre, keinen einzigen Schuss aus ihrer Dienstwaffe ab. Außer auf der Trainingsbahn natürlich. Auch die Kollegen, die draußen arbeiten. Nebenbei: Die meisten Kriminellen ballern genauso wenig in der Gegend rum. Die halbwegs etwas auf dem Kasten haben ohnehin nicht.

      „Und die anderen sind zu doof, weshalb wir sie meistens auch schnell schnappen. Jedenfalls kein Vergleich zu der Zahl der Toten im Straßenverkehr.“

      „Das dürfte wenig bekannt sein. Wenn man den Fernsehkrimis glaubt, dann ist die Welt voll ...“

      „Hör mir damit auf!“ unterbricht sie mit aufgebrachter Stimme.

      „Fernsehen, für mich wird das langsam zu einem Skandal. Erst die Privatsender mit ihren bescheuerten amerikanischen Krimiserien. Inzwischen auch in den öffentlichen Sendern; kein Tag mehr ohne Krimi, weniger schießwütig, aber meist mit anschaulicher Darstellung der Taten. Betriebsanleitung für Mord und Totschlag als Hobby, möglichst jeden Abend frei Haus. Da kann mich die